Lieferengpässe bei Medikamenten sind kein neues Problem. Doch die Situation hat sich nicht verändert und wird es wohl auch in naher Zukunft nicht. Davon ist Apotheker Bernward Unger aus Dettelbach (Lkr. Kitzingen) überzeugt.
Der unterfränkische Bezirksvorsitzender im Bayerischen Apothekerverband spricht von hunderten Medikamenten, die derzeit bei der Lieferung im Rückstand seien. Im Interview spricht Unger über die Ursachen - und wie die Apotheken in der Region jeden Tag für ihre Kundschaft nach passenden Lösungen suchen.
Herr Unger, wie ist die Situation bei Medikamenten derzeit, wo gibt es Mängel?
Bernward Unger: Lieferengpässe gibt es reichlich. Ich gehe davon aus, dass jede Apotheke in der Region derzeit hunderte von Medikamenten im Rückstand hat. Bei manchen ist es sehr dramatisch. Dazu gehört zum Beispiel das Antibiotikum Doxycyclin. Auch antibiotische Augentropfen, Asthmasprays, Cholesterinsenker und einige Schmerzmittel sind derzeit schwer erhältlich.
Wie sieht es bei Medikamenten für Kinder aus?
Unger: Bis auf wenige Ausnahmen sind Fiebersäfte für Kinder erhältlich. Auch bei Antibiotika für Kinder gibt es bei den meisten Wirkstoffen aktuell keinen Mangel. Aber es ist noch keine heftige Infektsaison. Was auf uns zukommt, das weiß keiner im Moment. Klar ist nur: Die Situation wird nicht besser.

Wie oft haben sie mit Lieferengpässen zu tun?
Unger: Damit haben wir mehrmals am Tag zu tun. Jedem dritten, vierten Kunden müssen wir sagen, dass das verschriebene Medikament derzeit nicht erhältlich ist. Dann suchen wir nach Lösungen.
Welche Lösungen sind das?
Unger: Kommt ein Patient mit einem Rezept für ein bestimmtes Medikament, das derzeit nicht erhältlich ist, wird nach Ersatzmöglichkeiten gesucht oder nach anderen Darreichungsformen. Das schaffen wir in den allermeisten Fällen. Wir tun alles, um unsere Patienten zu versorgen. Dazu gehören auch zeitraubende Anrufe bei der Hausarztpraxis, manchmal auch in Kliniken und bei Herstellern. Wenn es heißt, wir liefern in dieser Kalenderwoche aus, ist nicht klar, in welcher Menge. Auch bei minimalen Auslieferungen heißt es von den Krankenkassen, es bestehe kein Engpass, die Hersteller könnten ja liefern. Das ist ein Hickhack, jeder schiebt es auf den anderen. Hinzu kommt: Dieser immense zeitliche Aufwand unserer Nachfragen und Erkundigungen wird von den Krankenkassen nicht honoriert.
"Ein Hickhack, jeder schiebt es auf den anderen."
Apotheker Bernward Unger über Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten
Welche Lösung schlagen Sie vor?
Unger: Es wäre eine Lösung, die Produktion von Arzneimitteln wieder nach Europa zu holen. Und die Krankenkassen sollten die Preise für Medikamenten nicht bis zum allerletzten runterhandeln. Denn dann liefern die Hersteller woandershin. Das war zum Beispiel vor zwei Jahren bei den Fiebersäften für Kinder der Fall. Bei uns war es ein Problem sie zu erhalten, in Österreich oder Tschechien nicht. Dort haben die Hersteller mehr für ihr Produkt bekommen. Es ist ihnen nicht zu verdenken, dass sie lieber dorthin verkaufen. Außerdem wäre es hilfreich, uns in der Apotheke mehr unbürokratischen Handlungsspielraum bei der Auswahl und Abgabe zu lassen. Während der Corona-Pandemie haben wir bewiesen, dass wir mit dieser Freiheit sorgsam und verantwortungsbewusst umgehen.

Verhandeln deutsche Krankenkassen also zu hart?
Unger: Es geht um die Rabattverträge, die Krankenkassen mit Herstellern aushandeln. Wenn bei diesen Herstellern ein Medikament nicht lieferbar ist, aber von einer anderen Firma, mit der kein Rabattvertrag besteht, und wir den Patienten aus diesem Angebot versorgen, dann müssen wir das dokumentieren. Das ist zeitaufwändig. Vergessen wir die Dokumentation oder liegt ein wenn auch noch so geringer Formfehler vor, auch wenn er nicht von uns verursacht wurde, dann zahlen uns die Krankenkassen keinen Pfennig. Sie argumentieren, wir hätten die Rabattverträge nicht berücksichtigt. Ohne Dokumentation riskieren wir jedoch, von den Krankenkassen um unser Geld betrogen zu werden.