Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Haßberge
Icon Pfeil nach unten
Haßbergkreis
Icon Pfeil nach unten

Warum Altwerden nichts für Feiglinge ist

Haßbergkreis

Warum Altwerden nichts für Feiglinge ist

    • |
    • |

    Alt werden ist nichts für Feiglinge. Die Schauspielerin Bette Davis soll das gesagt haben. Ein weiser, wahrer und brutaler Satz. Denn mit den schönen Bildern aus Werbung von flotten grauhaarigen Herrschaften, die durch die Welt turteln, allen möglichen Spaß haben, sportlich sind und die Früchte ihrer Arbeit genießen, hat das echte Alter nichts zu tun. Überhaupt nichts.

    Wer sich noch nicht mal seinem eigenen Mann nackt gezeigt hat, muss sich mit 95 im Altenheim von einem 20-Jährigen die Windeln wechseln lassen. Wer mal ein fröhlicher, beliebter Mensch war, den macht eine Demenz zum aggressiven Tyrannen. Frauen, die mal als Stilikone galten, sabbern im Rollstuhl auf einen Jogginganzug. Wer einst in der Familie und im Büro gesagt hat, wo's langgeht, wartet darauf, gefüttert zu werden. So sieht echtes Alter aus.

    Wehren kann man sich lange gegen das Alter. Alles in den Wind schlagen, was Angehörige vorschlagen. Die Teppiche in der Wohnung beiseiteräumen, zum Beispiel. Die Tochter sieht hier böse Stolperfallen, die Mutter ihren ganzen Stolz. Oder ein höheres Bett anschaffen, vielleicht mit verstellbarem Rücken- und Fußteil. „Wieso“, sagt die 90-Jährige dann, „das alte ist doch noch gut.“ Außerdem würde so ein modernes Ding nicht zur Schrankwand passen. Regelmäßiger Besuch von einem Ambulanten Pflegedienst? Davon will die Mutter auch nichts hören. Mit ihren zwei Gehstöcken ist sie bis jetzt noch immer klargekommen. Und außerdem: Was sie mit ihrem Geld und ihrem Leben macht, das ist ganz allein ihre Sache.

    Und dann passiert's. Es muss kein Sturz sein, keine Krankheit. Nur das Alter. Allein leben, den letzten Rest Alltag meistern, geht plötzlich nicht mehr. Auch wenn täglich jemand vorbeikommen, sich um den Haushalt kümmern würde. Es gibt nur eine Lösung: ein Heim. Das ist kein leichter Schritt. Nicht für die Angehörigen, nicht für den Betroffenen. Auch hier kann man sich noch lange wehren. Die eigene Wohnung noch über ein Jahr weiterbehalten zum Bespiel, obwohl man längst im Heim lebt. „Sobald ich wieder laufen kann, kann ich ja wieder zurück.“ Diese Hoffnung nimmt nur der Kontostand. Pflegestufe eins, Doppelzimmer: Das kann 1230 Euro im Monat Eigenanteil bedeuten.

    Dann kommt die Wohnungsauflösung. Ein komplettes Leben wird in ein paar Tagen entsorgt. Geschonte Sessel. Das gute Geschirr. Die Tischdecken für den besonderen Besuch. Die schönen Kleider für die Kirche. Die angeschlagenen Alltags-Teller und -Tassen, die man irgendwann bestimmt nochmal für etwas hätte gebrauchen können. Die gestärkten Gardinen. Nippes, der nur wegen der ganzen Erinnerungen, die daran hängen, einen Platz in der Vitrine gefunden hat. Alles kommt weg. Das ist schon schlimm genug. Aber dass niemand aus der Familie die Sachen haben will. Das trifft eine alte Frau ins Mark. Auch versteht sie nicht, warum jemand so viel Geld für das bloße Entsorgen der Sachen kriegt. In ihren Augen ist doch alles noch so gut wie neu. In ihren Augen hat sich die Familie über den Tisch ziehen lassen. Das sagt sie immer wieder.

    Die Familie nimmt derweil den langen Kampf mit dem schlechten Gewissen auf. Eigentlich wäre er nicht nötig. Wer selbst auf die 70 zugeht, kann schlecht jemanden pflegen. Außerdem hat die Mutter ein schönes Zimmer im Heim, wird perfekt betreut. Aber das schlechte Gewissen ist bei jedem Heim-Besuch mit dabei. Wie die schleichende Gewissheit, selbst mal so zu enden. Tagein, tagaus im Bett liegen. Auf Besuch warten. Aus Schnabeltassen trinken. Sich an Windeln oder Katheter gewöhnen. Alle Intimsphäre aufgeben.

    Jedes Mal beim Abschied, die Beklemmung und das schlechte Gewissen im Gepäck, sagt man sich, „ich will so nicht enden“. Und weiß, dass man es nicht ändern kann. Auch wenn man sich noch so tapfer wehrt. Sich noch so gesund ernährt, Sport macht, positiv denkt und was es noch alles an Rezepten für ein langes, aktives Leben gibt. Ewige Jugend ist eine Illusion.

    Vielleicht wäre alles leichter, wenn die Schönrederei aufhörte. Die Stifte und Residenzen wieder Heime hießen. Die Leute einfach alt, tattrig und gebrechlich sein könnten. Es um Pflege für Alte und nicht Freizeitgestaltung für Senioren ginge. Nicht von allem möglichen Seiten suggeriert würde, man müsse schon von sich erwarten, mit 82 mindestens noch auf Berge zu steigen oder die Nächte durchzutanzen. Dann wäre das Alter zwar immer noch nichts für Feiglinge, der Schock der Realität aber nicht so groß. Und die Energie, die man für das Wehren verbraucht, wäre frei für das Leben.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden