Es ist der Morgen des 7. März 2024. Ein Donnerstag. Dominik Klebrig steht auf, macht sich fertig für die Arbeit. So wie jeden Tag. Doch an diesem Morgen ist etwas anders: Der 36-Jährige aus Maroldsweisach hat ein Taubheitsgefühl im rechten Fuß. Der ist wohl eingeschlafen, denkt sich Klebrig. Und geht zur Arbeit. Doch innerhalb weniger Stunden zieht das Taubheitsgefühl in seiner rechten Körperhälfte nach oben.
"Ich konnte die Bohrmaschine nicht mehr festhalten, habe keine Kraft mehr gehabt", erinnert sich der Monteur heute. Auch aufs Gerüst habe er an diesem Tag klettern wollen. "Aber ich bin nicht mehr hochgekommen." Dominik Klebrig ist schnell klar: Irgendetwas stimmt nicht.
Der erste Verdacht: Schlaganfall
"Die Kollegen haben den Krankenwagen gerufen. Ich bin nach Coburg ins Krankenhaus gekommen – mit Verdacht auf Schlaganfall." Doch die Diagnose, die Klebrig dort dann nach etlichen Tests erhielt, war eine andere: Der 36-jährige Mann aus Maroldsweisach ist im Frühjahr am Guillain-Barré-Syndrom, kurz GBS, erkrankt.

Vereinfacht gesagt ist GBS eine Autoimmunerkrankung, bei der die Nervenfasern im Körper angegriffen werden, wie Prof. Dr. Michael Schüttler, Chefarzt am Fachzentrum für Neurologie der Schön-Klinik Bad Staffelstein, auf Nachfrage der Redaktion erklärt. Der Krankheit gehen oft bakterielle Entzündungen der Atemwege oder des Magendarmtraktes voraus. Diese klingen zwar wieder ab, erläutert Schüttler. Sie führen jedoch dazu, dass das Immunsystem aktiviert ist, dann aber falsch weiterreagiert. In äußerst seltenen Fällen sei GBS auch nach einer Covidinfektion oder einer Coronaimpfung aufgetreten.

"Jeder Mensch kann an GBS in jedem Lebensalter erkranken", sagt Schüttler. Die Krankheit tritt dem Chefarzt zufolge jährlich weltweit bei etwa einer von 100.000 Personen auf. Nach einer Genesung können Folgeschäden bleiben. In schweren Fällen tritt bei Betroffenen durch die Krankheit eine vorübergehende Lähmung ein, die teils so gravierend ist, dass die Erkrankten künstlich beatmet und ernährt werden müssen. So auch in Klebrigs Fall.
Die Erinnerungen fehlen
Sieben Monate später: Mit im Krankenhauszimmer in der Schön-Klinik in Bad Staffelstein sitzen an diesem Nachmittag Anfang Oktober auch Mama Beate und Papa Gerald Klebrig. Immer wieder ergreift Beate Klebrig das Wort. Blättert in einem kleinen schwarzen Tagebuch mit ihren Aufschrieben, den Notizen zu Dominiks Symptomen, seinem Krankheitsverlauf. Sie schildert, woran sich ihr Sohn nicht mehr erinnern kann. Die Geschichte, die die Familie an diesem Tag erzählt, ist keine leichte. Was Dominik Klebrig erlebt hat, das will kein Mensch am eigenen Leib erfahren.

Zurück ins Coburger Krankenhaus: Dominiks Zustand verschlechtert sich rapide. Innerhalb von wenigen Tagen geht gar nichts mehr. Er kann nicht mehr schlucken, nicht mehr laufen. "Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Nur meinen Kopf nach links und rechts drehen", sagt Dominik Klebrig. Er bekommt eine Nasensonde, muss künstlich ernährt werden.

Dann kommen die Schmerzen. "Das waren keine normalen Schmerzen. Das waren die Nerven", erklärt der 36-Jährige. Er erhält Morphium. "Aber Medikamente haben nichts genützt." Es kommt noch schlimmer. Dominik Klebrig bleibt die Luft weg. In der Nacht schreibt er seiner Mutter, dass er Probleme mit dem Atmen hat. "Er hat wahnsinnige Angst bekommen", erinnert sich die 55-Jährige.
Die Geräte halten Dominik Klebrig am Leben
Nun geht es Schlag auf Schlag. Tags darauf, am 15. März, wird Dominik Klebrig intubiert und ins künstliche Koma versetzt. Innerhalb von wenigen Tagen hat das Guillain-Barré-Syndrom dem 36-Jährigen jegliche Selbstständigkeit genommen. Eine Armada aus medizinischen Geräten, Kanülen, Kathetern und Schläuchen hält den jungen Mann nun am Leben. Versorgt seinen Körper. Nimmt seiner Lunge, seiner Blase und Co. die Arbeiten ab, die die Organe selbstständig nicht mehr schaffen.

