Sein Einstieg in einen fast dreistündigen Vortragsabend im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg versetzte den Zuhörern sofort einen Stich ins Herz: "Ich bin ein ehemaliger Häftling des Ghettos Schargorod. Ich habe überlebt." So stellte sich der hochgewachsene, schlanke, vitale 87-jährige Boris Zabarko selbst vor.
Bis heute spüre er Scham, weil er überlebt habe, während andere grausam starben. Vielleicht sei diese Scham ein Grund, warum er Erinnerungen von Zeitzeugen gesammelt und wissenschaftlich aufgearbeitet habe, sagte der ukrainische Holocaust-Überlebende und Historiker. Professor Dr. Boris Zabarko ist Präsident der ukrainischen Vereinigung jüdischer ehemaliger Häftlinge der Ghettos und nationalsozialistischen Konzentrationslager, Leiter des Wissenschafts- und Bildungszentrums "Erinnerung an die Katastrophe" sowie Autor von über 260 international veröffentlichten Büchern und Artikeln. Er war nach eigenen Angaben einer der ersten Wissenschaftler in Ost- und Westeuropa, der das Thema Shoah für die Ukraine erforschte.
"Vor der Wende 1991 gab es keine Forschung zum Holocaust in der Sowjetunion, weder in Ost noch in West", erklärte Zabarko. Nach 1945 sei in der Sowjetunion eine Welle des Antisemitismus über die Überlebenden des Holocaust hinweggerollt. Der Holocaust "war sehr lange ein Tabu und kein Thema". Selbst nicht in der Sowjetisch-Deutschen Historikerkommission, dessen Mitglied er von 1971 bis 1991 gewesen sei. "Alles, was ich tun konnte, war spät. Wir haben uns unserer Geschichte beraubt", stellte Professor Zabarko nüchtern fest.
Furchtbarstes Ereignis im 20. Jahrhunderts
Der Holocaust in der Ukraine und anderswo sei das furchtbarste Ereignis im 20. Jahrhundert gewesen, blickt der Redner auf die erste Katastrophe in seinem Leben zurück. Die zweite ist für ihn der aktuelle Krieg in seiner Heimat, aus der er mit seiner Tochter und Enkelin im März 2022 nach Stuttgart zu Angehörigen floh. Also ausgerechnet nach Deutschland, das ihn vor 80 Jahren systematisch verfolgt hatte. Boris Zabarko zeigt sich für die erfahrene Hilfe in diesem Zufluchtsland ausgesprochen dankbar: "Danke, danke, danke! Ich hoffe, dass die Zukunft besser wird!"
Doch Skepsis schwang in seinen Worten mit: "Wenn wir gut die Lektionen der beiden Weltkriege gelernt hätten, gäbe es den neuen Krieg nicht." Und: "Der Antisemitismus nimmt in der Welt zu, das Interesse am Holocaust nimmt ab." Umso wichtiger sind dem Überlebendem Begegnungen mit Interessenten wie in Bamberg. Diese erfahren erschütternde Details aus der ukrainischen Vergangenheit: Eineinhalb Millionen Juden wurden allein in der Ukraine von Deutschen ermordet. Vergast, massenweise erschossen – "und am furchtbaren Leben in Ghettos zugrunde gegangen".
Schilderung mit fester Stimme
Was Boris Zabarko schilderte, was er mit fester Stimme von den Massakern von Babyn Jar, von Bila Zerkwa, von unmenschlichen Verhältnissen in "seinem" Ghetto Schargorod in Transnistrien berichtete - von 1941 bis 1944 unter deutschem Einfluss stehendes rumänisches Besatzungsgebiet -, ließ die Zuhörer erschauern. Es berührte zutiefst, wie der alte Mann von seiner Mutter und seinem kleinen Bruder, seinen Großeltern erzählte. Vom Vater, einem Straßenbauingenieur, der als Soldat an die Front musste und fiel.
"Deutschland hat den Holocaust entfaltet, aber nicht allein", bilanzierte Zabarko. Viele europäische Völker hätten als Kollaborateure Deutsche unterstützt, "die ganze Welt hat Juden nicht geholfen". Es habe andernorts der gleiche Antisemitismus geherrscht wie in Deutschland.
"Wir Zeitzeugen sind die Letzten, die ihn überlebt haben, und ihr seid die Letzten, die einen Zeitzeugen erlebt haben!" Professor Boris Zabarko stand stundenlang aufrecht vor den Besuchern des Abends in der jüdischen Gemeinde. So wie er sagen konnte "Ich werde den Holocaust niemals vergessen", so bleiben die Ausführungen dieser Persönlichkeit aus der Ukraine unvergessen.