Werksschließung bei Schaeffler in Eltmann, Stellenabbau bei Valeo in Ebern und Fischbach, Einsparungen bei Bosch Rexroth in Haßfurt: Der Industriestandort Haßberge hat in den vergangenen Jahren einen Nackenschlag nach dem anderen hinnehmen müssen.
Besonders besorgniserregend ist dabei die Entwicklung im nördlichen Landkreis, wo der französische Milliardenkonzern Valeo das Personal an seinen Standorten immer stärker ausdünnt. Andrea Sicker, 40, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Bamberg, betreut die betroffenen Betriebe in Ebern und Fischbach. Im Interview spricht die Gewerkschafterin über drohende Werksschließungen, die Misere bei Valeo in der Region und was nun getan werden muss, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Frage: Frau Sicker, blutet der Industriestandort Haßberge nach und nach aus?
Andrea Sicker: Es bereitet mir große Sorgen, dass die Potenziale und Chancen, die der Industriestandort ganz gewiss hat, von wichtigen Unternehmen zu wenig genutzt werden. Dabei gibt es eine ausgeprägte Kompetenz unter den Beschäftigten, und auch eine hohe Identifikation mit den Unternehmen und mit der Region.
Drohen dem Landkreis Werksschließungen?
Sicker: Das kann man nicht ausschließen. Leider fehlt es bei einigen großen Unternehmen an Innovationen. Die bräuchte es, um die Industrieregion Haßberge für die Zukunft gut aufzustellen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es passiert viel Gutes hier im Landkreis. Viele Unternehmen sind vorbildlich.
Einer der größten Arbeitgeber im Landkreis und das wirtschaftlich derzeit wohl größte Sorgenkind ist Valeo in Ebern. Sie betreuen unter anderem diesen Standort.
Sicker: Richtig.
"Ein weiteres Thema [bei Valeo] ist [...] die überbordende interne Bürokratie, die zusätzlich die Entwicklung bremst."
Andrea Sicker, IG Metall
Valeos Vorstandschef Christophe Périllat erklärte vor einem Jahr in einem Interview, dass auch die hohen Löhne ein großes Problem für den Konzern seien. Sind die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften also selbst schuld an der Misere?
Sicker: Nein, sind wir nicht! Aus unserer Perspektive werden Lohnverzicht, Sparmaßnahmen, Personalabbau und Werksverlagerungen die Probleme in der Zuliefererindustrie für die Automobilwirtschaft auch nicht lösen. Die Unternehmen sind gut beraten, wenn sie auf ihre Beschäftigten bauen. Zukunft gelingt nur, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht. Das vermissen wir, besonders bei Valeo.
Was genau meinen Sie damit?
Sicker: Die wirtschaftliche Lage ist eine schwierige, das ist klar. Aber die Probleme, die die Branche betreffen, sind ein Stück weit hausgemacht. Es gibt viele Versäumnisse. Man hat es sich in der Auto- und Zuliefererindustrie in den vergangenen Jahren zu bequem gemacht und wichtige Entwicklungen verkannt. Es wurden strategische Fehlentscheidungen getroffen, die die Unternehmen nun Milliarden kosten. Und was bei Valeo ein weiteres Thema ist, ist die überbordende interne Bürokratie, die zusätzlich die Entwicklung bremst. Kurzum: Es fehlt an Innovationsfähigkeit. Aber statt Fehler einzugestehen und den Standort mit neuen Produkten zukunftsfähig zu machen, schaut man einseitig auf Personalkosten, ohne die Bereitschaft für Alternativen.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Valeo aus?
Sicker: Bis zum erneuten Personalabbau 2024 war sie konstruktiv und es gab ein gemeinsames Verständnis, an einem Zukunftskonzept für den Standort zu arbeiten. Heute bin ich enttäuscht über die Ideen- und Mutlosigkeit, die uns in der Valeo-Führung begegnet. Wir haben in dieser schwierigen Situation über einen Brief Kontakt zum französischen Management gesucht. Einerseits, um unserer Sorge Ausdruck zu verleihen, was den wiederholten Stellenabbau betrifft. Andererseits, um Vorschläge zu machen, die wir gemeinsam mit den Beschäftigten erarbeitet haben, wie man die Standorte für die Zukunft aufstellen könnte.
Das klingt nicht nach maximalem Druck. Ist Arbeitskampf keine Option?
Sicker: Wir schließen nichts aus. Aber dafür müssen die Voraussetzungen erfüllt sein. Und um Ihrem Vorwurf entgegenzutreten: Ich finde nicht, dass wir zu wenig Druck aufgebaut haben. Wir haben, als 2021 die zweite Restrukturierung bei Valeo in Ebern anstand, sehr wohl gesagt, dass es so nicht weitergehen kann.

Aber es ging so weiter.
Sicker: Wir haben damals gesagt: Wenn wir uns jetzt nicht für die Zukunft des Standorts einsetzen, dann geht das schief. Wir wollten deshalb die Zeit nutzen, um mit den Beschäftigten und dem Unternehmen eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten, um eine Nachverbrennerstrategie für das Werk in Ebern zu entwickeln. Dazu haben wir im Rahmen der Verhandlungen über das Abfindungsprogramm und den Sozialplan Gespräche über eine Zukunftsvereinbarung begonnen. Darin wollten wir mit dem Arbeitgeber definieren, wie ein mögliches Zukunftskonzept aussieht. Wir wollten zeigen, welche Vorschläge und Ideen wir haben. Und auch darüber diskutieren, was das Unternehmen benötigt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern – und welchen Anteil die Belegschaft leisten kann. Für mich klingt das sehr konstruktiv.
