Wer eine Ausbildung anfangen wollte, hat sich früher bei Firmen beworben - heute bewerben sich die Firmen bei den jungen Leuten: Dieser in der Wirtschaft gängige Spruch zeigt, wie sich die Vorzeichen auf dem Lehrstellenmarkt verändert haben. Der Mangel an Nachwuchs ist bundesweit ein Riesenproblem für Unternehmen geworden, Tendenz steigend.
Allein in Mainfrankens Handwerk blieben in den vergangenen Jahren jeweils gut 1000 Stellen unbesetzt. Deshalb lehnen sich in der Region mittlerweile viele Chefs weit aus dem Fenster, um Auszubildende zu ködern.
Das hat auch Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul von der Handwerkskammer für Unterfranken erkannt: "Beim Finden geeigneter Nachwuchskräfte spielt das Thema Arbeitgeberattraktivität eine immer größere Rolle."
Was die Unternehmer den jungen Leuten mit gutem Willen hinterher werfen, sei mittlerweile sehr vielfältig. "Dazu gehören beispielsweise Boni für gute Noten, Smartphones, Zuschüsse zum Jobticket oder E-Bikes", so Paul. Auch werde hier und da der Führerschein bezahlt oder es gebe Spezial-Fortbildungen, gemeinsames Lernen und Ausflüge.
Messen sind in dieser Hinsicht für Unternehmen wichtige Schaufenster geworden. So zeigte sich am Wochenende auf den Berufsinformationstagen (BIT) in Kitzingen, wie weit Unternehmen heute gehen, um an Lehrlinge mit ihren zum Teil deutlich gestiegenen Ansprüchen zu kommen. Und wo das Grenzen hat. Beispiele:
Fehrer in Kitzingen: Unbefristete Übernahme und Noten-Boni ziehen am meisten
"Das A und O ist die Perspektive", meint Ausbildungsleiter Steffen Gernert von der F.S. Fehrer Automotive GmbH in Kitzingen. Lehrlinge suchten eine Verbundenheit mit ihrem Betrieb, weshalb das auf Autositze spezialiserte Unternehmen mit seinen 1100 Beschäftigten den jährlich etwa 20 Azubis unter anderem eine unbefristete Übernahme anbiete.
Ansonsten geht Fehrer Wege, die man auch von manch anderen Betrieben dieser Größe so oder so ähnlich kennt: Was an der Berufsschule an Kosten anfällt, zahlt das Unternehmen, also zum Beispiel Bücher, Kopien oder Fahrten. Auch besondere Kennenlern- oder Wohlfühl-Veranstaltungen werden übernommen.
Bei den Jugendlichen populär sind laut Gernert die Prämien für gute Noten. Fehrer zahle pro Kopf bis zu 600 Euro pro Ausbildungsjahr, wenn es nach bestimmten Kriterien an der Berufsschule besonders gut laufe. Auch die Möglichkeit, über den Betrieb an eine Online-Plattform mit Rabatten zum Beispiel für Einkäufe oder Reisen zu kommen, sei gefragt.

Fehrer punktet nach Gernerts Worten auch mit etwas, das nur wenige Unternehmen in der Region haben: mit der Werksfeuerwehr. Dort könnten Jugendliche alle Leistungsprüfungen ablegen und zum Beispiel eine Atemschutz-Ausbildung machen. Das werde von Freiwilligen Feuerwehren anerkannt, wenn ein Lehrling später dort eintreten will.
Dem Ausbildungsleiter zufolge hat Fehrer den internen Aufwand für die Azubi-Suche in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Auch die Werbetrommel in den Internet-Netzwerken wie etwa Instagram zu rühren, "ist zwar relativ neu", sei aber mittlerweile Pflicht.
Wie viel all der Aufwand das Unternehmen mittlerweile kostet, kann Gernert nicht beziffern. Erfolg zeigt der Aufwand zumindest teilweise: Im September fangen dem Ausbildungsleiter zufolge acht neue Lehrlinge an, drei Stellen seien aber noch offen. Und pro Jahr habe Fehrer im Schnitt 150 Praktikantinnen und Praktikanten.
Elektro Löther in Obernbreit: Wo der Azubi direkten Draht zum Chef hat
Familienunternehmen ticken anders als Konzerne, der Zusammenhalt ist bei den kleinen Betrieben oft intensiver: Damit will die Elektro Löther GmbH in Obernbreit (Lkr. Kitzingen) punkten. Die Lehrlinge schätzten, "dass man bei uns den Chef auch mal sieht", meint Prokurist Elmar Scheller. Es habe sich als deutlicher Pluspunkt gezeigt, dass man den Nachwuchs "in die Firma integriert".
Das Gemeinschaftsgefühl werde auch durch einen besonders persönlichen Umgang untereinander gestärkt. Zum Beispiel bei gemeinsamen Festen oder der Tatsache, dass Löther Azubis unter die Arme greift, wenn sie mit den öffentlichen Nahverkehr nicht oder nicht immer zuverlässig zur Arbeit kommen können.

