Es ist knapp zehn Jahre her, da änderte sich das Leben von Bettina Mandel grundlegend. Ein neuer Job verschaffte ihr mehr Freiheiten – seither bereist die 36-jährige Hellmitzheimerin die Welt. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Tourismus an einer Schweizer Hochschule. Kaum war sie aus Tansania zurück, machte sie schon wieder auf den Weg nach Brasilien. Dazwischen passte dieses Interview.
Wohin ging Ihre erste größere Reise?
Bettina Mandel: Das war 2015 nach Vietnam. Zum ersten Mal außerhalb Europas, zum ersten Mal Rucksackreisende, zum ersten Mal für dreieinhalb Wochen weg, zum ersten Mal zum Tropenarzt – alles aufregend. Es war von Anfang an ein Abenteuer.
War danach klar: Das ist meine Leidenschaft?
Mandel: Diese Reise hat etwas ausgelöst, das kann man schon so sagen.
Wo waren Sie seither überall?
Mandel: Bisher habe ich 76 Länder besucht. Ich habe viel Zeit in Lateinamerika verbracht, war in einigen Ländern Afrikas, im arabischen Raum, Russland, China, Usbekistan, Australien, Neuseeland – und natürlich auch viel in Europa.

Besuchen Sie ein Land auch zweimal?
Mandel: Ja, mittlerweile auf jeden Fall. Vor einigen Jahren war ich noch neugierig auf all das Neue. Das bin ich nach wie vor. Aber in manche Länder zieht es mich inzwischen immer wieder. Zum Beispiel war ich schon sechsmal in Tansania – und es wird mit jedem Mal schöner. Jetzt geht es zum dritten Mal nach Brasilien. Ich war auch in anderen Ländern schon zweimal, wie in Kolumbien, im Oman, in Kenia, Norwegen oder einigen Balkanstaaten.
Nach welchen Kriterien suchen Sie die Ziele aus?
Mandel: Manchmal sind es Menschen, die mir aus ihrer Heimat erzählen. Das war der Auslöser, weshalb ich mal im Kosovo oder in Palästina war. Oder ich bin aus beruflich interessiert, wie sich Destinationen wie Saudi-Arabien touristisch entwickeln. Menschen, Kulturen, Landschaften, die Tierwelt – das sind wichtige Faktoren. Mittlerweile achte ich zusätzlich darauf, dass ich die nötige Infrastruktur zum Arbeiten habe.
Was war der Grund, Kitzingen zu verlassen?
Mandel: Anfangs bin ich nicht weit gekommen, nur bis Würzburg. Hauptgrund dafür war mein berufsbegleitendes Abendstudium und das städtischere Leben.

Wenn ich ans Kitzinger Landratsamt denke …
Mandel: … dann denke ich an meinen früheren Berufsalltag, der völlig gegensätzlich zu meinem heutigen war.
Wie sieht generell Ihr Lebensentwurf aus?
Mandel: Spannend, abwechslungsreich, nicht sehr materiell orientiert, mit jeder Menge Lebensqualität und ohne das Schon-wieder-Montag-Gefühl! Ich arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Schweizer Hochschule im Bereich Tourismus – ortsungebunden von überall. Oft arbeite ich in Co-Working-Spaces und treffe dort auf inspirierende Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen. Mein Arbeitsleben und Privatleben ist nicht strikt getrennt. Work-Life-Blending ist das Schlagwort dafür. Die Dinge, die ich brauche, passen in einen großen und einen kleinen Rucksack – inklusive Büro.
Wollen Sie in alle Länder der Welt?
Mandel: Nein, es gibt auch Länder, die mich nicht reizen. Auch reise ich langsam, bleibe oft Wochen oder Monate in einem Land. Dafür finde ich kleinere Inselstaaten weniger geeignet.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie daheim?
Mandel: In diesem Jahr werde ich auf knapp zwei Monate Heimatbesuch kommen. Die genieße ich aber auch. Am tollsten sind Schwarzbrot, Käse, ein Kleiderschrank und schalldichte Fenster mit Rollos.
Wann kam es zu der Idee mit dem Blog?
Mandel: Das ist parallel mit der Leidenschaft zum Reisen entstanden. Im Moment liegt der allerdings brach. Ich teile trotzdem viele Reiseeindrücke auf Instagram und Polarsteps.

