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Haßfurt: Rollstuhl, Hörschutz und Blindenbrille: Wie ist es, eine Behinderung zu haben? Ein Selbstversuch

Haßfurt

Rollstuhl, Hörschutz und Blindenbrille: Wie ist es, eine Behinderung zu haben? Ein Selbstversuch

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    Was bedeutet es, wenn man körperlich und kognitiv eingeschränkt ist? Reporterin Naomi Petsch (rechts) wagte den Selbstversuch.
    Was bedeutet es, wenn man körperlich und kognitiv eingeschränkt ist? Reporterin Naomi Petsch (rechts) wagte den Selbstversuch. Foto: Anand Anders

    Alles soll ebenerdig gemacht werden, mein Fernseher erzeugt automatisch Untertitel und mein Handy hat sogar eine Vorlesefunktion. Doch wozu das alles? Für Menschen mit Behinderung. Was für die meisten eher irrelevant ist, macht für sie den Unterschied. Das versteht man oft erst, wenn man es selbst erlebt hat.

    Darum mache ich einen Selbstversuch und nehme an dem Seminar "Perspektivwechsel – Behinderung selbst erleben" teil, organisiert von der Lebenshilfe Haßberge e.V. und dem Kreisjugendring Haßberge (KJR).

    Zwei Referentinnen führen durch den Abend

    Ich bin schon etwas aufgeregt, als ich den Raum im Wohnheim der Lebenshilfe betrete. In der Mitte steht ein langer Tisch, an dem bereits die Referentinnen des Abends, Maren Ricklinkat und Jessica Desch von der Lebenshilfe, sitzen.

    Was bedeutet es, wenn man körperlich und kognitiv eingeschränkt ist? Das erklärten die Referentinnen Maren Ricklinkat (rechts) und Jessica Desch.
    Was bedeutet es, wenn man körperlich und kognitiv eingeschränkt ist? Das erklärten die Referentinnen Maren Ricklinkat (rechts) und Jessica Desch. Foto: Anand Anders

    Bevor es losgeht, stellen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kurz vor. Einige sind schon öfter mit Menschen mit Behinderung in Kontakt gekommen, ich dagegen habe mich noch nicht viel mit dem Thema beschäftigt. Der einzige Kontakt dazu war durch meine Großmutter, die im Rollstuhl sitzt.

    Zunächst klärt uns Ricklinkat auf, was eine Behinderung überhaupt ist und welche Arten es gibt. Neben Sinnesbehinderungen gibt es noch die Lernbehinderung, geistige Behinderung, psychische Behinderung, Körperbehinderung und innere Erkrankungen.

    Reporterin Naomi Petsch gestaltet eines der Plakate. Ihr Thema: Lernbehinderung.
    Reporterin Naomi Petsch gestaltet eines der Plakate. Ihr Thema: Lernbehinderung. Foto: Anand Anders

    Zu zweit erstellen wir dann mithilfe eines Infotextes eine Übersicht zu jeder Behinderungsform auf einem Plakat. Obwohl ich schon von allen gehört habe, bin ich überrascht, dass es so viele Formen von Beeinträchtigung gibt.

    Anschließend gehen wir vor das Gebäude und teilen uns wieder in zweier-Gruppen auf. Jedes Team erhält einen Schal, mit dem sich einer die Augen verbindet – so auch meine Partnerin, die ab jetzt blind ist. Ich muss sie nun begleiten und sicher über das Gelände führen. Doch wie?

    Ich bin etwas überfordert, bis Ricklinkat den Arm meiner Partnerin fasst und mir zeigt, wie es geht: Die blinde Person hakt sich bei mir ein und ich muss sie auf Hindernisse oder Unebenheiten des Bodens hinweisen.  "Ihr könnt auch mal versuchen etwas schneller zu laufen", schlägt Ricklinkat vor, nachdem sie uns beobachtet hat.

    Vollkommen auf die Partnerin angewiesen

    Das klappt gut, sodass wir nach ein paar Minuten die Rollen tauschen. Nun werde ich über den Parkplatz geführt, über die Straße und das Grundstück der Lebenshilfe. Nach kurzer Zeit verliere ich die Orientierung. Ich fühle mich unsicher, obwohl ich das Gelände schon einmal gesehen habe. Ich bin vollkommen auf meine Partnerin angewiesen.

    Klappt nur mit Partnerin gut: Den Weg mit verbundenen Augen zielsicher entlanglaufen.
    Klappt nur mit Partnerin gut: Den Weg mit verbundenen Augen zielsicher entlanglaufen. Foto: Anand Anders

    Nach der Übung fahre ich Rollstuhl. Ricklinkat begleitet mich. Es kommt mir bereits etwas bekannt vor, da ich schon einmal mit dem meiner Großmutter gefahren bin. Ich komme gut voran. "Hier ist es ja noch relativ eben, aber stell dir mal vor wie es ist, über Pflastersteine in der Stadt zu fahren", sagt Ricklinkat und ich kriege doch Bedenken.

    Viel Schwung nötig: Mit dem Rollstuhl auf den Gehweg

    Problematisch wird es dann beim Bordstein am Gehweg: Über die Absenkung komme ich zwar leicht runter zur Straße, aber nur mit sehr viel Schwung wieder hoch. Ich bin überrascht, als ich drei Anläufe brauche, bis ich wieder auf dem Gehweg bin.

