Mit Kriegsende verschärfte sich in Deutschland die Lebensmittelknappheit. Der Landwirtschaft standen schon lange nicht mehr ausreichende Arbeitskräfte zur Verfügung. Es herrschte Materialmangel und Pferdeknappheit. Viele Männer kamen entweder gar nicht, verwundet oder traumatisiert vom Krieg zurück. Die Ernte fiel wegen der ungünstigen Witterung schlechter aus, als in den vorhergehenden Kriegsjahren.
Fast täglich standen Hiobsbotschaften in den Tageszeitungen: „Die Arbeitslosigkeit wächst“. Oder aber auch: „Die Eröffnung des Betriebes der Motorpostlinie Hofheim-Burgpreppach wird wegen Fehlens des Betriebsstoffes verschoben“. Oder auch: „Weitere Kürzung der Kartoffelrationen steht bevor“.
Doch eine Mitteilung hob sich aus diesen negativen Meldungen ab. Zu Beginn des Jahres 1919 wurde das Lazarett in der ehemaligen Kinderbewahranstalt wieder aufgelöst und die Kinder konnten in ihr Domizil zurückkehren.
Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges waren Ende September 1914 die ersten Verwundeten nach Hofheim gekommen. Aus Platznöten wurden sie unter anderem auch in der damals neuen Kinderbewahranstalt untergebracht und vom Frauenverein des Roten Kreuzes gepflegt. Für die Kinder bedeutete dies, in die beengten Verhältnisse des Rügheimer Tores (Obertor) zurückzukehren.
Dass die Kinderbewahranstalt nun wieder ihre Pforten öffnete, dürfte besonders Maria Barbara Bayer, geb. Zink gefreut haben, die mit ihrem Mann Max, der inzwischen verstorben war, im Jahr 1912 einen Teil ihres Besitzes schenkungsweise der Stadt Hofheim zur Gründung einer Kinderbewahranstalt und eines Armenhauses übergeben hatten.
Großherzige Schenkung
Die Kaufmannsfamilie Zink hatte das Haupthaus errichten lassen. Sie zählte zu den angesehensten Bürgern der Stadt. Von Leonhard Zink wird erzählt, dass er mit seinen Pferden bis nach Frankreich gereist sei, um dort Gewürze einzukaufen. Dessen gleichnamiger Sohn heiratete 1854 Margarethe Güthlein aus Gemeinfeld. Aus dieser Ehe gingen mehrere Kinder hervor, die jedoch alle, bis auf die Tochter Maria, bereits im Kindesalter starben.
Maria heiratete den Arztsohn Max Bayer aus Mömbris, der durch seine Tätigkeit als Kassier der Distriktsparkasse in Hofheim hohes Ansehen genoss. Das Ehepaar blieb kinderlos und so führte tiefe Religiosität und gemeinnütziges Denken dazu, dass Maria Bayer das von ihren Eltern ererbte Anwesen 1912 der Stadt Hofheim schenkte. Es umfasste mittlerweile das Wohnhaus Nr. 46 (Notarhaus genannt), Scheune, Schweineställe und Hofraum. Nach ihrem Willen sollten die Gebäude zu einer dringend notwendig gewordenen Kinderbewahranstalt, sowie einem Pfründeheim (Armenhaus) umgebaut werden.
Tag der Einweihung
Nach monatelangen Arbeiten war es am 22. Juni 1913 endlich so weit, dass die neue Kinderbewahr- und Krankenanstalt, nach Umbau und Renovierungsarbeiten eingeweiht werden konnte. Später wurde ein Relief angefertigt, das Jesus inmitten von Kindern zeigt, „Lasst die Kinder zu mir kommen“, war darauf angebracht. Es hing Jahrzehnte über dem Haupteingang des Kindergartens, bevor es von dort entfernt und ins Alte Rathaus, Standesamtszimmer, verlagert wurde.
Zwei Tage vor der Einweihung verfasste Maria Bayer ein Schreiben an die Stadt, in dem sie verschiedene Bestimmungen und Wünsche zu Papier brachte. Ihr Großneffe Lothar Braun, der heute in Bamberg lebt, gewährte der Redaktion Einsicht in die noch vorhandenen Unterlagen.
Wörtlich schrieb seine Großtante damals: „Das Haus Nummer 46 soll für alle Zeiten nur zum Zweck, zu welchem dasselbe bei der notariellen Verlautbarung von mir und meinem Ehemann bestimmt worden ist, erhalten bleiben. Es darf weder verkauft, noch anderweitig vermietet werden. Die Anstalt- und Krankenpflege soll stets von Ordensschwestern geleitet werden.“
Sie legte großen Wert darauf, dass dieses Haus immer zu gemeinnützigen Zwecken genutzt wird. Und weiter fügte sie hinzu, „dass von den Kindern, Schwestern und Kranken für mich und meinen Ehemann im Gebete gedacht und täglich drei Vater Unser und Ave Maria gebetet werden, auch noch dann, wenn wir verstorben sind, mit dem Zusatz: O Herr gib ihnen die ewige Ruhe.“ Ihr letzter Wunsch, der an die Stadt gerichtet war, lautete: „Mir und meinem Ehemann jederzeit ein wohlwollendes Andenken zu bewahren.“
Welch hohen Stellenwert die Schenkung des Ehepaares einnahm, zeigt die Ernennung von Maria Bayer zur Ehrenaufsichtsdame der Bewahranstalt, wozu ihr vom damaligen Bürgermeister August Greubel und einer „Deputation der Stadtverwaltung“ am 29. Juni 1913 ein Ehrendiplom in deren Wohnung überreicht worden war.
Offizielle Einweihung
An den Einweihungsfeierlichkeiten nahm ein Großteil der Bevölkerung teil. Das starke Interesse war, wie alte Aufzeichnungen belegen, darauf zurückzuführen, „dass der stetig schwerer werdende Kampf ums Dasein auch die Frauen in das nervöse Räderwerk der Arbeit mit hineingezogen hat und es ihnen unmöglich macht, ihre Hauptaufgabe in der Erziehung der Jugend zu sehen.“ Eine größere Kinderbewahranstalt war deshalb schon seit langem das Bestreben der Stadt, um dem ständig wachsenden Ansturm gerecht zu werden.
Die erste Einrichtung für Hofheims Kinder im heutigen Rügheimer Tor (damals noch mit Anbau), die Pfarrer Dr. Michael Wieland 1872 ins Leben gerufen hatte, war zu eng geworden. Seine Initiative und ein Großteil des Vermögens einer gewissen Schwester Valeria (Verwandte der Familie Hirt) hatten die Schaffung der ersten Kinder- und Krankenanstalt Hofheims ermöglicht.
Die Schenkung des Ehepaars Bayer schien nun alle anstehenden Probleme zu lösen. Für die rund 60 Kinder war ein großzügiger Saal angebaut worden, im Nebenraum wurde eine Nähschule eröffnet, auch einige alleinstehende, pflegebedürftige Einwohner hatten ein neues Zuhause gefunden und für die genügsamen Ordensschwestern blieb noch eine winzige Wohnung übrig.
Generationen hat das ehemalige Kindergartengebäude in der Oberen Torstraße schon gedient, war Stätte der Pflege, Erziehung, Zuflucht und manchmal auch Endstation. Doch ausgedient hat es noch lange nicht. Im Rahmen der Altstadtsanierung wurde es von der Stadt umgebaut und saniert, um so Räume für Vereine (Spielmannszug und Jugendtreff) zu schaffen und dem Wunsch des Ehepaares Bayer zu entsprechen, dass dieses Haus immer zu gemeinnützigen Zwecken genutzt wird.