Bernward Unger ist kein Mensch, der gern streitet. Aktuell jedoch ist seine Stimmung kämpferisch. Er würde gern den Bundestagsmitgliedern das Gehalt kürzen – und zwar um fünf bis zehn Prozent. Das entspräche dem Prozentsatz, den die Apotheken-Inhaber nächstes Jahr verlieren, weil ein vor kurzem verabschiedetes Bundesgesetz es so will, sagt der Sprecher der Apotheker des Landkreises Kitzingen und Unterfrankens.
Unger fürchtet, dass das neue Gesetz in Verbindung mit weiteren problematischen Vorgaben folgenschwere Auswirkungen haben wird: „Gerade auf dem Land werden Apotheken schließen müssen. Die Versorgung der Menschen mit Medikamenten ist dadurch gefährdet.“
Das neue Gesetz mit dem sperrigen Namen „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ soll dazu beitragen, die Krankenkassen zu entlasten. Die Apotheker werden verpflichtet, statt bisher 1,77 Euro in den kommenden beiden Jahren glatte zwei Euro pro verschreibungspflichtiger Medikamentenpackung an die Krankenkassen abzuführen. „Das klingt erst mal nicht so dramatisch“, meint Bernward Unger, der in Dettelbach die Weingarten-Apotheke betreibt. „Aber dieser erhöhte Kassenrabatt bedeutet, dass eine Apotheke im Durchschnitt 6.500 Euro pro Jahr weniger verdient.“
Stadt-Apotheken mit vielen Ärzten in der Nähe und entsprechend hohem Umsatz könnten diesen Verlust vielleicht verkraften. „Aber für die kleine Landapotheke sind das fünf bis zehn Prozent ihres Betriebsergebnisses.“
Und die Einnahmen sinken nicht nur durch das neue Gesetz, sagt Unger. Ein großes Ärgernis und Problem sei beispielsweise auch die „Überbürokratisierung“. Unger erklärt: „Es gibt ja immer noch den weit verbreiteten Irrglauben, dass teure Medikamente den Apotheker reich machen. In Wahrheit kann es leicht umgekehrt sein.“ Der kleinste Formfehler könne zur Null-Retaxation führen, das heißt, dass die Krankenkasse sich weigert, die Kosten für das Medikament zu übernehmen. „Das Rezept darf keinen Tag älter als 28 Tage sein. Wir müssen prüfen, ob Rabattverträge eingehalten werden. Der Arbeitsaufwand dafür ist riesig, denn jede Kasse arbeitet mit anderen Pharma-Unternehmen zusammen.“ Sogar, wenn der Arzt Datum oder Dosierung nicht ganz vorschriftsmäßig angegeben hat, müsse dies in der Apotheke bemerkt werden, sonst zahle die Kasse nicht.
Wenn ein Medikament nicht mehr lieferbar ist – „und das kommt ja aktuell immer häufiger vor“ –, schauen die Apotheken-Teams, ob es Alternativen anderer Hersteller gibt. „Das müssen wir alles aufwändig dokumentieren und kriegen noch den – verständlichen – Unmut der Patienten ab. Und wenn wir eine Kleinigkeit übersehen, bleiben wir unter Umständen auf Riesenkosten sitzen.“
Bei Medikamenten, die vier- oder gar fünfstellige Summen kosten, sei so ein Verlust existenzbedrohend. „Das ist Wegelagerei. Wir werden für Fehler bestraft, die wir oft gar nicht selbst zu verantworten haben“, ärgert Unger sich. Er habe kein Problem damit, dass die Krankenkassen die Apotheken kontrollieren, „aber diese Art und Weise ist unverschämt, vor allem, weil wir keine Chance bekommen, noch nachzubessern“.
