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HOFHEIM: Mit Stock und Hut durchs Land

HOFHEIM

Mit Stock und Hut durchs Land

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    Sympathische Wandergesellen: Frederik (hinten von links), Jonny, Martin, Marius, Jonathan und Morten (vorne liegend) gefiel es in Hofheim. Lange aufhalten wollten sie sich hier dennoch nicht. Es zog sie weiter Richtung Coburg.
    Sympathische Wandergesellen: Frederik (hinten von links), Jonny, Martin, Marius, Jonathan und Morten (vorne liegend) gefiel es in Hofheim. Lange aufhalten wollten sie sich hier dennoch nicht. Es zog sie weiter Richtung Coburg. Foto: Foto: Michael Mößlein

    Die Sechsergruppe fällt auf: Junge Männer in schwarzen Schlaghosen, Westen mit polierten Knöpfen daran, Jacketts, in den Händen gedrehte Wanderstöcke, sogenannte Stenze. Auf den Köpfen thronen Krempenhüte oder Zylinder, unter denen – gesäumt von Bärten – sympathisch-fröhliche Gesichter hervorschauen. Es sind zünftig reisende Wandergesellen in ihrer Reisekluft, die am Dienstagnachmittag durch Hofheim kamen. Und wie es der Zufall so will, traf die Gruppe am Marktplatz zufällig auf einen jungen Rügheimer, dem diese Begegnung weit mehr bedeutet hat, als den anderen Menschen, die die Gruppe an diesem Tag gesehen haben.

    Kurz zuvor hat die bunt gemischte Gruppe im Bürgerbüro der Hofheimer Verwaltungsgemeinschaft noch geduldig auf das Taschengeld gewartet, das die Stadt ihnen mit auf den Weg gibt. Es sind nur ein paar Euro, eine freiwillige Leistung der Stadt. Wandergesellen freuen sich über diese Aufmerksamkeit, gerade in Zeiten, in denen sie keine Arbeit finden, wie im Winter, oder wenn sie ihre Zeit nutzen, um einfach frei durchs Land zu ziehen. Auch das gehört zur Walz, wie der Volksmund die Wanderschaft der Handwerker normalerweise nennt – was die reisenden Gesellen weniger gern hören. Sie bevorzugen das Wort „Tippelei“. Aber das nur am Rande.

    Die sechs Gesellen, die auf Wanderschaft traditionell keine Nachnamen nennen, und diese Regel auch für die Presse nicht brechen möchten, haben unterschiedliche Berufe. Martin (26) aus der Nähe von Berlin, Marius von der Insel Norderney, sowie die beiden weiteren Nordlichter der Gruppe, Jonathan (28) aus Kiel und Morten (24) aus Flensburg sind allesamt Tischler. Jonny (23) ist Zimmerer und kommt aus Dresden. Frederik (22) ist Sattler aus der Nähe von Marburg. Morgens sind sie in Haßfurt gestartet, wo sie in Räumen der evangelischen Kirchengemeinde übernachtet hatten. In Haßfurt waren sie noch zu acht. Doch die Wege eines Gesellen und einer Gesellin haben sich dort von dem der sechs anderen getrennt.

    Dass die Sechs nach Hofheim gekommen sind, ist reiner Zufall. Unterwegs hatte ihnen jemand gesagt, dort ist es schön. Und da sie gerade die Zeit zur freien Tippelei nutzen, haben sie sich spontan davon überzeugt. Ihr Urteil: Es stimmt. Trotz ihres ungezwungenen Wanderns durch die Lande irren die freien Gesellen nicht ziellos umher. An diesem Tag möchten sie noch weiter nach Coburg. Zu Fuß? Nein, sagen sie, per Anhalter. Denn trampen dürfen sie laut den strengen Regeln, die für die Tippelei gelten. Nur ein eigenes Fahrzeug darf keiner von ihnen besitzen. Öffentliche Verkehrsmittel gelten als verpönt. Flugzeuge sind erlaubt, um andere Kontinente zu erreichen.

    Wandergesellen reisen in der Regel nicht in der Gruppe. Die sechs, die in Hofheim Zwischenstation gemacht haben, hatten sich erst am Wochenende zuvor in Bamberg getroffen, als ein Geselle seine Tippelei beendet hat, was im Kreis mit weiteren Wandergesellen groß gefeiert wird. Diejenigen, die einander bis Hofheim begleitet haben, sind ganz unterschiedlich lang unterwegs. Morten steht noch ganz am Anfang seiner Wanderschaft: Er ist erst vor einer Woche von zuhause aufgebrochen. Martin dagegen ist seit viereinhalb Jahren unterwegs. Für ihn endet die Reise in drei Wochen, dann kehrt er dorthin zurück, wo er gestartet ist, wird „einheimisch“, wie die Wandergesellen es nennen. „Einerseits freue ich mich auf das geregeltere Leben und ein eigenes Bett. Das gibt einem doch etwas Stetes im Leben. Aber ich habe während dieser Zeit auch die Freiheit schätzen gelernt.“ Auch einen Job hat er bereits: Sein Lehrbetrieb stellt ihn wieder ein. Er hat Glück, denn das ist in der Regel nicht so.