    Herunter geht es einfach, aber herauf? Die Bordsteinkante mit dem Rollstuhl zu meistern, ist für Reporterin Naomi Petsch eine ziemliche Herausforderung. Und klappt letztenendes nur mit Hilfe.
    Herunter geht es einfach, aber herauf? Die Bordsteinkante mit dem Rollstuhl zu meistern, ist für Reporterin Naomi Petsch eine ziemliche Herausforderung. Und klappt letztenendes nur mit Hilfe. Foto: Anand Anders

    Beim hohen Bordstein hilft mir die Referentin: Sie kippt den Rollstuhl nach hinten, wodurch ich kurz erschrecke, und kippt mich dann nach vorne auf den Gehweg. Ein komisches Gefühl. "Da würdest du nicht alleine hochkommen", erklärt sie mir. Langsam wird mir klar, wie schwierig und teils unangenehm es sein kann, auf den Rollstuhl angewiesen zu sein.

    Fehlende Feinmotorik führt zu Frust

    Zurück ins Wohnheim. Die Referentinnen erklären nun vier Stationen, die ich ausprobieren soll. Bei jeder von ihnen wird eine andere Behinderung simuliert. Ich setze mir also einen Hörschutz auf. Desch sitzt mir gegenüber und liest mir verschiedene Anweisungen vor, die ich an einer Brettspielsammlung korrekt ausführen soll. Das schaffe ich problemlos.

    Bei feinmotorischen Aufgaben ist Fingerspitzengefühl gefragt - mit dicken Handschuhen ist das gar nicht so einfach.
    Bei feinmotorischen Aufgaben ist Fingerspitzengefühl gefragt - mit dicken Handschuhen ist das gar nicht so einfach. Foto: Anand Anders

    Etwas schwieriger finde ich die Aufgaben mit eingeschränkter Feinmotorik – beispielsweise mit dicken Handschuhen Spielsteine aufheben oder eine Gummibärchenpackung öffnen. Mein erster Versuch, die Steine in das 4-Gewinnt-Gitter zu stecken, frustriert mich bereits. Denn ich brauche länger als gedacht. Und dann fallen mir alle Spielsteine, die ich in der Hand gehalten habe, herunter. Jeden Stein muss ich einzeln wieder aufheben. Mir vergeht die Lust.

    Die nächste Übung nennt sich "Sensory Overloaded Simulation" - also die Simulation einer Reizüberflutung. Hier wird ein Teil der Welt des Autismus nachgeahmt. Ich bekomme viele Eindrücke auf einmal. Vor mir liegt eine blinkende Lichterkette, da läuft ein lautes Radio und dann steht da auch noch ein sprechender Spielzeug-Papagei.  Zeitgleich soll ich Tabu-Begriffe erraten, während Ricklinkat mit zwei Kugeln meinen Rücken massiert. Ich muss mich sehr konzentrieren, schaffe die Übung aber.

    Absolute Reizüberflutung: Hier lautet die Devise, konzentriert zu bleiben und Tabu-Begriffe zu erraten.
    Absolute Reizüberflutung: Hier lautet die Devise, konzentriert zu bleiben und Tabu-Begriffe zu erraten. Foto: Anand Anders

    Danach die letzte Station: Übungen mit der Blindenbrille. Da ich im wirklichen Leben eine Sehschwäche habe, dachte ich nicht, dass die spezielle Brille, die ich nun aufsetze, einen so großen Unterschied macht.  Sofort werde ich vom Gegenteil überzeugt: Alles ist verschwommen, sogar ganz nahe Gegenstände erkenne ich nicht. Ich sehe nur farbige Flecken.  Ich versuche einen Ball in eine Kiste zu werfen, was mir sogar halbwegs gelingt.

    Dann soll ich 1 Euro und 25 Cent aus einem Geldbeutel heraussuchen. Nur anhand der Farbe und der Größe, die ich ertaste, erkenne ich den Unterschied. Selbstsicher lege ich die Münzen vor mir ab und frage Ricklinkat: "Passt das?"

    Wegen schlechter Sicht die Centstücke verwechselt

    "Fast, das sind 1 Euro und 22 Cent", antwortet sie. Mist, ich habe zwei und fünf Cent verwechselt. Doch auch beim zweiten und dritten Mal erkenne ich die 5-Cent nicht, was mich sehr erschreckt. Diese Station finde ich am schwierigsten.

    Welche Centstücke befinden sich gerade in der Hand? Bei den 5-Centstücken scheitert die Reporterin.
    Welche Centstücke befinden sich gerade in der Hand? Bei den 5-Centstücken scheitert die Reporterin. Foto: Anand Anders

    Und so geht es auch den anderen, wie ich bei einer abschließenden Reflektionsrunde erfahre. Die meisten Aufgaben an diesem Abend konnte ich gut meistern. Ich bin froh, dass sie nur Simulationen – von kurzer Dauer – waren. Nun verstehe ich meine Oma besser, wenn sie sagt, dass sie an einem Tag mal nicht einkaufen gehen möchte. Denn was für mich nur eine schnelle Besorgung ist, ist für sie ein Triathlon aus vielen verschiedenen Disziplinen.

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