Mit Anfang 20 ging es los: Dauerschnupfen, gerötete Augen, nächtliche Atemnot, die sich wie ein Asthmaanfall anfühlte. Der Arzt – zunächst ratlos. Bis Hans Gebert nicht mehr kann. Der, den man zum Arzt fast schon zwingen muss, schleppt sich mit letzter Kraft zu einem Lungenfacharzt nach Würzburg. Nach einigen Test steht fest: Der junge Mann aus dem Marktbreiter Ortsteil Gnodstadt (Lkr. Kitzingen) leidet an einer Mehlallergie.
Das war Anfang der 1980er Jahre. Und es war oft das berufliche Ende: Hans Gebert schickte sich gerade an, die elterliche Backstube in fünfter Generation zu übernehmen. Von Kindesbeinen an hatte er mitgeholfen, war reingewachsen, hatte das Handwerk von der Pike auf gelernt. Nichts anderes hatte er machen wollen, nichts anderes sich vorstellen können – und nun das. Ein Bäcker mit Mehlstaub-Allergie. Das Ende. Der Schlag in die Magengrube. Ein zerplatzter Lebenstraum für den Mittleren von drei Brüdern, der die Tradition unbedingt fortführen sollte.
So ähnlich wie ein Heuschnupfen
Aufgeben? Kam nicht in Frage! Mit der Berufsgenossenschaft tauschte sich Gebert aus, ob nicht trotz der Berufskrankheit eine Chance besteht, irgendwie weiterzumachen. Etwa zehn Prozent der rund 270 000 Beschäftigten im Bäckerhandwerk in Deutschland haben genau diese "Bäcker-Allergie", wie Siegfried Döbler, Branchenkoordinator Backgewerbe von der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN), auf Anfrage mitteilt. Diese Allergie, sagt er, könne man sich ähnlich wie Heuschnupfen vorstellen: Es kann einen jederzeit erwischen, fällt aber die Ursache weg, ist alles wieder gut. Die alles entscheidende Frage für Gebert hing also mit der Ursache zusammen und lautete damals: Gibt es eine Möglichkeit, dass Mehl nicht mehr staubt?
Hans Gebert machte sich – fast schon trotzig – ans Werk. So wie er heute nicht nur Bäcker ist, sondern auch Landwirt, Müller, Verkäufer und Schatzbewahrer für alte Getreidesorten, war er auch damals einiges mehr: Erfinder, Tüftler, Ausprobierer – und Aufbegehrer. Gegen eine Allergie, die ihm seinen Lebenstraum zu zerstören drohte.

Das war der Moment, als viele Schläuche und Absaug-Einrichtungen ins Spiel kamen. Das Experimentieren begann. Dazu wissenschaftliche Untersuchungen, unterstützt von seiner Berufsgenossenschaft: Hält sich Roggenmehl tatsächlich bis zu fünf Stunden in der Luft? Welche Temperatur ist am besten, damit der Staub schneller zu Boden sinkt? Wo genau müssen die Filter hängen, damit der Bäcker möglichst wenig abbekommt? Wie leistungsstark muss so ein Filter sein?
Wie in einem Schlaflabor
Um derlei Fragen zu beantworten, stand Hans Gebert viele Male von oben bis unten verkabelt in seiner Backstube, die mitunter wegen der vielen Schläuche eher einem Schlaflabor glich. "Ein halbes Versuchslabor" sei seine Bäckerei gewesen, erinnert sich Gebert. Das Mehl in der Luft verschwand zwar nicht ganz. Immerhin aber wurde damals – durch den wachen Erfindergeist auf der einen und die wissenschaftliche Begleitung auf der anderen Seite – in der Backstube eine Verringerung des Mehlstaubs von etwa 80 Prozent erreicht. Die nicht geringen Kosten für all das nahm Gebert in Kauf, "um in dem Beruf bleiben zu können".

Das Tüfteln des Bäckers, der um ein Haar keiner mehr sein durfte, endete damit jedoch nicht. Mehrfach wurde die Backstube in den Folgejahren erweitert. Jedes Mal gerieten die Absaug-Einrichtungen noch ausgefeilter. Samt mehrfachem Luftaustausch pro Stunde. Man könnte fast von einem prima Klima in der Backstube sprechen. "Die weiße Wolke", sagt Gebert, "war dadurch weg." Aufatmen im Wortsinn.
Ein Problem gab es aber noch: Trennmehle, die auf den Arbeitsplatten bei der Teigaufarbeitung benötigt werden, stauben besonders stark. Die Lösung für das Problem fand sich auf einer Bäckermesse Anfang der 90er-Jahre, auf der der Gnodstädter auf eine ausrangierte DDR-Maschine traf. Die sollte für besseren Teegeschmack sorgen, indem sie Teeblätter mit Wasser beschoss, um die Geschmacksstoffe herauszukitzeln – was aber nie wirklich funktioniert hat.
Den Gnodstädter Bäcker brachte das auf eine bahnbrechende Idee: Mit genau dieser Maschine – ein Kaventsmann von vier mal zwei Meter – ließe sich vielleicht was gegen den Mehlstaub machen. Es sollte funktionieren – und tatsächlich für eine Revolution in der Backstube sorgen.
Befeuchtet und in den Backofen
Vereinfach gesagt funktioniert das Ganze so: Das Trennmehl kommt in die Maschine, dort wird es mit einem feinen Wasserstrahl verwirbelt. Das befeuchtete Mehl landet anschließend auf einem Backblech, kommt kurz in den Backofen, wird dann gesiebt – und staubt ab diesem Moment nicht mehr. Trennmehl ohne Feinstaub.
Das staubfreie Streumehl war geboren – und das Herstellverfahren wurden nach seinem Entdecker genannt: das Gebert-Verfahren. Der Erfinder hätte sich die Idee mit dem Zurücktrocknen patentieren lassen können – aber darum ging es ihm nicht. Er wollte, dass alle Leidensgenossen profitieren. Dass Bäcker mit Mehlallergie Bäcker bleiben können.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Mühlenkonzerne übernahmen das Verfahren flächendeckend. Denn unabhängig von Allergien gab es generell ein Problem in Backstuben: Die Grenzwerte für den Mehlstaub wurden immer strenger. Die Erfindung kam also gerade recht.
Die sechste Generation
Der 57-jährige Gnodstädter lebt seinen Beruf bis heute. Er setzt auf ganzheitliches Herangehen, weshalb er neuerdings auch Bio-Bauer ist und seine Idee von einem ganz speziellen Handwerk umsetzt: „Was es nicht zum Selbermachen gibt, gibt es bei uns nicht!“
Sein staubfreies Streumehl stellt er bis heute her, wobei er auch andere Backstuben damit beliefert. Aus der DDR-Monster-Maschine mit dem Wasserstrahl ist inzwischen ein mehrfach weiterentwickelter und vor allem überschaubarer Apparat geworden. Und das Allerbeste: Sein Sohn Valentin könnte eines Tages den Traum weiterleben, gerade hat der Junior seine Bachelor-Arbeit geschrieben. Das Thema fand er in der eigenen Familie: zurückgetrocknetes Mehl.