Kreischend frisst sich eine Säge durchs Holz. Im Gegenlicht des sonndurchfluteten Raumes rieselt Staub zu Boden, der sich schon bald auf Schuhe, Hose, Haare legt. Es riecht nach Leim. Überall steht und liegt Holz, ohne dass es unordentlich wirkt. Das organische Arbeitsmaterial von Esche, Buche oder Eiche strahlt eine sanfte Wärme aus. Zielstrebig, aber in aller Ruhe, gehen Männer in T-Shirts und beigen Latzhosen ihrer Arbeit in der Schreinerei Böhmer in Mürsbach nach. Hier würde man selbst gerne arbeiten.
Etwas abseits haben drei junge Schreiner Papiere im A1-Format an die Wand gehängt. Die Striche und Nummern darauf erinnern den Laien in ihrer Verständlichkeit an die Aufbauhilfen von Ikea. Tatsächlich stellen die Zeichnungen den Plan für das jeweilige Meisterstück dar, das die zwei Männer und eine Frau zum Abschluss ihrer Ausbildung an der Meisterschule Ebern für das Schreinerhandwerk gerade bauen.
Ächzend windet sich eine Schraube ins Fleisch der Buche. Mit flinken, kraftvollen Drehungen befördert Christian Böhmer das Metall mit einem Schraubendreher Millimeter um Millimeter ins Holz, bis nur noch das Kreuz im Kopf zu sehen ist. Der junge Schreiner befestigt gerade die Schiene, auf der ein kreisrunder Vollauszug für einen Monitor gleiten soll. Als Meisterstück hat der 24-Jährige einen PC-Arbeitsplatz aus Esche und Nussbaum im Gestaltungsunterricht entworfen, der in seiner ausladenden Breite seinen Platz brauchen wird. Darüber wird Böhmer dann wohl, gerahmt in Holz, seinen Meisterbrief hängen.
Vor eineinhalb Jahren hat der Schreinergeselle sich dazu entschlossen, die Ausbildung an der Meisterschule für das Schreinerhandwerk in Ebern zu absolvieren. Drei Semester oder 2500 Unterrichtsstunden haben Böhmer und seine 20 Mitschüler für die Fächer Deutsch, Betriebswirtschaft, Rechnungswesen, Werkstofftechnologie oder Gestaltung und Konstruktion gebüffelt, bevor sie die theoretischen und praktischen Prüfungen ablegen. "Ich bin froh, wenn das endlich vorbei ist. Langsam geht das an die Substanz", sagt Christian Böhmer und schaut sich wohl zum 100. Mal die Passform der Schreibtischschublade lupengenau an.
Wenn der Kursus 35 Ende März von der Meisterschule entlassen wird, hat Leiter Dieter Stojan in den 19 Jahren des Bestehens rund 840 Schreinern zum Bestehen der Prüfung gratuliert. "In all den Jahren haben vielleicht zwei oder drei Schüler die Prüfung nicht bestanden", sagt Stojan nicht ohne Stolz, "wir fühlen uns einer guten Ausbildung verpflichtet." Deshalb beträgt die Klassenstärke in der Regel nicht mehr als 20 Schüler, die in fast der Hälfte der Zeit noch einmal in Gruppen getrennt werden.
In Bayern gibt es noch drei weitere solcher Schulen - im mittelfränkischen Gunzenhausen, in Garmisch-Partenkirchen und in München. Sie sind auf dem Weg zum Meisterbrief jedoch "lediglich ein Angebot", wie Stojan sagt. Vorgaben, um zur Prüfung zugelassen zu werden, sind einzig die bestandene Gesellenprüfung und anschließend insgesamt zwei Jahre Arbeitserfahrung.
Ob die Bewerber um den Meisterbrief die notwendigen Grundlagen und die Befähigung, einen Betrieb zu führen sich im Vollzeitunterricht an einer Meisterschule aneignen oder Abendkurse besuchen, bleibt ihnen überlassen.