Zeitgleich beginnt die Behandlung. Dominik bekommt eine Plasmapherese. "Da wird das eigene Blutplasma gewaschen und dem Körper gereinigt wieder zugeführt", erklärt Mama Beate. Dabei werden die Antikörper, die den eigenen Körper angreifen, entfernt. Ihr Sohn bekommt von all dem nichts mit. Für die Familie aus Maroldsweisach eine schwierige Zeit. "Wir haben als Familie in der Zeit einfach nur funktioniert", sagt die 55-Jährige.
"Wir haben als Familie in der Zeit einfach nur funktioniert."
Beate Klebrig, Mutter von Dominik
Knapp eine Woche später wird Dominik aus dem künstlichen Koma geholt, der Tubus wird entfernt, stattdessen ein Luftröhrenschnitt gesetzt. Zwei Tage später wird der Maroldsweisacher auf die Intensivstation der Schön-Klinik in Bad Staffelstein verlegt. Zu diesem Zeitpunkt kann Dominik Klebrig nur noch mit seinen Augen kommunizieren. "Bei GBS muss die Intensivreha ganz schnell anfangen", berichtet Beate Klebrig. "Je weniger du bewegt wirst, desto weniger bekommst du das hin mit den Nerven."

Aus Stunden werden Tage, aus Tagen werden Wochen. Doch für Dominik Klebrig steht die Zeit still. Bewegen kann er sich in dieser Zeit weiterhin kaum – nach einiger Zeit kann der 36-Jährige aber zumindest wieder seinen Kopf hin und her drehen. Sprechen kann er zu diesem Zeitpunkt nicht.
Keine Worte, keine Gesten
Wer nicht sprechen, wer nicht gestikulieren kann, der muss kreativ werden, was die Kommunikation angeht: Klebrigs Familie nimmt eine Abc-Tafel mit ins Krankenhaus. Der Reihe nach fahren die Familienmitglieder das Abc mit dem Finger ab. Beim richtigen Buchstaben nickt Dominik. Es dauert, bis die Buchstaben zu Worten, später zu Sätzen werden.

"Es war oft Frust da, auf beiden Seiten. Weil wir nicht verstanden haben, was er von uns wollte", berichtet die Mutter. Und Dominik ergänzt: "Ich war so sauer, dass das Gerät für Herzschlag und Co. gesponnen hat, wenn ich mich aufgeregt habe. Meine Familie hat schon gemerkt, dass dann irgendwas nicht passt. Aber es war halt schwierig zu kommunizieren."
"Am schlimmsten war es, nichts machen zu können. Gefangen zu sein, im eigenen Körper."
Dominik Klebrig, GBS-Patient
Mitte April sitzt Dominik täglich zwei Stunden im Mobilizer – einer Art Rollstuhl, der sich von der Liege- in die Sitzposition verstellen lässt. Er ist mit Gurten fixiert, damit er nicht herausfällt. Noch immer kann sich Dominik nicht bewegen. "Am schlimmsten war es, nichts machen zu können. Gefangen zu sein, im eigenen Körper", beschreibt es der 36-Jährige. "Du kannst nicht reden, du kannst nicht mit den Händen kommunizieren, du musst alles über dich ergehen lassen."
Eine psychische Belastung
Die Situation schlägt auch auf seine Psyche. Immer wieder fragt er sich, wie es weitergeht, berichtet er. "Komme ich wieder auf die Beine oder bleibe ich für immer so liegen und kann nichts machen?" Bei seiner Prognose seien die Ärzte vorsichtig gewesen: Zwischen acht Wochen und zwei Jahren könne es dauern, bis Klebrig wieder fit ist.

Ende Mai spricht der junge Mann zum ersten Mal nach Wochen wieder einen vollständigen Satz. Mitte Juni startet die Früh-Reha. Und die ist nötig. "Du kannst nichts mehr. Du musst alles wieder lernen", sagt Dominik Klebrig. "Zwar weißt du im Kopf, wie es geht – aber du hast die Kraft nicht mehr dazu."
Die Familie gibt ihm Kraft
Er bekommt Physiotherapie, Ergotherapie, wird auch logopädisch behandelt. "Man hofft, dass es weiter geht, dass es aufwärts geht", sagt Vater Gerald. "Man kann Dominik immer anschubsen. Aber im Endeffekt muss er selbst kämpfen." Und Dominik kämpft an. Gegen die dunklen Gedanken. Und gegen die Krankheit. Kraft gibt ihm in dieser Zeit vor allem seine Familie.
Den Sommer über verschwindet der künstliche Luftröhrenzugang, dann der Blasenkatheter. Nach und nach werden die Zugänge, Sonden und Kabel, an die der Monteur angeschlossen ist, entfernt. Der 36-Jährige gewinnt in kleinen Schritten seine Selbstständigkeit zurück. "Ich bin für meinen Krankheitsverlauf ziemlich schnell. Aber das liegt dran, dass ich viel selber mache", ist Dominik Klebrig überzeugt. Genesung sei nicht nur eine Sache der Geduld – sondern auch der Willenskraft.

"Irgendwann kommst du an einen Punkt, da musst du nur noch trainieren", sagt er. Bis der nächste kleine Meilenstein kommt. "Du musst immer über die Schmerzgrenze hinaus. Wenn ich aufhöre, wenn es gerade schwierig wird, dann bleibe ich auf dem Stand stehen." 500 Meter weit schafft er es mit seinen Krücken aktuell. "Dann fangen die Beine an zu zittern. Die Kraft fehlt, dann ist alles wie Wackelpudding."
Das Weihnachtsfest will Dominik Klebrig zu Hause verbringen
Der Weg zurück in die Selbstständigkeit ist noch lange. Dass er ihm gelingen wird, davon ist der 36-Jährige überzeugt. Erstmal hat Dominik Klebrig aber ein großes Ziel vor Augen – oder besser gesagt zwei Wünsche: Bis Weihnachten möchte er es nach Hause schaffen, nach Maroldsweisach, zu seiner Familie. Und dann im Brauerei Gasthof Hartleb ein Hähnchen essen.