Obendrein seien die Pharmazeuten auch noch zu Gratisleistungen für die Kassen verpflichtet. „Die Rezeptgebühr, die wir von den Patienten einziehen, geht direkt an die Krankenkassen.“ Zum „Dank“ dafür sinke der Kostenanteil, den die Kassen für Apotheken aufwenden, kontinuierlich. „Vor einigen Jahren haben die Krankenkassen noch 2,7 Prozent für uns ausgegeben, jetzt sind es lediglich noch 1,9 Prozent“, weiß Bernward Unger.
In den Apotheken selbst gebe es kaum noch Sparschrauben, an denen man drehen könne. Die Personaldecke sei bei den meisten bereits jetzt sehr dünn. Entlassungen, um Personalkosten einzusparen, seien also kein gangbarer Weg. Unger rechnet vor: Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Apotheken in Deutschland von rund 21.000 auf etwa 18.000 gesunken. „Ich befürchte, dass es in den nächsten Jahren noch einen deutlichen Rutsch nach unten gibt. So mancher wird sich denken: 'Für das, was bei fünf bis zehn Prozent Einbußen noch übrig bleibt, kann ich mir auch eine Anstellung suchen.'“
Unger würde den Bundestagsabgeordneten gern die Diäten um denselben Prozentsatz kürzen, „damit sie mal nachdenken“. Die Politiker bräuchten sich nicht damit herauszureden, dass Apotheken während der Coronazeit gut verdient haben, denn: „Wir hatten auch einen großen Mehraufwand!“
Dass das so war, bestätigt Marion Flügel, Inhaberin dreier Apotheken in Wiesentheid, Schwarzach und Schweinfurt. Sie hat einen Brief an den Bundestagsabgeordneten Markus Hümpfer (SPD) geschrieben, in dem sie ihm erklärt: „Wir brauchen eine faire Anhebung der Vergütung statt einer weiteren Kürzung!“ Wie kleine und mittelständische Unternehmen in anderen Bereichen, stünden auch die Apotheken vor der „Mammut-Aufgabe“, die gestiegenen Sach-, Personal- und Energie- sowie Inflationskosten zu bewältigen. Diese seien „eine massive Bedrohung für den Geschäftsbetrieb“.
Als Beispiel führt Marion Flügel die Tariflohnvereinbarungen für Apothekenangestellte an, die bereits für dieses Jahr eine – „absolut verdiente“ – Lohnanhebung um etwa 7,7 Prozent vorsehen. „Die Personalausgaben in einer Durchschnittsapotheke nehmen dadurch um 23.000 Euro zu. Zum Januar 2023 steigen die Vergütungen um weitere drei Prozent.“
Flügel betont zudem, dass der Fixzuschlag, den jede Apotheke für verschreibungspflichtige Arzneimittel bekommt, schon seit 2013 bei 8,35 Euro pro Packung liegt. „Seitdem wurde das Fixum nicht angepasst. In diesem Kontext bedeutet die starke Inflation eine erhebliche Absenkung der realen Vergütung.“
Apothekensprecher Bernward Unger kommentiert die politische Gangart so: „Der Gesetzlichen Krankenversicherung fehlen Milliarden. Die GKV ist der Patient.“ Unger sagt, die Apotheken allein könnten diesen Patienten nicht retten. Sehr plastisch schildert er, worauf die aktuellen politischen Entscheidungen seiner Meinung nach zusteuern: „Bei einem hochgradig übergewichtigen Patienten, der 50 Kilo abnehmen soll und 40 davon am Unterschenkel, muss man sich doch fragen: Wie soll das ohne Amputation gehen?“
Eine solche „Amputation“, sprich Schließung von Apotheken, zu verhindern, liegt naturgemäß im Interesse der Versicherten, gerade auf dem flachen Land. Was aber können diese tun? Bernward Unger sagt: „Das Einzige, was wohl hilft, ist, dass Leute Rabatz machen und Druck auf Politik und Krankenkassen ausüben. Bevor am Ende sie selbst die Leidtragenden sind.“ Foto (Archiv): CLAUDIO HÖLL