Der Streit um den Edelkrebs im Weißfichtensee im nordöstlichen Landkreis Haßberge beschäftigt nun auch die große Politik in München. So hat sich die Hegefischereigenossenschaft (HFG) Nassach, die seit Jahren für den Erhalt des gefährdeten und streng geschützten Krustentiers kämpft, mit einer Petition an den Bayerischen Landtag gewandt. "Unser Ziel ist es, den Druck zu erhöhen", sagt Volker Germann, Vorsitzender der HFG und Mitinitiator des Papiers. "Wir wollen, dass der See und mit ihm der Damm so saniert wird, dass der Edelkrebs überleben kann."
Eine Sprecherin des Landtags bestätigt gegenüber dieser Redaktion den Eingang der Petition. "Die formalen und rechtlichen Voraussetzungen dieser Eingabe wurden erfüllt", heißt es auf Nachfrage vonseiten der Pressestelle. Die Eigentümer des Sees, die Bayerischen Staatsforsten, wehren sich gegen die Kritik an den Sanierungsplänen – und erheben ihrerseits Vorwürfe, die HFG Nassach gefährde mit ihrer Blockadehaltung zunehmend die öffentliche Sicherheit.
Im Streit um den Edelkrebs scheinen sich die Fronten zu verhärten. Aber worum genau geht es in dem Fall?
Anfang der 2000er erstmaliger Besatz
Der Weißfichtensee im Landkreis Haßberge gilt als eine der wichtigsten Kinderstuben für den Edelkrebs in ganz Unterfranken. Das Gewässer wurde vor gut einem halben Jahrhundert als künstlicher Teich angelegt, Anfang der 2000er erfolgte erstmals der Besatz mit den bis zu 20 Zentimeter großen Krustentieren. Die Initiatoren – die Fischereifachberatung Unterfranken und die Bayerischen Staatsforsten als Eigentümer – hatten sich damals zum Ziel gesetzt, mit dem Nachwuchs aus dem Weißfichtensee heimische Bäche und Flüsse zu besetzten. Im Jahr 2016 übernahm die HFG Nassach die Pacht und damit die Verantwortung für die Aufzucht.
Inzwischen aber ist Schluss mit der Idylle: Eine Biberfamilie hat sich vor wenigen Jahren im Gewässer angesiedelt. Die Folge: Die Höhlen, die die Tiere auch in den Damm auf der Talseite des Teiches gegraben haben, haben das Gebilde instabil werden lassen. Und weil ein für die Forstwirtschaft wichtiger Weg über eben diesen Damm in den Wald führt, sahen sich die Eigentümer des Gewässers im Herbst 2023 zum Handeln gezwungen: zur Sanierung des Bauwerks und Entfernung der Biberburg.

