Ein Amt, das der Zeiler Ludwig Leisentritt schon vor acht Jahren "dankend abgelehnt" hat, weil er mehr seiner Heimat treu bleiben wollte, statt in Würzburg herumzukurven. Aber der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und Chef der Personalkommission, Ludwig Stiegler, hat ihn "breitgeschlagen", obwohl für den bald 63-jährigen Ludwig Leisentritt (Geburtstag am 10. September) in jetzt einem Monat "Feierabend" ist: Zum 1. Oktober 2000 geht er in Rente.
Bezirksvorsitzender und Verteidigungs-Staatssekretär Walter Kolbow, mit dem "ich mich sehr gut verstehe", nahm die Sache gelassen: "Bis dahin finden wir schon jemand", meinte er auf Leisentritts Einwand, er gehe doch schon in einem guten halben Jahr in Ruhestand, "was wollt ihr da jetzt noch mit mir".
Die "Seele der Sozis" sagt zum Abschied leise Servus. Genauso wie er mehr als 31 Jahre lang aus dem kleinen SPD-Bürgerbüro, einst ein Milch-Verkaufshäuschen, in der Theodor-Morung-Straße in Haßfurt Regie geführt hat. Und zwar für den Unterbezirk Rhön-Haßberge, der die Landkreise Haßberge, Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen (Wahlkreis für die Bundestagswahl) umfasst.
Ohne die Volksbegehren, Volksentscheide und unzähligen anderen Kampagnen hatte Leisentritt seit dem 10. März 1969 - damals hieß der Geschäftsführer noch "Parteisekretär" - 28 Wahlen vorzubereiten und durchzuführen. Die gewählten Mandatsträger hielten nicht so lange durch. Sie hießen bzw. heißen Dr. Wolfgang Stammberger, Dr. Hans de With, Susanne Kastner (alle Bund), Heiner Schneier, Volker von Truchseß sowie - als Betreuer von Schweinfurt aus, als die SPD in den drei Stimmkreisen kein Mandat erkämpfen konnten - Oskar Soldmann, Werner Hollwich und Ruth von Truchseß (alle Land). Hinzu kamen zehn SPD-Kreisvorsitzende, denen Ludwig Leisentritt mit Rat, Tat und organisatorischem Geschick zu Hand ging.
In die SPD eingetreten ist Ludwig Leisentritt, obwohl sein Onkel Karl Leisentritt (der "Kari") zweiter Bürgermeister von Zeil und im Kreis Haßfurt einer der maßgeblichen Sozialdemokraten der Nachkriegszeit war, erst mit 21 Jahren. "1958 habe ich auf dem Haßfurter Bahnsteig den Karl Mareth sen. getroffen und ihn gebeten, mich in die SPD aufzunehmen", schildert Leisentritt. 14 Tage später war er schon Jusovorsitzender von Zeil, kurz darauf Bezirksvorstandsmitglied der fränkischen Jusos.
Das Wort "Juso" (Jungsozialisten) liebt Leisentritt eigentlich überhaupt nicht. Für ihn ist es ein Relikt aus der Zeit der Klassenparteien. "Arbeitsgemeinschaft junger Sozialdemokraten" wäre für ihn die korrekte Bezeichnung, die er damals schon in seinem Stempel führte.
Highlight - Verzeihung, vermeidbare Anglizismen kann Leisentritt auf den Tod nicht leiden - , Höhepunkt in seiner Zeit als Geschäftsführer war der Wahlsieg von Willy Brandt 1972 ("Willy-Wahl"). "Die Partei war überall beflügelt. Mehr als 300 neue Mitglieder hat der Unterbezirk in diesen Jahren aufgenommen, darunter auch viele der heutigen Mandats- und Funktionsträger, wie Susanne Kastner, Werner Holzinger oder Günther Geiling", erinnert sich Leisentritt.
Natürlich gab es auch große Rückschläge. "Als Sozialdemokrat in einem Diaspora-Gebiet muss man einmal öfter aufstehen, als man niedergeschlagen wird", ist seine kämpferische Devise. "Ganz schlimm" war für den knapp 63-Jährigen die Bundestagswahlnacht 1987. Hochrechnungen sahen in Bayern Susanne Kastner auf der SPD-Liste schon klar im Bundestag. Dann kamen spät in der Nacht (die Zeitungen berichteten am Morgen danach fälschlich, Susanne Kastner wäre in den Bundestag eingezogen) die katastrophalen Ergebnisse aus den Wahlkreisen von München und der Platz war weg. Erst 1989 rückte Susanne Kastner für Anke Martiny-Glotz, die Senatorin in Berlin wurde, in den Bundestag nach.
"Ich habe nach jeder verlorenen Landtagswahl seit 1974 tiefschürfende Analysen gemacht. Immer kam heraus, dass die geringe Größe des Stimmkreises Haßberge der Hauptgrund ist. Das wird sich künftig ändern nach der Stimmkreisreform", ist Leisentritt überzeugt. Die politischen Strukturen hätten sich gar nicht so sehr gewandelt: "Wo die SPD stark oder schwach war, war sie es auch schon zur Kaiserzeit." Obwohl der politische Einfluss der Kirchen heute kaum noch vorhanden sei, habe die SPD ihre Hochburgen in Orten, wo der protestantische Bevölkerungsanteil hoch ist (Maroldsweisach, Rentweinsdorf, Königsberg, Untermerzbach).
