Seit November ist Claudia Naumann wieder in ihrem Zuhause in Sand. Die Erinnerung an ihren Aufenthalt im Süden Indiens bleibt freilich immer vorhanden. "Es war einfach unglaublich interessant in eine so andere Welt einzutauchen", schwärmt sie noch immer. "In einer fremden Gesellschaft und Kultur zu leben, mit so vielen verschiedenen Traditionen und Religionen." Auf Grund anderer Lebensverhältnisse würden sich auch andere Werte und Normen ergeben. Diese zu verstehen und sich ihnen anzupassen war "nicht immer leicht bis unmöglich. Wer möchte seinen zukünftigen Ehepartner schon von den Eltern auswählen lassen?"
Auf der anderen Seite hat Claudia Naumann viele neue positiven Erfahrungen gewonnen. Erfahrungen, welche sie selbst erlebt hat und "auf keinen Fall missen möchte. Sehr auffallend", sagt sie, "ist der Kontrast zwischen Arm und Reich und zwischen traditionellem und modernem Leben."
Während ihres Studiums an der Bamberger Otto-Friedrich-Universität bis März 2005 wuchs bei der Diplom-Sozialpädagogin (FH) der "Wunsch, für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Ich wollte einmal in einer mir völlig fremden Kultur leben, um andere Lebensweisen kennen zu lernen, neue Eindrücke zu bekommen und Erfahrungen zu sammeln."
Die 24-Jährige hat sich im Internet über verschiedene Organisationen erkundigt und sich schließlich für YAP - CFD (Youth Action for Peace - Christlicher Friedensdienst) entschieden. YAP hat ihre Bewerbung an die Partnerorganisation FSL (Field Service and intercultural Learning) in Indien weitergeleitet und sie in ihren Vorbereitungen unterstützt.
In Haveri unterrichtete Naumann Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren, die aus ganz armen Verhältnissen stammten, in einer Art Vorschule die englische Sprache. "Wir haben außerdem gemalt, gespielt und gesungen." Um 13 Uhr ging sie meist zum Mittagessen nach Hause. "Anschließend", lacht sie, "habe ich meistens etwas geschlafen, da mich die Hitze total geschlaucht hat." Nachmittags dann hat sie oft andere indische Familien besucht, die längst zu Freunden geworden waren.
Wie vor 100 Jahren
Für einige Wochen unterrichtete die Sanderin auch abends noch zwei Klassen, deren Schüler zwischen zehn und 16 Jahren alt waren, in Englisch. Erst um 2030 Uhr gab es Abendessen "und weiter nicht viel zu tun, außer lesen und früh schlafen gehen."
In Bangalore hospitierte Claudia Naumann in verschiedenen sozialen Einrichtungen, "um einen Einblick in die dortige Sozialarbeit zu bekommen." Zwei Mal pro Woche ging sie mit anderen Freiwilligen in ein Kinderheim, um mit den (Halb)waisenkindern Hausaufgaben zu erledigen oder einfach mit ihnen zu spielen.
"Insbesondere in Haveri fühlte ich mich wie in eine andere Zeit versetzt", denkt sie zurück. "Vieles war so wie bei uns vor 100 Jahren: Die Frauen, welche die Wäsche am See gewaschen haben, die von Ochsen gezogenen Holzkarren, die Schweine und Kühe auf den meist ungeteerten Straßen, die armen Familien, die ihr Essen auf dem offenen Feuer kochen."
Auch in ihrer Schule und in den Familien der Kinder herrschten nach modernen Standard veraltete Erziehungsmethoden. So sorgte ihre Hilfslehrerin mit dem Stock für Zucht und Ordnung.
Rauer Umgangston
Wie diese konnten auch die Eltern der Mädchen und Jungen "nicht verstehen, warum ich die Kinder nicht schlagen wollte, um sie zur Ruhe zu bringen." Doch trotz rauem Umgangston und befremdlichen Verhaltensweisen waren die Menschen "sehr interessiert und herzlich." Es sei kein Tag vergangen, an dem die junge Deutsche auf dem Weg zur Schule nicht zum Tee eingeladen wurde.
Schwierig war es manchmal mit der Sprache. Die armen Menschen ohne gute Schulausbildung konnten kein Englisch und Claudia Naumann nur ein paar Worte in ihrer Sprache (in Karnataka spricht man Kannada). "Dennoch haben wir uns irgendwie verstanden und hatten viel Spaß." Am meisten gefehlt habe ihr "natürlich meine Familie, meine Bekannten und mein Freund."
"Auf jeden Fall" möchte die Haßberglerin wieder nach Indien. Einmal würde sie gerne alle Menschen, die sie kennen gelernt habe, wieder sehen. Zum anderen gebe es noch viel, was sie nicht gesehen habe. Claudia Naumann kann sich vorstellen, "in ein paar Jahren" als Entwicklungshelferin noch einmal für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Vielleicht wieder nach Indien. Vielleicht aber auch Afrika oder Lateinamerika.
Momentan leitet die 24-Jährige beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Haßfurt einen Alphabetisierungskurs für erwachsene Migranten, lehrt also Lesen und Schreiben. Gleichzeitig unterstützt sie Jugendliche, die ihren Hauptschulabschluss nachholen möchten.