Nach Monaten der Unsicherheit steht nun fest: Die Firma Schlemmer wird von dem französischen Unternehmen Delfingen übernommen. Gerhard Bayer, Betriebsratsvorsitzender bei Schlemmer in Haßfurt, sieht das als gute Nachricht: "Ich bin froh, dass Delfingen uns vor der Insolvenz und dem Untergang gerettet hat."
Mehr als 200 Mitarbeiter in Haßfurt
Im Dezember 2019 hatte der Automobilzulieferer mit Sitz in Aschheim bei München einen Insolvenzantrag gestellt. Als Gründe nannte das Unternehmen, das Produktionsstandorte in der ganzen Welt hat, die konjunkturelle Lage. Weltweit hat Schlemmer rund 3800 Mitarbeiter, mehr als 200 davon am Produktionsstandort Haßfurt. Die Firma stellt Kunststoffteile, vor allem im Bereich Kabelschutz, her, die in Fahrzeugen verbaut werden; vor allem in Autos, aber auch in Motorrädern, Baggern, Lastwagen oder Eisenahn-Fahrzeugen.
Als die Insolvenz im Januar bekannt wurde, waren die Sorgen zunächst groß. Bereits Anfang März veröffentlichte Schlemmer allerdings eine Pressemitteilung, die wieder recht optimistisch klang: Die Hoffnung sei groß, einen Investor zu finden. Die Produktion laufe weiterhin stabil, am Standort Haßfurt wolle das Unternehmen sogar etwas aufstocken.
Sehr menschliche Firmenpolitik
Nun ist klar: Delfingen, bisher ein Mitbewerber von Schlemmer, übernimmt die europäischen und afrikanischen Aktivitäten des angeschlagenen Konzerns, also die Fabriken in Deutschland, Rumänien, Russland, Marokko und Tunesien. Der asiatische Teil von Schlemmer wurde dagegen bereits vor einigen Wochen an die chinesische Fengmai-Ningbo Huaxiang Group verkauft.
Kurz bevor Delfingen die Übernahme jetzt in einer Pressemitteilung öffentlich machte, stattete Gérald Streit, Generaldirektor des Unternehmens aus dem französischen Anteuil, den Schlemmer-Mitarbeitern in Haßfurt einen Besuch ab und stellte sich als ihr neuer Chef vor. Von diesem Treffen zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende Gerhard Bayer im Gespräch mit dieser Redaktion sehr angetan: "Man merkt, dass es ein familiengeführtes Unternehmen ist." Nach allem, was Streit in Haßfurt erzählt habe, schätze Bayer die Firmenpolitik von Delfingen als "sehr menschlich" ein. "Ich kann nur Positives berichten."
Haßfurt soll zum "Flagschiff" werden
So stehe ein "riesen Konzept" hinter der Übernahme und der Fortführung der Geschäfte. Da es sich um einen ganz normalen Betriebsübergang handelt, seien die Arbeitsplätze zunächst sicher: Ein Jahr lang darf Delfingen keinen der übernommenen Mitarbeiter entlassen. "Was dann passiert, ist der Konjunktur geschuldet", sagt Bayer.
Dabei zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende aber durchaus optimistisch: Er glaube den Ausführungen von Gérald Streit, der gesagt habe, an den Abbau von Arbeitsplätzen werde nicht gedacht. Haßfurt solle sogar das "Flagschiff der Extrusion" werden. Der Begriff "Extrusion" beschreibt eine Verfahrenstechnik, die Schlemmer bei der Herstellung von Kunststoffbauteilen verwendet.
"Zentrale Funktion in Europa"
Aus dem Haßfurter Rathaus heißt es, bevor die Übernahme offiziell bekannt gegeben wurde, habe auch eine Videokonferenz zwischen dem Delfingen-Chef und Bürgermeister Günther Werner stattgefunden. Darin habe Werner auch nach der Zukunft des Standortes Haßfurt und den dortigen Stellen gefragt. "Als Bürgermeister von Haßfurt freue ich mich besonders, dass die Arbeitsplätze in unserer Stadt erhalten bleiben sollen und der Standort Haßfurt eine zentrale Funktion in Europa einnehmen soll", kommentiert er das Gespräch.
"Wir haben große Hoffnung", sagt Betriebsratsvorsitzender Bayer und betont: "Wir fühlen uns wohl." Nach der langen Zeit der Unsicherheit nach dem Insolvenzantrag freue sich die Belegschaft in Haßfurt nun über ein bisschen Sicherheit, die sie mit der Übernahme gewonnen hat - und zumindest der Betriebsratsvorsitzende scheint großes Vertrauen in das neue Mutterunternehmen zu setzen, ein Familienunternehmen in der dritten Generation.
"Krisen können auch eine Chance sein"
Delfingen-Chef Gérald Streit wird in der Pressemitteilung zur Übernahme zitiert mit den Worten: "Krisen können auch eine Chance sein. Die aktuelle, schwierige Lage hat es doch möglich gemacht, zwei historische Akteure zusammenzubringen, die im Bereich Kabelschutz weltweit agieren." Gemeinsam würden Delfingen und Schlemmer zum weltweit führenden Unternehmen für Kabelbäume. Weiter sagt Streit, das Unternehmen müsse nun weiter wachsen, innovativ sein und sich weiterentwickeln, dabei aber auch die Menschlichkeit behalten.
Für Autohersteller und damit auch für ihre Zulieferer stellen Energiewende und Umweltpolitik derzeit eine Herausforderung dar: Klar ist, dass immer mehr auf Elektromobilität und weniger auf die fossilen Brennstoffe Benzin und Diesel gesetzt werden soll. Doch wie schnell sich der Wechsel vollzieht, welche Hersteller dabei mithalten und welche auf der Strecke bleiben, ist die große Frage, die den gesamten Industriezweig derzeit beschäftigt.
Gut aufgestellt - egal, wie die Zukunft wird
Hier habe Schlemmer allerdings einen großen Vorteil, betont Gerhard Bayer: Die Firma stellt Autoteile her, die unabhängig von der Antriebsart sowohl in Benzin- und Dieselfahrzeugen, als auch in Elektroautos Verwendung finden können. Damit sei das Unternehmen auch mit Blick auf die Zukunft nicht schlecht aufgestellt – egal, in welche Richtung die Entwicklung geht.