Umgekehrt könne die SPD oft in katholisch geprägten Orten kaum einen Blumentopf gewinnen. "Am augenfälligsten ist das an den nur wenige hundert Meter auseinander liegenden Orten Oberhohenried (evangelisch) und Unterhohenried (katholisch) festzumachen", erklärt Leisentritt. "Freilich: die einstigen Hochburgen werden abgeschliffen - weniger jedoch durch politische Aktivitäten, sondern mehr durch die Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. Und dann sind es für Leisentritt die Mobilisierungskampagnen, das heißt, die möglichen Wähler der Partei tatsächlich zur Wahlurne zu bringen.
"Ein schwieriges Unterfangen beim derzeitigen Vertrauensverlust der Parteien, zu denen es eigentlich keine Alternativen gibt." Zudem sieht er die Zahl der Wechselwähler rapide zunehmen. Früher hätte die SPD in Sand nie einen Bürgermeister durchbringen können, umgekehrt wäre es kaum denkbar gewesen, dass die CSU in Schweinfurt den OB stellt. "Es funktioniert nicht mehr die sarkastische Behauptung, einen Besenstil hinstellen zu können mit einem schwarzen oder roten Lappen darüber, dann wird der auch gewählt. Und das ist gut so.
Leisentritt ist als Geschäftsführer seiner Partei nicht nur der organisatorische Ansprechpartner von Ortsvereinen, Funktionären oder Mandatsträgern, sondern auch selbst jahrzehntelang in politischen Gremien tätig. Seit 1977 ist er Stadtrat in Zeil, seit 1978 Kreisrat im Kreistag des Landkreises Haßberge, seit fast 20 Jahren stellvertretender Kreisvorsitzender der Europaunion, von Mitgliedschaften in der Gewerkschaft und Vereinen gar nicht zu reden.
"Es gibt einige Weggefährten, die für mich Vorbild waren", schildert er. An erster Stelle nennt er Heiner Schneier, der "mich in jungen Jahren gefördert und unterstützt hat." Bewundert hat er die Disziplin und "geradezu preußische Pflichterfüllung" von Erich Heß. Und die "Urwüchsigkeit im Formulieren und Argumentieren" des verstorbenen, ehemaligen Kreisvorsitzenden Franz Müller hat ihn fasziniert. Von politischen Gegnern kann man auch einiges abgucken", meint Leisentritt. Es imponiert ihn, wie "manchmal Landrat Rudolf Handwerker souverän und ohne wenn und aber mal einen Fehler eingesteht und wegsteckt. Das verdient Respekt".
Überhaupt hat Ludwig Leisentritt ("In der Kommunalpolitik darf es keine Regierung und keine Opposition geben") keine Berührungsängste mit politischen Konkurrenten. Er war sogar schon einmal Teilnehmer einer CSU-Gruppenreise. "Meinen unlängst verstorbenen CSU-Kollegen Oskar Brückner habe ich damals auf dem Flughafen in Frankfurt getroffen. Als ich ihm erzählte, dass ich mit seiner Reisegruppe nach Mallorca fliege, war er ganz baff. Er wollte es nicht glauben. Wir haben im Urlaub über Gott und die Welt gesprochen, nur nicht über Politik. Die war tabu."
Langweilig wird es Ludwig Leisentritt im Ruhestand nicht werden. Auf seinem Schreibtisch in seinem Zeiler Haus liegt stets irgendein Manuskript, meist zu historischen und heimatgeschichtlichen Hintergründen. Drei Bücher (u.a. "Geschichten, Episoden und Anektoden aus dem Landkreis Haßberge"), ein Stadtführer und zahlreiche Publikationen sind bereits erschienen. Darunter auch "Von der Hand- zur Fabrikweberei". Denn Leisentritt hat in ganz jungen Jahren von 1953 bis 1969 Schicht- und Akkordarbeit als Weber in der ERBA in Zeil geleistet. Weitere fünf Bücher und Publikationen (über Kriegs- und Nachkriegsgeschichte von Zeil und dem Landkreis, Gastarbeiter im Landkreis, oder "Sünden und Vergehen" der Zeiler) sind schon in Bearbeitung.
Er wird sich um das Zeiler Stadtarchiv kümmern, Vorträge bei der VHS, Vereinen und Verbänden halten und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins bleiben: "Nicht weil ich scharf auf das Amt bin, sondern weil ich bislang niemanden gefunden habe, der das machen will. Noch im Herbst aber hat der ausgesprochene "Reisemuffel" anderes vor: Mit Frau, Sohn, Schwiegertochter und Enkelkind wird er nach Ecuador in Südamerika reisen, um das Land und die Heimat seiner Schwiegertochter kennenzulernen. Überhaupt will er sich viel mehr um die kleine Enkelin Jessica kümmern: "Wenn man erst mit 62 Opa geworden ist, weiß man nicht mehr, wie lange es einem vergönnt ist, diese schöne Zeit zu genießen."