Der stellvertretende Leiter der Meisterschule, Alfred Neugebauer, sieht einen Unterschied in der Qualität der Ausbildung: "Jeder zahlt dafür. Die einen vor der Prüfung, die anderen danach." Damit spielt Neugebauer auf die Zahl der Ausbildungsstunden an, die in Ebern drei bis vier Mal so hoch wie in manchen anderen Kursen liegen. Und Stojan fügt an: "Das Einsetzen der inneren Reife, um einen Betrieb führen zu können, braucht seine Zeit. Ich glaube nicht, dass Angebote, die nennenswert von den 2500 Stunden abweichen als Ausbildung im eigentlichen Sinn des Wortes bezeichnet werden können."
Die Qualität des Unterrichts in Unterfranken hat sich in ganz Deutschland herumgesprochen. Die Schüler kommen schon lange nicht mehr nur aus der Umgebung. Ein angegliedertes Wohnheim mit 19 Einzelzimmern ermöglicht auch Interessenten aus anderen Regierungsbezirken und Bundesländern einen Besuch. Auch im Kursus 35 stammen nur zehn von 21 Schülern aus Bayern. Über drei Viertel der Bewerber rekrutiert die Meisterschule dabei über Empfehlungen Ehemaliger.
Die Mundwerbung hat auch bei René Rossbach funktioniert, der sich nach einem Gespräch mit seinem ehemaligen Chef für diese Meisterschule entschied. Nach zweijähriger Gesellenzeit war der 23-Jährige aus Hintfeld bei Römhild (Thüringen) arbeitslos geworden. Jetzt steht er zusammen mit dem Schaumeister Peter Sauer, der die Arbeit der Meisterschüler unangekündigt kontrolliert, vor seiner Standuhr aus Kirsche.
"Ich wollte eine solche Uhr schon immer haben", meint Rossbach und streicht nachdenklich über das glatte Holz. Der Einbau des metallenen Zifferblatts bereitet Probleme, "doch mit den Tipps des Schaumeisters krieg ich das schon in den Griff."
20 Arbeitstage haben Rossbach und seine Mitschüler Zeit, um die Striche vom Papier in der Werkstatt in ein dreidimensionales Gebilde aus Holz zu verwandeln. Ob die Schüler einen Schreibtisch, eine Tür oder eine Gartenbank anfertigen, bleibt ihnen überlassen. "Es könnte auch ein Boot oder ein Segelflugzeug sein", meint der Schulleiter und weist darauf hin, dass es eigentlich nur drei Vorgaben gibt: "Das Stück muss ein bewegliches Teil, ein verschließbares Teil und einen Schub aufweisen."
Vor einer Glasvitrine mit den Modellen des Kursus 35 erklärt Leiter Stojan, dass die Schule den Umfang der Stücke bei gestiegenen Gestaltungsansprüchen reduzieren möchte. "Wir wollen keinen Eberner Stil kreieren. Ziel ist es, Kreativität aus den Schülern zu kitzeln und nicht unsere Ideen in sie hineinzupressen. Wir wollen der Vielfalt keine Grenzen setzen."
Die Schüler dürfen auch mit anderen Materialien wie Stahl, Stein oder Glas experimentieren. Das Spektrum ist in den letzten zwei Jahrzehnten groß gewesen, hauptsächlich wurden Möbel aus dem Wohnbereich und dem Büro gebaut. Einige "verrückte" Stücke kann man sich in einer Galerie auf der Homepage der Schule anschauen, darunter ein geschwungenes Bücherregal sowie eine fahrbare Minibar, die in einem großen Kugellager eingebettet ist.
Im März wird die Schule die Meisterstücke im mittelalterlichen Rathaus der Stadt Ebern unter dem Motto "Moderne Möbel in alten Gemäuern" ausstellen. Auch das von Saskia Süsser wird sich dort gut machen. Wie Rossbach hat sich die 23-Jährige für eine Standuhr aus Lärche entschieden, allerdings nicht im klassischen Stil. "Das Pendel nimmt zu viel Platz weg. Den Platz nutze ich als Stauraum," übertönt die junge Schreinergesellin die Geräusche der Stichsäge, die sie in Händen hält.
