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ERMERSHAUSEN: Gespenstische Atmosphäre am „Schwarzen Freitag“

ERMERSHAUSEN

Gespenstische Atmosphäre am „Schwarzen Freitag“

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    Zum Polizeieinsatz in Ermershausen erschien tags darauf ein vierseitiger Sonderdruck des „Boten vom Haßgau“.
    Zum Polizeieinsatz in Ermershausen erschien tags darauf ein vierseitiger Sonderdruck des „Boten vom Haßgau“. Foto: Repro: Beate Dahinten

    „Es war schrecklich“, erinnert sich Lydia Steuter. „Ich konnte nie verstehen, dass so etwas in einer Demokratie passiert.“ Am Samstag jährt sich zum 40. Mal das Ereignis, das Ermershausen bundesweit in die Schlagzeilen brachte: Der Ort hatte sich dagegen zur Wehr gesetzt, im Rahmen der Gebietsreform in Maroldsweisach eingemeindet zu werden. So hatten sich die Ermershäuser auch gewehrt, die Gemeindeakten herauszugeben. Am 19. Mai 1978 rückten dann mehrere hundert Polizisten an, um die Dokumente aus dem Rathaus zu holen.

    „Ich konnte nie verstehen, dass so etwas in einer Demokratie passiert.“

    Lydia Steuter, Augenzeugin

    Für den heutigen Altbürgermeister Werner Döhler war es „das furchtbarste Erlebnis, das ich bis dahin gehabt habe.“ So wie ihm und Lydia Steuter ging es vielen Ermershäusern. Der nächtliche Polizeieinsatz im und am Rathaus vor 40 Jahren hat sich tief in das kollektive Gedächtnis des Dorfes eingeprägt.

    Heute überwiegt freilich die Freude über das Wiedererlangen der Selbstständigkeit 16 Jahre später, das Verhältnis zur benachbarten Marktgemeinde ist ausgesprochen gut. Und niemand holt die Erinnerungen an den Tag gerne hervor. So ganz vergessen jedoch sind die Ereignisse dieses Freitags nun mal nicht.

    Allerdings wird in den Gesprächen auch deutlich: Was damals wie ein herber Rückschlag im Kampf gegen die Eingemeindung nach Maroldsweisach erschien, hat letzten Endes mehr dem Bestreben der Ermershäuser gedient als dazu beigetragen, den Willen der Obrigkeit durchzusetzen. Denn: „Trotz allem hat die Aktion die Dorfgemeinschaft zusammengeschweißt“, sagt Werner Döhler. „Wenn es die Aktion nicht gegeben hätte, weiß ich nicht, ob sich der Widerstand hätte weiterführen lassen.“

    Döhler, damals Anfang 30, war Mitglied der Bürgergemeinschaft, in der sich der Widerstand organisiert hatte, und unterstützte Adolf Höhn. Höhn war von 1972 bis 1978 sowie von 1994 bis 2002 Bürgermeister der Gemeinde Ermershausen – und die Leitfigur im Ringen um die Selbstständigkeit.

    Jahrelang bestand dieser Kampf hauptsächlich in unzähligen Briefen, Gesprächen und Verhandlungen mit Behördenvertretern, war mehr eine Kopfsache. Und manch einer im Ort glaubte schon nicht mehr an einen Erfolg. Doch der nächtliche „Überfall“ – als solchen empfanden die Bürger den Polizeieinsatz – gab dem Widerstand gewissermaßen einen emotionalen Schub.

    „Die Atmosphäre war gespenstisch“, berichtet Werner Döhler. „Die Behörden waren mit allem verfügbaren Gerät angerückt.“ Und so ziemlich das ganze Dorf war auf den Beinen. Zuerst habe er gar nicht so realisiert, was da passierte. Dann war es für ihn „ein großer Schock“, der schließlich in „Wut und Enttäuschung“ mündete. Die Ereignisse sorgten für viele erhitzte Gemüter. „Adolf Höhn hat versucht, die Leute zu beruhigen“, erzählt Döhler, „zuletzt hat es sich nur darum gedreht“.