Gibt es so etwas wie ein Reise-Gen?
Mandel: In der Wissenschaft wird das diskutiert. Sicherlich gibt es Menschen, die sich in ihrer Komfortzone wohlfühlen und andere, die gerne Fremdes kennenlernen. Für mich ist Reisen mit starken Emotionen verbunden. Das kann eine Sucht auslösen. Wenn ich unterwegs bin, kommt alles zusammen: Freude, Verärgerung, Enttäuschung, Inspiration, Begeisterung, Erstaunen, Herzlichkeit, Traurigkeit, Fremde, Nähe, Angst, Ausgeglichenheit, Gelassenheit, Neugierde, Spaß, Überraschung, Interesse, Genervtsein, Erschöpfung. Das ist ein Sog.
Wo war es mit dem Essen am schwierigsten?
Mandel: Am kompliziertesten fand ich die Essensfrage in China, weil es dort häufig Innereien gibt und ich diese nicht aus Versehen auf meinem Teller haben wollte.
Wo wollten Sie sofort wieder weg?
Mandel: Aus Bulgarien, da hatte ich weniger freundliche Begegnungen. Mit einer Mitfahrgelegenheit ging's deshalb nach zwei Tagen nach Nordmazedonien.
Wo wollten Sie nie mehr weg?
Mandel: Aus Tansania. Aber auch in Kolumbien und Brasilien fiel mir der Abschied immer schwer.
Berge oder Meer?
Mandel: Am liebsten Länder, die beides haben. Die Diversität ist das, was mich häufig begeistert. Die Usambara-Berge und die Traumstrände Sansibars in Tansania zum Beispiel. Oder Rio de Janeiro, die Lofoten, Tasmanien – das ist doch sagenhaft.
Wie finanziert sich das alles?
Mandel: Ich arbeite, während ich unterwegs bin, habe keine Mietkosten, keine Kinder, geringe laufende Kosten und auch sonst reduziere ich meinen materiellen Konsum auf gute Qualität und das, was ich tatsächlich brauche. Langsames Reisen macht den Unterschied, lange an einem Ort zu bleiben. Viele Länder, die ich bereise, sind mit meinem Schweiz-Lohn erschwinglich.
Welche Begegnung hat Sie am meisten beeindruckt?
Mandel: Davon gibt es etliche: Ein blinder, alter Mann in Costa Rica hat mir die Schönheit seines Landes beschrieben. Das fand ich sehr bewegend. In Tansania war ich bei Massai eingeladen. In Saudi-Arabien hatten mehrmals Uber-Fahrer die Fahrt beendet und eine Sightseeing-Tour oder Essenseinladung drangehängt. Es gab auch tierische Begegnungen. Einmal bin ich für 2,50 Euro auf eine Fähre in Costa Rica gestiegen, als neben uns Buckelwale auftauchten.
Was lernt man durch die Entdeckung der Welt?
Mandel: Offenheit, dass die westliche Weltanschauung nur eine von vielen ist. Man lernt andere Lebensrealitäten kennen, Gelassenheit, Sprachen, welche Privilegien wir haben, sich mit sich alleine wohlzufühlen, Fremden zu vertrauen – die Liste ist endlos.
"In manchen Ländern bleibt man keine zwei Minuten allein."
Bettina Mandel über ihre Reiseerfahrung
Wie haben Sie sich nach 76 Besuchen in fremden Ländern verändert?
Mandel: Am meisten habe ich mich wohl dahingehend verändert, dass ich mir nur schwer ein 'normales' Leben an einem Ort vorstellen kann. Und ich verstehe die Welt ein bisschen besser, die Nachwirkungen kolonialer Strukturen zum Beispiel. Ich erschrecke manchmal selbst über die Ruppigkeit und direkte Art von uns Deutschen.
Wie mutig muss man für all das sein?
Mandel: Gar nicht so mutig. Wahrscheinlich ist der erste Schritt der mutigste. Wichtiger als Mut finde ich, offen zu sein, sich auf andere Umstände einzulassen und zu verstehen, dass wir als Touristen quasi selbsteingeladene Gäste sind und uns entsprechend anpassen sollten.
Ein Tipp für gutes Reisegepäck?
Mandel: je weniger, desto besser. Ich bin Rucksack-Fan.

Reisen Sie alleine?
Mandel: Ja – und genieße das sehr. Wenn ich weg bin, reise ich ja nicht ständig, sondern gehe an den meisten Tagen meiner Arbeit oder anderen Projekten nach. Alleine ist man viel offener, spontaner, kommt mehr in Kontakt mit Einheimischen und anderen Reisenden. In manchen Ländern bleibt man keine zwei Minuten alleine, da lade ich die sozialen Batterien wieder auf. In anderen Ländern sind die Menschen eher distanziert oder auch respektvoll gegenüber Frauen. Dann fokussiere ich mich mehr auf mich, lese viel, arbeite mehr als sonst. Ich gehe auch bewusst in kleine Gasthäuser und Hostels oder reise mit Bussen statt des Mietautos, sodass ich mehr unter Menschen bin als oftmals zu Hause.
Wohin soll Ihre Lebens-Reise gehen?
Mandel: Ich weiß es nicht, aber ich freu mich drauf.
Bettina Mandel im Internet: Auf Instagram: @wildside_reisen, www.instagram.com/betti_buext_aus/
Infos rund um Tansania: https://www.instagram.com/wildside_reisen/
Polarsteps: https://www.polarsteps.com/BettinaMandel/12098641-die-reise-die-nicht-endet