Nanu, was spielt sich denn da ab im Garten der Familie Vetter in Sylbach? Kann es wirklich sein, dass hier emsige Kinderhände Teebeutel in der Erde verbuddeln? Und die Mutter dazu geduldig Anweisungen gibt? Ja, das kann sein: Manuela Vetter und ihre Kinder Marie (6), Anton (4) und Linus (2) sind angetreten, um der Wissenschaft unter die Arme zu greifen: Es geht um nichts Geringeres als Bodenforschung. Nur Vinzenz ist mit seinen vier Monaten noch zu klein, um an der "Expedition Erdreich" teilzunehmen. Aber der jüngste Spross der Vetters ist, im Kinderwagen liegend, nahe am Geschehen dran.

Alles spielt sich am letzten Freitag in einem Stück Beet im südwestlichen Teil des Gartens in der Friedlandstraße ab. Auf einer Fläche von etwa einem Quadratmeter haben die Vetters hier, den Anweisungen der Wissenschaft folgend, jeweils paarweise sechs Löcher ausgehoben, ein jedes gerade einmal acht Zentimeter tief. Marie, Anton und Linus versenken nun in jedes Löcherpaar einen Teebeutel mit grünem und einen mit Rooibos-Tee. Dann füllen sie die Löcher zu. Mama Manuela muss nachhelfen, dass Fäden und Etiketten sichtbar bleiben, die Position der Teebeutel also von außen sichtbar markiert ist.
Zuvor hat die Familie jeden Teebeutel genau gewogen und sein Gewicht in ein Datenblatt eingetragen. In drei Monaten werden die Vetters die kleinen Behälter wieder zu Tage befördern. Dann will die Forschung von ihnen wissen, wie sich das Gewicht jedes Teebeutels verändert hat. Klingt alles ein bisschen verrückt.
Wie schnell bauen Bodenorganismen Pflanzenreste ab?
Ist es aber nicht. Teebeutel, sprich ihr Inhalt, eignen sich hervorragend dazu, festzustellen, wie schnell Bodenorganismen Pflanzenreste abbauen. Aus dem Unterschied zwischen Start- und Endgewicht lässt sich der Teebeutel-Index (Tea-Bag-Index, TBI) errechnen, eine Methode, die wissenschaftlich anerkannt ist. Wie effektiv die Zersetzung des Tees stattfindet, ist von verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren abhängig, von der Bodenart und der Bodennutzung, der Vielfalt biologischer Aktivitäten im Boden und auch vom Klima.

Die Vetters aus Sylbach gehören zu rund 4500 Datensammeln, darunter mehr als 300 Schulen, aus allen Teilen der Bundesrepublik. Alle zusammen bilden sie seit April die "Expedition Erdreich", das erste bundesweite Bürgerforschungsprojekt (Citizen-Science) zur Bodenforschung. Initiatoren sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die gemeinnützige Gesellschaft Wissenschaft im Dialog (WiD). Wissenschaftlich begleitet wird "Expedition Erdreich" vom BonaRes-Zentrum für Bodenforschung (Halle) und vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig).
Da alle teilnehmenden Hobbyforscher zwei Versuchsfelder wählen müssen (die Vetters wollen auch noch ihr unbebautes Nachbargrundstück beproben), bekommt die Bodenforschung Einblicke in gut 9000 Standorte. Und damit Daten aus dem Erdreich von Äckern ebenso wie von Blumenbeeten, Wiesen oder Wald, von Steilhängen oder aus der Ebene, in Schattenlage ebenso wie in Südexposition. Insgesamt erhofft sich die Wissenschaft damit einen guten Überblick über den Zustand der Böden in Deutschland.
Bundesforschungsministerin: "Unsere Böden sind unsere Lebensgrundlage"
"Die Gesundheit unserer Böden geht uns alle etwas an, denn unsere Böden sind unsere Lebensgrundlage", erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek in einer Pressemitteilung zu Expedition Erdreich, und weist auf die Bedeutung für die Nahrungsmittelproduktion ebenso hin wie für die Artenvielfalt und den Klimaschutz. Genau das ist auch der Gewinn der Bürgerforscher an der Aktion: Sie lernen die Böden vor der eigenen Haustüre besser kennen und verstehen – und bekommen ein Gefühl dafür, wie Böden geschützt werden können.

"Ich war da auch etwas blauäugig, was Böden anbelangt", gibt Manuela Vetter zu. "Für mich war das in etwa so: Du steckst ein Korn in die Erde, dann wächst etwas. Und das war's". Geändert hat sich das für die 35-Jährige durch die Pandemie, da hat sich die Familie viel stärker als zuvor mit dem eigenen Garten befasst. Irgendwann entdeckte die Ärztin in einer Obstkiste, die die Familie bezieht, einen Werbeflyer für "Expedition Erdreich" - und bewarb sich für das Projekt.
Für die vierfache Mutter war von Anfang an klar, ihre Kinder mit in das kleine Abenteuer einzubeziehen. "Um sie ein Stück weit für Böden, für Lebenwesen, für Umwelt zu sensibilisieren", soweit das eben möglich ist bei Zwei-, Vier- und Sechsjährigen.
Denn es geht beileibe nicht nur darum, Teebeutel ein- und später wieder auszugraben. Es gilt, die Standortkoordinaten zu erfassen, verschiedenen Untersuchungen anzustellen und alle Ergebnisse in Datenblättern festzuhalten – die dann auf digitalem Wege an die Wissenschaft übertragen werden. In einem großen Paket, das die Vetters zugeschickt bekommen haben, im Aktions-Kit, war neben einer ausführlichen Anleitung alles drin, was sie für die Forschung brauchen.
Ganz schön sauer - die Bodenprobe aus dem Garten der Familie
Etwa das Reagenzglas, in das Anton behutsam mit dem Löffel die vorgeschriebene Menge Erde füllt, ehe Marie destilliertes Wasser dazu gießt. Nach zehn Minuten Wartezeit hält das Mädchen einen Reagenzstreifen in die Flüssigkeit. Die Farben, die der Streifen annimmt, vergleichen Mama und Tochter mit der Farbskala aus dem Kit. Hier lässt sich der pH-Wert ablesen. Beide sind sich einig: Der Wert liegt bei 2,7. "Ganz schön sauer", staunt Manuela Vetter. Sie fragt sich, ob das wirklich sein kann – hat aber auch eine Erklärung: Dort, wo die Probe herkommt, stand früher eine Tanne. Und es sei ja bekannt, dass verrottende Tannennadeln den Boden versauern.

Während für ihre beiden Brüder dann doch irgendwann ein Ball im Garten interessanter ist als Bodenkunde, hat Marie das Durchhaltevermögen für die restlichen Tests: Sie knetet ein Stück des Bodens, in dem nun die Teebeutel schlummern, rollt es aus, bricht es auseinander, fühlt mit den Fingern und kommt zum Ergebnis: Es ist schluffiges sandiges Erdreich, zudem von dunkelgelblichbrauner Färbung. Auch die Bodentiere, die sie bei der Expedition entdeckt haben, vermag das Mädchen zu nennen: Regenwürmer, Kellerasseln und Tausendfüßler.
Dann ist der erste Teil der Expedition Erdreich für alle Vetters beendet. In gut drei Monaten wird die Familie aus Sylbach der Bodenforschung dann zwei von 9000 Puzzlesteinen liefern können, die alle zusammengenommen den Horizont der Wissenschaft entscheidend erweitern sollen. Aber Mama, Papa und Kinder werden dann selbst Einiges mehr über Böden wissen als bisher.