    Lehre als Zimmerer

    Noch während der Zeitungsreporter sich am Rande des Hofheimer Marktplatzes mit den sechs Wandergesellen unterhält, erlebt Jonas Rubenbauer aus Rügheim eine kleine Sternstunde. Der 16-Jährige ist der Gruppe zufällig begegnet, und doch verbindet ihn mit den jungen Männern etwas. Denn er geht ab Herbst selbst als Zimmerer in die Lehre. „Ich möchte auf jeden Fall selbst auf die Walz“, sagt er, „und später meinen Meister machen.“ Einen Wandergesellen hat er zuvor jedoch noch nie getroffen. Und an diesem sonnigen Nachmittag laufen ihm in Hofheim gleich sechs über den Weg.

    Der junge Rügheimer nutzt seine Chance. Schnell sind Adressen und Kontaktdaten getauscht – ganz einfach auf einem Schmierzettel, denn Handys und mobiles Internet dürfen Wandergesellen nicht nutzen. Doch das klappt auch so. Jonas Rubenbauer erfährt: Im Sommer gibt es bei Berlin eine Sommergemeinschaft von reisenden Wandergesellen, wo auch Jugendliche willkommen sind, die probehalber in die Lebenswelt der Wandergesellen eintauchen möchten. Dort möchte er unbedingt hin, sagt der 16-Jährige. Er ist ganz begeistert davon.

    Doch was fasziniert ihn so an dieser doch mit vielen Kompromissen verbundenen Art, als junger Handwerker Erfahrungen zu sammeln? „Ich möchte einfach mal rumkommen in der Welt“, sagt Jonas Rubenbauer und fügt einen bemerkenswerten Satz hinzu: „Ich möchte kennenlernen, wie es sich anfühlt, als Tagelöhner jeden Tag genau das zu verdienen, was meine Arbeit wert ist.“ Auch das Auftreten der sechs Gesellen hat ihn beeindruckt und motiviert. „Die sahen alle fröhlich aus und haben gelacht.“

    Jonas' Mutter Elke Rubenbauer, die daneben steht, fürchtet nicht den Moment, in dem ihr Sohn aufbricht. Im Gegenteil: „Ich befürworte das. Das sind Erfahrungen, die junge Menschen machen sollten, mal in einer Welt ohne Luxus zu leben.“ Sie findet es schon allein eine Leistung der wandernden Gesellen, in ihrer unverwechselbaren Reisekluft durchs Land zu ziehen – und damit allen ihren Stolz auf ihr ehrbares Handwerk zu zeigen, in einer Welt und Gesellschaft, in der es Mode zu sein scheint, möglichst angepasst zu leben und nicht aufzufallen.

    Wanderschaft der Handwerksgesellen

    Wer seine Lehrzeit mit der Gesellenprüfung als Dachdecker, Fliesenleger, Maurer, Schreiner, Stahlbetonbauer, Steinmetz, Zimmerer oder in etlichen weiteren Handwerksberufen beendet hat, kann auf die Walz (Wanderschaft) gehen, um neue Arbeitstechniken, fremde Orte und Länder kennenzulernen sowie Lebenserfahrung zu sammeln. Die Zünfte haben in eigenen Artikelbüchern den Ablauf der Wanderschaft festgelegt, die sich regional und nach dem Gewerk unterscheiden. Für denjenigen, der auf die Walz möchte, gelten meist folgende Voraussetzungen: Er (oder sie) darf noch keine 30 Jahre alt sein, muss ledig und kinderlos sein und darf keine Schulden und Vorstrafen haben. Die Handwerker auf Wanderschaft organisieren sich in Schächten, die Studentenverbindungen ähneln. Je nach den Vorschriften einer Schacht muss eine Walz in der Regel mindestens drei Jahre und einen Tag dauern. Während dieser Zeit darf ein reisender Wandergeselle seinem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer kommen. Ausnahmen sind nur in zwingenden Gründen und im Einvernehmen mit dem Schacht zulässig. Andernfalls wäre eine Unterbrechung unehrbar. Zum Beginn seiner Wanderschaft darf ein Geselle kein Geld mitnehmen – ebenso mittellos muss er sie beenden. Ein Neuling begleitet anfangs einen Gesellen, der schon mindestens ein Jahr unterwegs ist, um von dessen Erfahrung zu lernen. Normalerweise nach drei Monaten geht jeder seine eigenen Wege. Erst neulich, am 16. März, wurde die Handwerksgesellenwanderschaft als eine der ersten 27 Traditionen und Wissensformen im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen. Text: mim

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