Scheller zufolge setzt der Handwerksbetrieb mit seinen 50 Beschäftigten und derzeit acht Lehrlingen seit Jahren auf Veranstaltungen wie die BIT, weil es ein wichtiger Teil der Nachwuchswerbung sei. "Das Handwerk hat sich früher auf solche Messen gar nicht getraut", meint der Prokurist. "Aber man muss sich heute unbedingt zeigen."
Wie bei Fehrer in Kitzingen hat auch Löther in Obernbreit mit seiner Strategie zumindest teilweise Erfolg: Zwei Bewerber haben laut Scheller einen Ausbildungsvertrag für 2023 unterschrieben. Zwei weitere hätten es gerne noch sein dürfen.
Frachtenlogistik Mainfranken in Effeldorf: Wie ein Teil der Familie
Ähnlich wie Elektro Löther setzt auch die Frachtenlogistik Mainfranken FLM GmbH in Effeldorf (Lkr. Kitzingen) auf den besonderen Charme eines Familienbetriebs, um bei Lehrlingen in spe anzukommen. "Wir haben eine ganz flache Hierarchie", umschreibt FLM-Chef Heiko Hufnagel die Tatsache, dass er sich freitags schon mal mit seinem Team auf den Betriebshof begibt, um dort die Lastwagen zu waschen.
Die Identifikation der Azubis mit dem Betrieb sei heutzutage das Wichtigste, was ein Unternehmen bieten muss. Hufnagel will das beflügeln, indem er Lehrlingen zum Beispiel eine private Zusatz-Krankenversicherung bezahlt, bei der Wohnungssuche hilft und sogar je nachdem zinslose Kleinkredite für Beschaffungen anbietet.
"Wir nehmen die jungen Leuten bei uns auf wie ein Familienmitglied", betont der Fuhrunternehmer, dessen zwölf Lastwagen zu 90 Prozent im innerdeutschen Verkehr unterwegs sind. Hufnagel spürt das, was seine ganze Branche seit Jahren zum Teil schlagzeilenträchtig plagt: Es fehlen an allen Ecken Berufskraftfahrerinnen und -fahrer.

Um Nachwuchs zu bekommen, "gehen wir jetzt schon ziemlich auf die Knie", meint Hufnagel. "Es ist vielleicht nicht immer der richtige Weg", aber er sehe keinen besseren. Denn das Metier werde von schwierigen Umständen begleitet: Zeitdruck für die Fahrer, überfüllte Rastplätze mit schmutzigen Toiletten, fehlender Respekt gegenüber den Menschen am Lkw-Lenker.
"Man muss seine Fahrer schützen", und das tue er bedingungslos, hebt Hufnagel hervor. Das spreche sich herum und sei bei der Nachwuchssuche ein dicker Pluspunkt. Dass er bei der BIT in Kitzingen zum ersten Mal auf einer solchen Messe war, solle dazu beitragen: "Man muss sich zeigen."
Geholfen hat es FLM freilich bislang nur bedingt: Azubis im klassischen Sinn hat das Unternehmen mit seinen 18 Beschäftigten derzeit nicht. Allerdings zwei Umschüler, die schon einen anderen Beruf gelernt haben.
Schulabgängerinnen und -abgänger seien heute "zielloser als früher", beklagt Hufnagel. "Das liegt auch an den Eltern." Deshalb müsse man Interessierten erst einmal die Augen öffnen, welche Berufswege sich mit einer Ausbildung auftun.
Behälterbau Roth in Wiesenbronn: Warum man nicht allzu sehr auf die Knie gehen sollte
Den jungen Leuten die Augen öffnen: Das ist auch bei der auf Edelstahlbehälter ausgerichteten M. Roth GmbH & Co. KG in Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) der erste Schritt. "Manche Berufe sind einfach aus dem Fokus geraten", hat Geschäftsführer Martin Adler beobachtet.
Hier ein Handy, da Rabatte und Boni oder sonstige "Bonbons": Adler hält nichts davon, Lehrstelleninteressierten mit aller Macht alles hinterher zu werfen. "Das setzt die falschen Signale" und garantiere nicht immer, dass Roth damit den Nachwuchs bekommt, der langfristig bleibt.

So geht das Familienunternehmen mit seinen 100 Beschäftigten eher gängige Wege, wenngleich mit manchen Ausrufezeichen: Je nach Ausbildungsjahr gibt es "bei sehr guten Leistungen" bis zu 720 Euro aufs Azubi-Gehalt drauf. Im vierten Lehrjahr zum Beispiel sind dann nach Firmenangaben schon mal fast 1900 Euro in der Lohntüte.
Aber Geld sei bei der heutigen Generation "nicht mehr ganz so entscheidend wie früher", sagt Adler. Seine Ehefrau Barbara hat als Ausbildungsbeauftrage bei Roth beobachtet, dass Interessierte es vielmehr schätzen, "wenn man ihnen hilft, sich selbst zu verwirklichen".
Das fängt nach Darstellung von Martin Adler schon bei den regelmäßigen Aktionstagen von Roth an, wo den jungen Gästen angeboten wird, kleine Gegenstände aus Edelstahl mit den eigenen Händen herzustellen. "Da gehen dann manchen die Augen auf, was alles möglich ist in diesem Beruf."
Doch auch Roth hat beim Erfolg noch Luft nach oben: Für dieses Jahr hat das Unternehmen laut Geschäftsführer schon einen neuen Lehrling. Noch einer wäre aber besser, so Adler.