Mit sicherer Hand schneidet sie im Uhrzeigersinn eiförmige Öffnungen in das hölzerne Zifferblatt. "Man soll das Organische des Holzes erkennen." Süsser ist die einzige Frau im Kursus 35. Ein üblicher Schnitt in Ebern. "Da hat sich über die Jahre nichts verändert", sagt Neugebauer mit Blick auf die Statistik.
Die Statistik der letzten Jahre verrät laut Stojan auch, dass die Krise im deutschen Handwerk, mit allein 50 000 bankrott gegangenen Betrieben im letzten Jahr, auch seine Spuren in Ebern hinterlässt. "Ein Nachfragerückgang macht sich schon bemerkbar, wobei die nächsten Kurse ausgebucht sind. Aber früher waren wir teilweise über sechs Jahre zu."
In Zeiten, in denen man jeden Euro zwei Mal umdreht, werden die Kosten im Vergleich zum Nutzen einer solchen Ausbildung natürlich besonders kritisch geprüft. Auch wenn in Ebern kein Schulgeld verlangt wird und die 18 Monate mit Meister-Bafög überbrückt werden können, stellen sich die Gesellen, die im Durchschnitt 25 Jahre alt sind, berechtigt die Frage: Ist eine Schreinermeisterausbildung sinnvoll?
"Wenn sie auf einer guten Grundlage fußt, dann ist eine solche Ausbildung auf jeden Fall sinnvoll", meint Stojan, "doch leider ist der Meisterbrief nicht immer das Gütesiegel, das viele in ihm sehen." Vor diesem Hintergrund sieht der Schulleiter die Vorschläge für die Selbstständigkeit auch ohne Meistertitel relativ gelassen. "Warum gibt es diese Diskussion überhaupt?"
In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien oder Schweden gebe es eine solche Handwerksordnung nicht. Trotzdem würde hochwertig gearbeitet, der Wille sich auszubilden oder weiterzubilden sei groß und die Colleges entsprechend gut besucht. Und Neugebauer bringt seine Meinung auf den Punkt: "Jeder sollte die Chance haben, sich selbst zu ruinieren." Mit oder ohne Meisterbrief.
Die Leiter sind sich sicher, dass die Meisterschule in Ebern und vergleichbare Ausbildungsstätten auch weiterhin attraktiv sind, da hier das "Wissen, Können und Wollen", was einen guten Meister nach einem alten deutschen Sprichwort auszeichnet, mit einem besonderen und anspruchsvollen Ausbildungskonzept verwirklicht wird. "Bei uns zeigt die Prüfung: Ich habe etwas gelernt. Nicht umsonst sind unsere Absolventen als besonders kompetent bekannt", meint Neugebauer.
Und gelernt hätten sie wirklich genug, da sind sich Christian, René und Saskia einig. Nach der Abgabe des Meisterstückes müssen sie noch eine Arbeitsprobe unter Aufsicht erstellen und die mündlichen Prüfungen hinter sich bringen, bevor ihnen endlich der ersehnte Brief überreicht wird.
Wie es nach der Meisterprüfung weiter geht, weiß eigentlich nur Christian Böhmer. Er wird irgendwann den Familienbetrieb weiterführen, dann in der vierten Generation. Saskia Süsser und René Rossbach haben nicht das Glück, eine Schreinerei als Rückhalt zu haben, in die sie als Meister zurückkehren werden. Für René zählt bis Ende März nur die Prüfung: "Erst danach mache ich mir Sorgen, wie es weitergeht." Auch Saskia blickt ratlos in die Zukunft. "Ich würde jedenfalls gerne in der Nähe von Kulmbach bleiben." Mut kann ihnen die Aussage von Schulleiter Stojan machen: "Ich weiß von keinem Absolventen, der derzeit arbeitslos ist."
Diese Perspektive dürfte auch die Schüler des neuen Semesters beruhigen, die sich an jenem Freitag mit Bier und Wein für den Kennenlern-Abend rüsten, während in der Schreinerei in Mürsbach das Fräsen und Hobeln noch lange nach Anbruch der Dunkelheit zu hören ist.