    Polizisten hatten eine menschliche Mauer um den Rathausplatz gebildet, auch die Zufahrtswege nach Ermershausen waren gesperrt.

    BR-Reporter Hanns Friedrich, den Höhn um 4 Uhr aus dem Bett geklingelt hatte, gelangte trotzdem in den Ort. „Chaos, Chaos“, beschreibt Friedrich, seinen ersten Eindruck. „Alles war voller Polizei, dazwischen Bürger aus Ermershausen. Und es war sehr laut. Die Glocken haben geläutet, es gab viel Geschrei.“ Auch Ivo Martin war von Höhn verständigt worden und auf Schleichwegen nach Ermershausen gelangt. Der damalige Verleger des „Bote vom Haßgau“ gab sogar einen Sonderdruck heraus: „Schwarzer Freitag“ in Ermershausen.

    Auch Lydia Steuter spricht von einem „allgemeinen Getümmel“. „Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte, war fast wie erstarrt.“ Sie war mit ihrer Familie erst ein Jahr vorher zugezogen. Dass ihr Mann Otmar damals Konrektor an der Hauptschule in Maroldsweisach war, machte die Sache für die beiden besonders heikel.

    Der Polizeieinsatz hatte gegen 3.30 Uhr begonnen und dauerte etwa eine Stunde. Die Polizisten holten die Akten und die Möbel der Gemeinde Ermershausen aus dem bis dahin von Bürgern bewachten Rathaus und luden sie auf einen Lkw, um sie dann nach Maroldsweisach zu bringen. Ziel war es laut damaliger Pressemitteilung des Landratsamtes, dass die Verwaltung des Marktes Maroldsweisach ihre Aufgaben auch für den neuen Gemeindeteil wahrnehmen konnte. Die Gebietsreform, im Zuge derer Ermershausen der Marktgemeinde zugeordnet worden war, war am 1. Mai in Kraft getreten. Erste Versuche, an die Akten zu gelangen, hatten die Ermershäuser abgewehrt.

    Zu den wenigen Bürgern, die an dem frühen Freitagmorgen im Bett geblieben waren, gehörte Brigitte Lüdecke. „Es war vielleicht gut so“, sagt sie heute und deutet an, dass sie in ihrem jugendlichen Alter womöglich zu aufgebracht gewesen wäre, hätte sie das Geschehen am Rathaus mitverfolgt. Als gebürtige Ermershäuserin war sie gegen die Eingemeindung, als Verwaltungsangestellte der Gemeinde Ermershausen hatte sie einen denkbar engen Bezug zu den Akten, und seit dem 1. Mai war das Maroldsweisacher Rathaus ihr Dienstort. Doch die Polizeiaktion gab für sie den Ausschlag, ihre Kündigung einzureichen.

    Die Polizei war übrigens an jenem Freitag nochmals im Einsatz: Nachdem der größte Teil des Aufgebots abgezogen war, reagierten die Bürger ihrerseits mit einer Straßensperre. Ein Baumstamm und ein umgestürztes Auto blockierten die B 279. Am Abend stand das Auto sogar in Flammen. So dramatisch wie bei heutigen Straßenprotesten war die Sache allerdings nicht: Es handelte sich um ein altes Gefährt, das die Ermershäuser Feuerwehr bis dato zu Übungszwecken genutzt hatte.

    Die Polizei versuchte vergeblich, den Brand zu löschen, also übernahmen das Ermershäuser Bürger selbst. Für ihren Vater, den damaligen Feuerwehrkommandanten Georg Franz, sei das keine einfache Situation gewesen, berichtet Brigitte Lüdecke.

    „Die Behörden waren mit allem verfügbaren Gerät angerückt.“

    Werner Döhler, Altbürgermeister

    Im Rückblick staunt sie selbst, wie viel Zeit, Energie und Geld die Ermershäuser im Kampf um die Selbstständigkeit investiert haben. „Es hat sich alles nur noch um diese Sache gedreht.“ Inzwischen habe sich viel verändert. „Ob‘s heut nochmal möglich wäre? Ich kann‘s mir nicht vorstellen.“

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