Gut, dass skandinavische Stechmücken nicht das Coronavirus übertragen. Ansonsten wären Inge und Manfred Wagner bei der Unzahl von Stichen, die die beiden 64-Jährigen bei ihrer Radtour zum Nordkap abbekamen, mit hoher Wahrscheinlichkeit infiziert worden. Die Reise zum Dach Europas führte das Ehepaar aus Holzhausen erst mal mit der Fähre nach Helsinki. Dann ging es mit den Reiserädern - wohlgemerkt ohne elektrischen Antrieb - durch Finnland und Norwegen. Am nördlichen Ende des Kontinents erwartete Wagner eine wilde und farbenfrohe Natur mit Zeltabenden, an denen die Sonne nicht untergehen wollte.

Eine Reise nach Skandinavien ist immer mit intensiven Naturerlebnissen verbunden. Das sogenannte Jedermannsrecht erlaubt es allen, eine Nacht auf unkultiviertem Land in der freien Natur zu verbringen - solange man niemanden stört und den Platz wieder sauber verlässt. Ideal für ein Radlerpaar wie die Wagners, die sich einen schönen und ungestörten Zeltplatz immer dann suchten, wenn kein offizieller Campingplatz erreichbar war. Natürlich muss man in diesem Fall mit einer Körperwäsche an einem Bachlauf oder einer Flaschendusche auskommen. Fast regelmäßig kochten die Unterfranken auf ihrem kleinen Holzvergaser-Kocher ein leckeres Gericht aus selbst gesammelten Pilzen. Zum Frühstück am nächsten Morgen wurde die Müslischale mit ebenfalls selbst gesammelten Blaubeeren bereichert.

Diese einfache, um nicht zu sagen primitive Art der Reise schont einerseits das Reisebudget und beschert andererseits elementare Erlebnisse und Erfahrungen. Man spürt Wind und Wetter hautnah, sieht fantastische Landschaften und atemberaubende Sonnenuntergänge, hört, wie die Vögel zwitschern, wie die Blätter im Wind wehen und wie nachts die Mäuse im dürren Laub rascheln. In der dünn besiedelten Region der Samen beobachteten sie täglich viele Rentiere. Ein finnisches Sprichwort passt zu diesem Lebensgefühl: "Gott hat die Zeit erschaffen, von Eile hat er nichts gesagt!"
Skandinavische Schattenseiten
Bevor man aber zu sehr ins Schwärmen gerät, sollte man sich klarmachen, dass ein solches Leben in und mit der Natur kann auch seine Schattenseiten haben kann: Anhaltendes Schmuddelwetter, plötzliche Graupelschauer, eiskalte Nächte, nasse Klamotten und vor allem Abertausende von Moskitos. Ohne Spray und Spirale war es für die Franken nicht auszuhalten. Wer realistisch bleibt, weiß, dass diese Kontraste in der Natur der Natur liegen.

Wettermäßig hatten die Radler aus den Haßbergen jedoch großes Glück. Obwohl sie Hunderte von Kilometern nördlich des Polarkreises unterwegs waren, regnete es nur wenig und nachmittags war es mitunter so heiß, dass sie sich mit Sonnenschutzmittel eincremten und in kurzen Hosen fuhren. Für Fernradler hat der skandinavische Sommer den unschätzbaren Vorteil, dass man abends so lange fahren kann, wie man will. Trinkwasser ist ebenfalls kein Problem, denn man kann sich bedenkenlos aus fließenden Gewässern bedienen.
Tunnel zum Nordkap
Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ auf beide der sieben Kilometer lange Nordkaptunnel. Er führt unter dem Meer auf die Insel Magerøya, auf der das Nordkap liegt. Während die erste Hälfte des Tunnels steil nach unten führt, steigt die zweite Hälfte steil bergan. Am Tunnelausgang erwartete die Radler eine weiße Nebelwand und sie wurden vom orkanartig fauchenden Sturm mit peitschendem Regen fast weggeblasen. Am nächsten Tag dann das Kontrastprogramm: Bei schönstem Sonnenschein radelten die Wagners zum Nordkap - mit freiem Eintritt in die Nordkaphalle. Fußgänger und Radler müssen nichts zahlen.

Nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, machten sie sich auf die Heimreise. Mit Bus, Zug und Fähre, weil die Wagner aus Umweltgründen auf das Flugzeug gerne verzichten. Möglich ist das nur, weil beide nicht mehr beruflich eingespannt sind und genügend Zeit haben. Diese Zeit will Manfred Wagner nutzen, um sein nächstes Projekt umzusetzen: Er will ein Buch fertig schreiben und veröffentlichen, in dem er viele seiner kuriosen, humorvollen, nachdenklichen und manchmal auch unglaublichen Erlebnisse auf seinen weltweiten Radreisen schildern wird. Das Buch soll unter folgendem Titel erscheinen: "Die Kanalratte in Kasachstan. Radabenteuer in aller Welt - von A wie Albanien bis Z wie Zypern."