Das Hitzewochenende vom 18./19. Juni war zu viel. Das Getreide hat das Körnerwachstum eingestellt. „Notreife“ nennen das die Landwirte. Die Folge: Bis auf die Wintergerste wird die Getreideernte unterdurchschnittlich ausfallen. Und sie beginnt etwa zwei Wochen früher als in „normalen“ Jahren. Die ersten Mähdrescher sind bereits unterwegs.
Erntegespräch in Rehweiler: Bauernverband (BBV) und Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) haben auf den Hof der Familie Kern eingeladen, um einen Ausblick auf die beginnende Ernte zu geben. Auf die schauen in diesem Jahr auch Menschen, die sich bisher kaum für die heimische Landwirtschaft interessiert haben. Leere Ölregale, begrenzter Verkauf von Mehl – unvorstellbar für viele und doch Realität als Folge des Krieges in der Ukraine. Da wird plötzlich interessant, wie es denn aussieht mit den Früchten, die auf den heimischen Feldern wachsen.
Dr. Herbert Siedler, Bereichsleiter Landwirtschaft am AELF Kitzingen-Würzburg, hat Zahlen mitgebracht. Die meisten Ziffern in seiner Tabelle sind schwarz gedruckt: Bei der Anbaufläche hat sich nicht viel verändert. Winterweizen zum Beispiel, wächst heuer auf 6804 Hektar im Landkreis Kitzingen, im letzten Jahr waren es 6634 Hektar. Flächenmäßig ist das die größte Kultur, gefolgt von Dinkel (4144 ha), Silomais (3804 ha) und Wintergerste (3273 ha).
Ein paar Zahlen sind grün abgedruckt, die Anbaufläche einiger Kulturen ist deutlich gestiegen. Winterraps zum Beispiel, weil die Nachfrage danach schon vor dem Ukraine-Krieg gestiegen war. Sommergerste, auch wenn die im Landkreis Kitzingen trotzdem noch eine geringe Rolle spielt. Und Sonnenblumen. Auf 788 Hektar wurden sie im vergangenen Jahr angebaut, jetzt wachsen sie auf 1065 Hektar Fläche. Ein Anstieg, der sich nicht nur auf den Landkreis Kitzingen beschränkt, sondern auch unterfranken- und bayernweit zu beobachten ist. „Viele haben da nachgelegt“, sagt Herbert Siedler. Öl fehlt, da bietet sich der Anbau der Sonnenblumen an. Zumal es mit der Erzeugergemeinschaft Kitzingen vor Ort eine gute Vermarktungsstruktur gibt. Im Landkreis gewachsen, im Landkreis verarbeitet, in der Region verkauft. So, wie es sich die meisten Verbraucher ja wünschen. „Die Aussaat war nach Kriegsbeginn“, sagt Helmut Schmidt, stellvertretender BBV-Kreisobmann und Beiratsmitglied in der Erzeugergemeinschaft. „Da war klar, dass die Nachfrage sehr hoch bleibt.“ Der Anbau konnte ausgeweitet werden. Ein bisschen skeptisch ist sein Blick in die Zukunft trotzdem. „Wenn die Ukraine wieder produziert, sind wir schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen.“ Weil damit zu rechnen ist, dass der Verbraucher dann wieder zu den günstigeren, von weit her transportierten Ölen greifen wird.
Eine einzige Zahl in Herbert Siedlers Tabelle sticht rot heraus: Die Anbaufläche von Silomais ist zurückgegangen. Im Landkreis von 4367 auf 3804 Hektar. Auch das spiegelt die Entwicklung in ganz Bayern wider. „Letztes Jahr hatten wir eine starke Ernte“, begründet er den Rückgang. „Die Silos waren voll.“ Und, so fügt BBV-Kreisgeschäftsführer Wilfried Distler an, „Biogas stagniert, Milchvieh und Rinder gehen runter“. Damit entwickeln sich die beiden großen Bereiche, für die Silomais benötigt wird, rückläufig.
Die Familie Kern hält Kühe. 75 Melkkühe stehen im Stall, dazu die Nachzucht. „Wir mästen die Kälber selbst“, sagt Andreas Kern. Einschließlich Bullen leben etwa 200 Tiere auf dem Hof, der Laufstall ist modern, bietet viel Platz. Die Kerns bewirtschaften 60 Hektar Ackerland mit Getreide, Mais, Rüben, außerdem 60 Hektar Wiesen. „Beim ersten Schnitt war die Menge super“, berichtet Andreas Kern, „der zweite Schnitt war eine Katastrophe“. Die Hitze und die Trockenheit machen sich in allen Bereichen bemerkbar.
