Die Erlöserkirche am Bamberger Kunigundendamm ist ein Hauptwerk des Architekten German Bestelmeyer, der von 1874 bis 1942 gelebt hat. Ab 1926 geplant, bis 1931 gebaut und 1934 eingeweiht, war sie der erste Neubau einer evangelischen Kirche in der alten Bischofsstadt.
Die Bamberger Architekturhistorikerin Gabriele Wiesemann legt nun mit ihrem neuen Buch über die 90-jährige Erlöserkirche eine fundierte Publikation über die Geschichte des Baus und des Architekten vor. Die Autorin belegt, dass es ihm um Kunst und nicht um Politik in den 1930er Jahren ging.
Frage: Welche Bedeutung hat der Bau Erlöserkirche in der Gesamtarchitektur Bambergs heute?
Gabriele Wiesemann: Der Architekt German Bestelmeyer hat den Entwurf für die neue evangelische Kirche in hohem Respekt vor den bedeutenden historischen katholischen Kirchen der alten Bischofsstadt entworfen. Bestelmeyer erläuterte seinen Entwurf im Juni 1926 selbst: "Die ausgezeichnete Lage des Bauplatzes und der Ruhm Bambergs als eine der allerschönsten Städte unseres Vaterlandes legen dem Architekten und der Kirchengemeinde die Verpflichtung auf, ein Bauwerk zu erstellen, das sich dem Stadtbild harmonisch einfügt."

Das gilt auch noch heute. Die Kirche fügt sich harmonisch in das Stadtbild ein und steht gleichzeitig selbstbewusst am Ufer des Kanals. So wie es der Architekt beabsichtigt hatte, fügt sie mit ihrer besonderen Architektur dem Stadtbild eine besondere Note hinzu, ohne in Konkurrenz zu den bestehenden romanischen und gotischen Kirchen zu treten. Mit der Erlöserkirche beherbergt Bamberg eines der wichtigen Gebäude der 1920er Jahre, die unter Rückgriff auf historische Formen damals zeitgemäße Architektur schaffen wollten wie die fast gleichzeitig errichtete katholische Kirche St. Heinrich. In dieser Qualität findet man das nur selten.
Wie ordnen Sie den architektonischen Stil der Erlöserkirche ein?
Wiesemann: Tatsächlich ist die Erlöserkirche als eine Variante moderner Architektur zu verstehen. Als ein damals vollkommen üblicher Versuch, sinnhafte und glaubwürdige Formen für eine bestimmte Bauaufgabe – eben eine Kirche – zu finden, die einerseits auf baukulturelle Traditionen Bezug nimmt und sie andererseits zeitgemäß interpretiert. Will man die Kirche stilistisch einordnen, wäre sie als expressionistisch zu bezeichnen. Will man die gewisse, absichtlich eingeschriebene Monumentalität der Kirche erklären, muss man sich vergegenwärtigen, dass Monumentalität, also hohe Präsenz, auch Würde bedeuten konnte.
"German Bestelmeyer war kein Kind des Nationalsozialismus, weder politisch noch künstlerisch."
Gabriele Wiesemann, Architekturhistorikerin
Architekt German Bestelmeyer war ein Kind seiner Zeit und den Nationalsozialisten verbunden. Wie frei ist die Erlöserkirche von damals vorherrschenden Vorstellungen von Monumentalarchitektur?
Wiesemann (mit Nachdruck): Die Erlöserkirche hat mit dem Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts zu tun. Entwurf und Bauausführung waren fertig, bevor im Januar 1933 die Nationalsozialisten die Regierung übernahmen. German Bestelmeyer war kein Kind des Nationalsozialismus, weder politisch noch künstlerisch. Er war ein Kind des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zur damaligen Architekturausbildung gehörte die genaue Kenntnis der besten baukulturellen Werke der Vergangenheit. Gleichzeitig sollten die jungen Architekten die ihnen bekannten historischen Formen nicht kopieren, sondern diese in ihre eigenen neuen Architekturentwürfe sinnvoll einfließen lassen. Seine gesamte Generation bemühte sich darum. Sie wurden zu den wichtigen Protagonisten einer Erneuerung der Baukunst um 1900 und danach, auch Bestelmeyer.
Verstehe ich Sie richtig, dass Bestelmeyers Architektur also durch und durch Kunst ist?
Wiesemann: Die Bamberger Kirchengemeinde hat Anfang 1926 den Auftrag zum Entwurf einer neuen evangelischen Kirche erteilt. German Bestelmeyer stellte die Zeichnungen bis April 1926 fertig. Zu dieser Zeit, also Mitte der 1920er Jahre, gab es in Deutschland noch keinen nationalsozialistischen Staat. Bezugnahmen auf historische Architektur waren damals noch etwas ganz Selbstverständliches: siehe auch St. Heinrich in Bamberg, fast gleichzeitig zur Erlöserkirche. Beim Entwurf von Architektur ging es um Kunst, nicht um Politik. Es war damals nicht üblich anzunehmen, Architekturformen seien direkt verknüpft mit politischen Haltungen. Das vermutet man oft aus heutiger Perspektive rückwirkend. Das stimmt aber nicht. So eine Projektion von heutigen Annahmen in die Vergangenheit ist nicht Geschichtsschreibung, sondern eben eine Projektion.
Und wie ist Bestelmeyers Eintritt in die NSDAP zu verstehen?
Wiesemann: Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 war Bestelmeyer fast 60 Jahre alt. Als Präsident der Akademie der bildenden Künste in München musste er in die NSDAP eintreten, was er wie sehr viele bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Mai 1933 auch tat. Zuvor hatte er keiner politischen Partei angehört. Ob er sich von der neuen politischen Führung etwas versprach und der Parteibeitritt deswegen völlig freiwillig war? Wie ist seine Position innerhalb der Architektenschaft im Dritten Reich zu bewerten? Ich konnte im Rahmen dieser kleinen Publikation nicht alle diese Fragen erforschen, ich habe mich auf die Jahre bis zur Fertigstellung der Kirche konzentriert.
In wie weit ist es German Bestelmeyer gelungen, mit der Erlöserkirche den reinen Sinngehalt eines Gotteshauses mit Leben zu erfüllen?
Wiesemann: German Bestelmeyer war selbst evangelisch. Er hatte sich schon lange mit dem Bau evangelischer Kirchen befasst. 1913 hielt er einen Vortrag über evangelischen Kirchenbau. Er wusste, dass Architektur eine starke Wirkung auf "unser tiefstes Empfindungsleben" hat, wie er sagte. Er wusste, wie man mit der Sprache der Architektur so umgeht, dass in einem Kirchenraum die passende "feierliche kirchliche Raumstimmung" erreicht wird. Ein wichtiges Element dabei war die besondere Höhe des Kirchenschiffs.
Das Buch "Die Erlöserkirche in Bamberg. Ein Bau von German Bestelmeyer", 96 Seiten, von Gabriele Wiesemann, ist 2025 im Michael Imhof Verlag erschienen.