Es dauerte eine Weile, bis die Berufsschüler die schonungslose Offenheit von Marco Lau verdaut hatten, dann aber sprudelten die Fragen. Im Rahmen der Suchtpräventionsarbeit an der Berufsschule wurde vor dieser Diskussionsrunde der Film „Berliner Härte – vom Junkie zum Mesner“ gezeigt. Marco Lau ist der Protagonist dieses Films und er lässt dabei tiefe Einblicke in sein Leben zu, in dem er schon direkt am Abgrund stand, sich dann aber aus eigener Kraft befreite aus Drogensucht und Isolation.
Von der Mutter in einem DDR-Kinderheim abgegeben, trieb sich Marco nach der Wende regelmäßig am Bahnhof Zoo herum. Auf sich allein gestellt, fand er eine „schnelle Art Geld zu verdienen“, indem er sich prostituierte. „In dieser Szene konsumiert man dann auch sehr schnell Drogen“, erklärte er später in der Fragerunde und damit ist der Kreislauf angetreten. In einer solchen Situation, in der man auch mal im Park schläft und der einzige Freund mit einer Mahlzeit aushilft, suche man die Flucht im Drogenrausch. „Koks macht halt gefühllos und sehr aggressiv, du verlierst deine eigene Persönlichkeit“, erklärt er. „Man versucht abzuschalten, aber das hat nie geklappt. Die Stärke liegt eigentlich darin, dass man Nein sagen kann.“
Mit einer Ecstasy-Pille habe es begonnen, erzählt Marco Lau, am Ende standen Kokain, Heroin und jede Menge Alkohol. Immer wieder habe es ihn auf Hochhausdächer gezogen. „Da gibt es dann zwei Möglichkeiten: entweder du genießt die Aussicht, oder du springst“ – solche Dinge sagt er ganz ohne Pathos, aber umso eindringlicher.
Er sprang nicht, sondern ging nach einem Schlüsselerlebnis, einer Begegnung mit lebensfrohen jungen Leuten, die einen extremen Kontrast zu seinem eigenen Leben darstellten, in den „kalten Entzug“. Ganz auf sich gestellt habe er die schlimmsten drei Wochen seines Lebens durchlitten. „Ich hätte da auch draufgehen können, das weiß ich“, erzählte er. Doch er war sich sicher, dass er nur so einem Rückfall entgehen kann.
Der Entzug war ein erster Schritt in sein neues Leben, die weiteren Schritte tat er in Bamberg, wohin er vor 15 Jahren übersiedelte. Dort kam er in Kontakt mit Gefängnisseelsorger Hans Lyer, der auch für die Drogenhilfe arbeitete. Es war ein sehr zögerliches Annähern, aber Marco Lau spürte erstmals, dass ihm ein Mensch vertraut. Das ist für ihn bis heute etwas Besonderes: „Ich habe den Schlüssel für eine Kapelle, sperre da auf und zu und der Pfarrer ist sich sicher, dass ich die Kerzen anzünde und alles vorbereite – das ist Hammer“.
Den Mesner-Dienst versieht Lau ehrenamtlich, seinen Lebensunterhalt verdient er in der Altenpflege. „Ich kümmere mich um alte Leute“, erklärt er dem fragenden Schüler. Ob er noch Alkohol trinke, will ein anderer wissen. „Ich trinke mittlerweile lieber grünen Tee“, erklärt der groß gewachsene Mann mit ruhiger Stimme. Mit seiner Mutter habe er noch einmal Kontakt aufgenommen, dann aber wieder Abstand genommen. Ob er „nur“ diesen einzigen Entzug gemacht habe, will ein anderer Schüler wissen. Marco Lau berichtet von einigen Versuchen, „aber ich war wohl noch nicht tief genug gesunken“, meint er.
Pfarrer Lyer ist als Gefängnisseelsorger in Ebrach einiges gewohnt, doch die Recherche und die Dreharbeiten in Berlin sind auch ihm nahegegangen, das ist spürbar, als er davon erzählt. Heute seien dort in der Stricher-Szene kaum noch deutsche Jugendliche unterwegs, aber „es sind immer Kinder der Armut, die sich dort verkaufen“ – viele Flüchtlinge finden sich heute dort.
Er betont, dass er nie mit dem Ziel in die Gespräche gegangen sei, Marco Lau zu missionieren, das Vertrauen sei auch sehr langsam gewachsen. Schließlich wurde es so groß, dass Marco Lau das Filmprojekt ermöglichte, das wirklich etwas ganz Besonderes ist. „Wir wollen hier nicht mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigen“, betont Pfarrer Lyer aber Marco Lau hat eine Botschaft, nämlich: „Es ist immer möglich, sein Leben nochmal zu drehen, eine Entscheidung zu treffen“.