Auch ein Abschuss der ebenfalls geschützten Tiere wurde in Betracht gezogen. Eine entsprechende Ausnahmegenehmigung hatten im vergangenen Jahr sowohl die Bayerischen Staatsforsten als auch die HFG Nassach beim Landratsamt Haßberge beantragt. Allerdings lehnte die Kreisbehörde den Vorstoß im Dezember 2023 ab, unter anderem mit der Begründung, dass es stattdessen "zumutbare Alternativen" gebe.
Zerstörung des Lebensraums befürchtet
In den Augen von Volker Germann und dessen Mitstreitern sind die bisher diskutierten Alternativen aber keineswegs zumutbar, zumindest nicht für den Edelkrebs. Als Lebensraum bevorzugt das Tier Wurzelstrukturen unter der Wasseroberfläche sowie freie Steilufer aus Lehm und Löss, in die sie ihre Wohnröhren graben.
"Die geplante Maßnahme führt zu einer nachhaltigen Zerstörung des Lebensraumes."
Volker Germann, HFG Nassach
Sollte der Teich für die umfassenden Sanierungsarbeiten, die für Herbst 2024 angedacht sind, längere Zeit trocken liegen, drohe der Population ein massiver Rückschlag, so die Sorge. "Die geplante Maßnahme führt zu einer nachhaltigen Zerstörung des Lebensraumes des Edelkrebses", schreiben die Anhänger des Tieres in ihrer sechsseitigen Petition, die dieser Redaktion vorliegt. Darin werfen sie sowohl den Staatsforsten als auch dem Landratsamt Haßberge vor, die Belange des Krustentieres hinten anzustellen und die des Nagers zu bevorteilen. Vorschläge der HFG zu einer aus ihrer Sicht edelkrebsfreundlicheren Sanierung, seien nicht berücksichtigt worden. Alternativgewässer für eine vorübergehende Umsiedlung gebe es bislang keine.
Kritik, die beide Behörden wiederholt von sich weißen: "Alle Beteiligte kennen die hohe Bedeutung des Weißfichtensees für den Edelkrebs und sein Schutz steht mit an oberster Stelle", schreibt etwa das Landratsamt auf Nachfrage. Und Heiko Stölzner, Leiter des zuständigen Forstbetriebs Bad Königshofen, betont: "Wir von unserer Seite tun alles, um den Edelkrebs dauerhaft zu schützen, den Damm dauerhaft vor Biberschäden zu bewahren, die Verkehrssicherheit für alle möglichst schnell wiederherzustellen und die Kosten dabei im Griff zu behalten."
Die Vorwürfe der HFG seien "gegenstandslos und ungerechtfertigt".
"Wir von unserer Seite tun alles, um den Edelkrebs dauerhaft zu schützen."
Heiko Stölzner, Leiter Forstbetrieb Bad Königshofen
Der Plan der Bayerischen Staatsforsten sieht unter anderem vor, ein grobes Metallgeflecht mit ausreichender Maschenweite für den Edelkrebs am Damm anzubringen. Die Idee: Das Krustentier behält seinen Lebensraum, der Biber wird ferngehalten. Die Sanierung solle zudem "minimalinvasiv" vorgenommen werden, wenn möglich nur unter Absenkung des Wasserspiegels.
Vorschläge der HFG zur Sanierung seien diskutiert, beratschlagt, aber vom "zuständigen Wasserwirtschaftsamt nicht befürwortet" worden, so Stölzner weiter. Auch weil die Kosten wohl deutlich höher lägen als die bislang veranschlagten 20.000 bis 60.000 Euro.
Frist für Stellungnahme der Staatsregierung
Die Vorwürfe, die sich beide Seiten machen, sind derweil nicht neu, genauso wenig wie die vorgetragenen Argumente. Neu aber ist die politische Dimension, die der Fall nun erreicht hat. Die Bayerische Staatsregierung sei mit Frist bis 31. Oktober um Stellungnahme gebeten worden, erklärt eine Sprecherin des Landtags gegenüber dieser Redaktion. Eine entsprechende Anfrage hat inzwischen auch das Landratsamt Haßberge erreicht.
Stehen alle nötigen Informationen zur Verfügung, soll die Petition in einer der nächsten Sitzungen des Umweltausschusses des Bayerischen Landtags behandelt werden.

Damit dürfte sich das für September und Oktober geplante Sanierungsvorhaben wohl deutlich verzögern. Auch, weil die Initiatoren um Volker Germann "bis zur endgültigen Würdigung aller Gesichtspunkte durch den Petitionsausschuss" einen Baustopp fordern. Bei Forstbetriebsleiter Stölzner stößt das Vorgehen der HFG Nassach auf Unverständnis: "Da Gefahr in Verzug herrscht, sollte vorher klar sein, wer dann das Risiko eines Dammbruchs übernehmen will", erklärt er.

Stölzners Sorge: Bei einem Starkregenereignis mit 70 bis 100 Litern je Quadratmetern könnte der marode Damm brechen und massiven Schaden im bachabwärtsliegenden Welkendorf anrichten. "Wir müssen möglichst schnell und umsichtig handeln", so seine Forderung. Und: "Wenn die Sanierungsmaßnahmen durch juristische Finten immer wieder torpediert werden, ist am Ende keinem geholfen – besonders wenig dem Edelkrebs selbst." Alle Akteure seien gefordert, nicht nur Partikularinteressen zu vertreten. Es könne nicht ein Anliegen vorangestellt werden.
Biber soll dauerhaft verschwinden
Die HFG Nassach aber plant zusätzliche Schritte. Vor dem Verwaltungsgericht möchte die Genossenschaft weiter gegen den Ablehnungsbescheid des Landratsamts Haßberge zur Biberentnahme vorgehen. Ein entsprechendes Verfahren war Ende April 2024 ruhend gestellt worden, soll nun aber wieder fortgesetzt werden, so Volker Germann. Sollte der Biber nicht dauerhaft aus dem Weißfichtensee verschwinden, drohe der Lebensraum des Edelkrebses weiter zerstört zu werden. Dass der Biber weiterhin aktiv ist, zeigen Spuren am Ufer des Gewässers. Dennoch kommt das Landratsamt Haßberge hier zu einer anderen Einschätzung.

Offen ist, wie es weiter geht im Fall Weißfichtensee. Die inzwischen über ein Jahr andauernde Diskussion scheint die Gräben zwischen den Parteien, vertieft zu haben, möglicherweise wirklich zum Nachteil des Edelkrebses. "Wir werden sehen, wie wir mit dieser Situation umgehen", so Heiko Stölzner. Gemeint ist die künftige Zusammenarbeit mit der HFG Nassach. Der Vertrag zwischen den Bayerischen Staatsforsten und der Genossenschaft ende am 31. Dezember 2025. "Wie und ob es danach weitergeht, hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere auch vom weiteren Verlauf der Sanierungsmaßnahmen und einer Kooperation der HFG Nassach."