Dabei ging es letztes Jahr im Herbst ganz gut los, wie Herbert Siedler deutlich macht. Die Niederschläge waren günstig, die „Winterung“ wie Winterweizen, Wintergerste, Winterraps, sei nach der Aussaat rasch und gleichmäßig aufgegangen. Der Winter war mild, die Niederschläge ausgeglichen, allerdings nicht so ergiebig, dass die Wasservorräte im Unterboden aufgefüllt werden konnten. Der März war zwar trocken, doch die Aussaatbedingungen für die „Sommerungen“ seien günstig gewesen. Der Schnee Anfang April blieb ohne Auswirkungen, so dass auch Mais, Sojabohnen und Rüben bei guten Bedingungen gesät werden konnten.
Als entscheidend für die Ernte sollten sich die Monate Mai und Juni herausstellen. „Deutlich zu trocken“, konstatiert Dr. Siedler. „Und 2,7 Grad über der langjährigen Durchschnittstemperatur.“ Besonders problematisch sollte das Wochenende 18./19. Juni werden. 36,5 Grad wurden da im Landkreis Kitzingen gemessen – und das war deutlich zu viel für die meisten Getreidesorten. Lediglich Wintergerste war in der Entwicklung schon weit, wurde nicht ganz so stark beeinträchtigt. „Aber alle anderen Getreidesorten schon.“ Man habe Stunde um Stunde zuschauen können, wie die Pflanzen mehr litten. Die Hitze zu groß, das Wasser zu wenig, da konzentriert sich die Pflanze aufs Überleben. Die Ausbildung der Früchte steht hintenan. Die Körner, die die Pflanze im März/April angelegt hat, werden hart, wachsen nicht mehr. „Seit zwei Wochen hat sich nichts mehr getan“, sagt Helmut Schmidt. Und so heißt es bei den Ertragsaussichten des AELF für den Landkreis Kitzingen besonders oft „unterdurchschnittlich bis mittel“: bei Winterweizen, Titicale, Winterroggen. Bei Sommergerste wäre die Erwartung für eine mittlere Ernte wohl schon zu viel. Lediglich bei der Wintergerste könnte es vielleicht doch noch „gut“ werden.
Mais und Soja entwickeln sich derzeit normal, bei den Zuckerrüben gibt es lediglich auf schwächeren Standorten Wachstumsverzögerungen. Doch vor allem beim Mais blickt Wilfried Distler nicht ungetrübt auf die nächsten Wochen. „Er rollt schon die Blätter zusammen wegen der Hitze.“ Und beim Längenwachstum hat sich in den letzten zehn, zwölf Tagen auch nicht viel getan. In etwa vier Wochen bildet der Mais die Kolben aus. Bleibt es so heiß und trocken, werden die wohl ziemlich klein und dünn ausfallen. Herbert Siedler hebt den kleinen Finger und streicht darüber, um die Größe zu verdeutlichen. Gut möglich, dass auch der Mais in die Notreife geht.
Hitze und Trockenheit sind für die Landwirte in der Region längst nichts Neues mehr. „Damit müssen wir klarkommen“, sagt Wilfried Distler. Und wie gut oder schlecht die Ernte ausfällt, ist auch nicht die einzige Unwägbarkeit für die Landwirte. Weil die Getreidepreise höher sind, sieht es für diejenigen, die ihre Ernte verkaufen, gar nicht mal so schlecht aus. Deutlich problematischer ist es für Betriebe, die ihre Ernte zur Ernährung ihrer Tiere brauchen – oder vielleicht auch noch zukaufen müssen. Und dann ist natürlich entscheidend, ob und zu welchen Bedingungen die Landwirte Verträge abgeschlossen haben – für den Kauf von Dünger, für die Vermarktung ihrer Ernte. Wer sich den Dünger zum niedrigeren Preis gesichert hat, profitiert, wer das Getreide zum niedrigeren Preis verkauft hat, schaut in die Röhre. „Ein bisschen ist das auch Glückssache mit den Verträgen“, sagt Herbert Siedler. Man muss hoffen, dass man alles richtig gemacht hat. Ändern lässt sich das jetzt nicht mehr.
Doch viel Zeit zum Grübeln bleibt ohnehin nicht. Die Ernte beginnt früher als sonst, wegen der Notreife folgt eine Kultur auf die andere, ohne Pause. „Du gehst aus der Wintergerste raus und in den Raps rein“, sagt Wilfried Distler. „Verschnaufstage wie sonst gibt es heuer nicht.“