Auffallend neu und etwas einsam steht die Stele aus Buntsandstein auf der Rasenfläche zwischen den Gräbern in Volkach. Was viele Friedhofsbesucher im Vorübergehen zur Kenntnis nehmen, macht für Maria und Michael einen großen Unterschied. Denn unweit der Stele mit dem Stern an der Spitze liegt eine kleine Platte mit der Aufschrift "Nils", ihrem Sternenkind.
Es war vor über einem Jahr im Oktober: Zu Hause in Volkach herrschte Hektik. Die Handwerker waren im Haus, um einen Wasserrohrbruch zu reparieren. Gegen Mittag entdeckte Maria eine Blutung; zur Abklärung fuhr sie zum Arzt. Vom Schlimmsten sei sie nicht ausgegangen, nur auf Nummer sicher wollte sie gehen, erzählt sie rückblickend.
Beim Ultraschall konnte die Ärztin keine Herztöne feststellen
Als die Ärztin Ultraschall machte, merkte Maria schnell, dass etwas nicht stimmte. Die Ärztin sei sehr konzentriert gewesen und habe sie ungewöhnlich lange untersucht. Mit den Worten der Ärztin, dass es ihr leidtue, sie könne keine Herztöne feststellen, brach für Maria und Michael eine Welt zusammen. "Zwei Stunden zuvor war noch alles gut; da haben wir uns darüber Gedanken gemacht, dass wir einen neuen Kinderwagen brauchen", sagt Maria leise und weint.

Michael holte Maria beim Arzt ab. Wie in Trance fuhren sie gemeinsam nach Hause, um die Tasche für die Klinik zu packen und für ihre beiden Söhne einen Babysitter zu organisieren. Auf der Fahrt klammerten sie sich an die kleine Hoffnung, dass in der Klinik vielleicht doch noch alles gut wird. "Da war nur hilflose Leere, du weißt nicht, was jetzt kommt", beschreibt Michael diese Zeit. Doch die Hoffnung war vergebens. Noch in der Nacht wurde die Geburt eingeleitet. Sohn Nils wurde in der 16. Schwangerschaftswoche still geboren.
Jede dritte Frau ist von einer Fehlgeburt betroffen
Fehlgeburten sind häufiger als viele Menschen denken. Laut Statistischem Bundesamt wurden 3247 Kinder im Jahr 2022 tot geboren. Erfasst werden jedoch nur Totgeburten ab der 24. Woche oder einem Geburtsgewicht von mindestens 500 Gramm. Ein im Mutterleib verstorbenes Kind, das bei der Geburt noch keine 500 Gramm wiegt oder vor der 23. Woche geboren wird, wird statistisch nicht erfasst.
Dabei ist etwa jede dritte Frau einmal von einer Fehlgeburt betroffen. Fehlgeburten treten häufig in der Frühschwangerschaft bis zur 12. Schwangerschaftswoche auf. Im zweiten Schwangerschaftsdrittel, also zwischen der 12. und der 24. Woche, kommen Fehlgeburten seltener vor.