"Das Unternehmen [Valeo] hat die Gespräche zur Zukunftsvereinbarung mit dem Abbau von 280 Arbeitsplätzen zunichtegemacht."
Andrea Sicker, IG Metall
Wie steht es um diese Zukunftsvereinbarung?
Sicker: Das Unternehmen hat die Gespräche zur Zukunftsvereinbarung mit dem Abbau von 280 Arbeitsplätzen zunichtegemacht. Seitdem ist Vertrauen verloren gegangen. Betriebsrat und IG Metall haben die Initiative ergriffen, um eine Perspektive für die Beschäftigten und den Standort zu schaffen. Das wäre eigentlich Aufgabe des Managements.
Treten Gewerkschaften heute zu zahm und zahnlos auf?
Sicker: Dass wir nicht zahm und zahnlos sind, zeigen die Warnstreikbeteiligungen in den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, auch in Ebern. Die IG Metall hat bundesweit über 2,1 Millionen Mitglieder. Das verschafft uns – neben dem Einfluss auf die Politik, im Bund, im Land und auf regionaler und kommunaler Ebene – Durchsetzungskraft in den Betrieben. Wir können keine unternehmerischen Entscheidungen treffen. Aber wir können Druck ausüben, Gespräche und Verhandlungen führen, Alternativen aufzeigen, die Beschäftigten beteiligen und natürlich auch zu Aktionen aufrufen. In Ebern haben wir beispielsweise öffentlichkeitswirksam eine Menschenkette um das Werk gebildet. Innerhalb des Standorts gab es Aktionen. Wir sind handlungs- und durchsetzungsfähig und stehen an der Seite der Beschäftigten. Wir sind in der heutigen Zeit als gestaltende Kraft für die Arbeitswelt wichtiger denn je.
Was muss eine gute Gewerkschafterin oder ein guter Gewerkschafter mitbringen?
Sicker: Es braucht Leute, die das Herz bei den Menschen haben. Die mit Klugheit vorangehen, Ideen entwickeln, auch auf der leisen Ebene Gespräche führen können, die nach vorne gerichtet sind. Und die auf der anderen Seite im Zweifel sagen können: Jetzt ist eine rote Linie überschritten. Jetzt fahren wir die Ellenbogen aus und tragen die Themen, wenn es sein muss, auf die Straße.

Was ist denn die rote Linie mit Blick auf Valeo im Landkreis Haßberge?
Sicker: Die Tarifbindung. Aber grundsätzlich gilt: Wir waren bereit, einen Beitrag zu leisten, um den Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen, das hat die Diskussion mit den Beschäftigten und unseren Mitgliedern gezeigt. Doch das ist keine Einbahnstraße. Für die Belegschaft braucht es im Gegenzug eine Perspektive, Nachfolgeprodukte und eine Standortgarantie. Valeo war zu einer solchen Zusage in den bisherigen Gesprächen nicht bereit. Wir setzen uns aber nicht auf einen ungedeckten Scheck. Wenn wir etwas hergeben, dann brauchen wir eine Sicherheit, die Sicherheit der Zukunft.
Wie wichtig sind die Industriearbeitsplätze für den Landkreis Haßberge?
Sicker: Diese Jobs bringen den Beschäftigten ein gutes Einkommen. Sie bedeuten ein Stück weit Wohlstand für den gesamten ländlichen Raum. Von der hohen Kaufkraft profitiert die lokale Wirtschaft. Und für die Städte und Gemeinden schaffen sie finanzielle Spielräume und Investitionsmöglichkeiten. Dadurch profitieren am Ende alle Menschen. Dieser Wohlstand für alle steht zumindest zu einem gewissen Teil auf dem Spiel.
Wenn nicht gegengesteuert wird.
Sicker: Ja.
Wie optimistisch sind Sie, dass bereits verlorene Arbeitsplätze zurückkommen?
Sicker: Die Bundestagswahl ist aus meiner Sicht richtungsweisend. Die Politik muss gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und den Industriestandort Deutschland schaffen. Mit Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in Industrieregionen und in Unternehmensförderung. Dann ist es nicht aussichtslos.
Aber die kriselnden Standorte müssen überleben, bis diese Maßnahmen Wirkung zeigen.
Sicker: Richtig. Das ist der Appell, den wir an die hier ansässigen Unternehmen richten: Haltet durch! Zeigt einen langen Atem! Investiert in Belegschaft und damit in die Zukunft! Fachkräfte sind schnell entlassen. Sie aber später wiederzufinden, wird umso schwieriger.
Zur Person und GewerkschaftAndrea Sicker (40) ist Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Bamberg. Die dort angesiedelte Geschäftsstelle betreut den nördlichen Landkreis Haßberge mit den Valeo-Standorten in Ebern und Fischbach sowie Innomotics (WEISS Spindeltechnologie) in Maroldsweisach. Die Unternehmen im restlichen Landkreis liegen im Zuständigkeitsbereich der IG-Metall-Geschäftsstelle Schweinfurt. IG Metall