"Wir haben ihn den ganzen Tag bei uns behalten dürfen, ihn gehalten und angeschaut, jeden Moment ausgekostet", erzählt Maria und nippt an ihrem Kaffee. Die Tränen laufen ihr über die Wangen. Eine Schwester nahm noch einen Hand- und Fußabdruck und eine Sternenkinder-Fotografin machte Bilder.
Am Abend war die Zeit des endgültigen Abschieds gekommen. Eine Schwester brachte Nils in die Pathologie. Maria und Michael warfen einen letzten Blick auf ihren Sohn, dessen Herz viel zu früh aufgehört hatte zu schlagen. Geblieben war ihnen sein kleines weißes Einschlagtuch, ein dicker Packen Broschüren mit Ratgebern und vor allem die quälende Frage, wie es jetzt weitergeht und was mit ihrem Kind passieren soll.
Eine Bestattungspflicht für tot geborene Kinder besteht erst nach der 24. Woche
Laut Bayerischem Bestattungsgesetz ist geregelt, dass nach der 24. Schwangerschaftswoche und bei einem Geburtsgewicht von 500 Gramm eine Bestattungspflicht besteht und das Kind in einem eigenen Grab beerdigt werden muss. Bei Totgeburten, die unter diese Grenze fallen, verhielt es sich lange anders. Meist wurden sie in den Geburtskliniken gesammelt und anonym in einem Sammelgrab beerdigt.
Erst 2013 verschaffte eine Gesetzesänderung den Betroffenen eine neue Grundlage. Seitdem dürfen Sternenkinder unabhängig von ihrem Gewicht beim Standesamt als Mensch erfasst werden und offiziell einen Vornamen tragen. Eltern können sich nun eine Geburtsbescheinigung ausstellen lassen – auch rückwirkend bei Vorlage des Mutterpasses. Außerdem obliegt ihnen ein Bestattungsrecht. Das heißt, dass sie ihr Kind begraben können. Denn für die trauernden Eltern spielt das Gewicht des verstorbenen Kindes keine Rolle.
"Wir haben ihn gesehen, er war ein kleiner Mensch."
Michael über seinen Sohn Nils, ein Sternenkind
"Wir haben ihn gesehen, er war ein kleiner Mensch", sagt Michael mit Nachdruck in der Stimme. Ein Sammelgrab über die Klinik war für Maria und Michael keine Option. "Als wir wieder zu Hause waren, habe ich tagelang telefoniert und recherchiert, um herauszufinden, welche Möglichkeiten wir überhaupt haben. Das war sehr anstrengend, aber wir wollten eine Entscheidung, um in Ruhe trauern zu können."

Ein Familiengrab in Volkach gab es in der Familie nicht, und eines zu mieten, kam nicht infrage. Die Sternenkinderwiese in Würzburg war einfach zu weit weg und auch der Bezug fehlte. "Das hat sich für uns alles nicht richtig angefühlt. Wir wohnen hier in Volkach und wollten ihn bei uns haben", sagt das Paar. Es folgte ein Anruf bei der Stadt Volkach und die Frage, ob es denn keine Möglichkeit für die Bestattung von Sternenkindern gebe.
Schnelle Hilfe von der Stadt Volkach für die trauernden Eltern
Bis zum Anruf der Familie sei ein Bereich für Sternenkinder nicht in Planung gewesen, da es eine solche Anfrage zuvor noch nicht gegeben habe, berichtet Margit Krämer, die das Standesamt leitet. Meist werden solche Kinder in Familiengräbern beigesetzt. Man habe sich aber umgehend um das Anliegen bemüht.

Schon am darauffolgenden Tag habe eine Begehung auf dem Volkacher Friedhof stattgefunden. Da sich die Bestattungskultur gerade ändere und Erdbestattungen weniger werden, sei schnell im engen Austausch mit der Familie ein Platz für Sternenkinder gefunden worden. Das sei kein großer Aufwand gewesen.
Die unkomplizierte und schnelle Lösung gemeinsam mit der Stadt Volkach hat Maria und Michael in ihrer Situation sehr geholfen. Mithilfe eines Bestatters war es ihnen so möglich, ihren Sohn zwei Wochen nach dessen stiller Geburt in Würde zu beerdigen.
"Ich gehe fast täglich hin und besuche ihn."
Maria aus Volkach ist dankbar für die Sternenstele
Der Friedhof ist für die Eltern und die Geschwisterkinder zu einem wichtigen Anlaufpunkt und eine Säule der Trauerbewältigung geworden. "Ich gehe fast täglich hin und besuche ihn", erzählt Maria. "Für die Verarbeitung war es das Beste, was mir passieren konnte." Das ist auch ein Grund, warum Maria und Michael offen über ihre Geschichte sprechen. "Wir möchten anderen Mut machen, nachzufragen und das zu tun, was sich in diesem Moment gut anfühlt", sagen sie.

"Das Thema Sternenkinder ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, über das nicht gesprochen wird", findet das Paar. "Die Sternenstele auf dem Volkacher Friedhof soll ein Ort des Gedenkens für alle Sternenkinder sein. Vor allem auch für diejenigen, die vor noch nicht allzu langer Zeit keine Möglichkeit einer Bestattung hatten." Ihren Sohn Nils und die traumatische Geburt werden die Eltern nie vergessen. Oder wie Maria sagt: "Ich habe drei Kinder."
Hinweis der Redaktion: Zum Schutz der Betroffenen werden in diesem Artikel nur die Vornamen verwendet.