Im Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" blickt die Redaktion auf die Geschichte der Juden im Landkreis Kitzingen zurück. Gastautor Wolf-Dieter Gutsch aus Wiesentheid hat dazu mehrere Familien-Schicksale zusammengetragen, die wir in einer Serie vorstellen. Heute: das Ehepaar Bolley aus Marktbreit.
Ignaz Bolley wurde am 13. November 1895 in Entfelden bei Rosenheim als erstes von sieben Kindern geboren. Die Familie war katholisch. Ab März 1915 war Ignaz Bolley, der wie sein Vater Schneider geworden war, Soldat und nahm als Eisenbahnpionier am Ersten Weltkrieg teil, hauptsächlich auf östlichen Kriegsschauplätzen.

Nach seiner Wanderzeit als Schneidergeselle und der Meisterprüfung ließ sich Ignaz Bolley im Oktober 1924 in Marktbreit nieder und gründete zunächst in einer Mietwohnung ein eigenes Schneidergeschäft. Im Jahre 1929 kaufte er das Anwesen Haus Nr. 180 (heute: Marktstraße 10) und verlegte seinen Geschäftsbetrieb dorthin.
Karola Blüthe kam am 17. September 1908 in Altenschönbach zur Welt. Sie war das dritte Kind und die einzige Tocher des jüdischen Landwirts und Viehhändlers Rudolf Raphael Blüthe und seiner Frau Rosa, geb. Ganzmann.
Alle drei Söhne überlebten den Holocaust
Karolas Vater Rudolf, der aus einer frommen levitischen Familie kam, verwaltete in der jüdischen Kultusgemeinde Altenschönbach über Jahre die Kasse und wurde 1926 nach dem Tode des Gemeindevorsitzenden Joseph Gutmann Vorstand. Seine drei Söhne Ludwig (geboren 1905), Nathan (1907) und Philipp (1909) haben allesamt die Nazi-Zeit überlebt, teilweise auf abenteuerliche Weise.
Am 2. Februar 1930 kam Karola Blüthe im Alter von 21 Jahren nach Marktbreit und arbeitete als Hausangestellte in der Familie des jüdischen Weinhändlers Siegfried Frank in der Bachgasse Nr. 65 (jetzt: Bachgasse 23). Bereits am 6. November 1930 schlossen die mittlerweile 22-Jährige und der 34-jährige Bolley in Würzburg standesamtlich die Ehe.
Trauzeugen waren Brüder des Brautpaars, was als Zeichen der Akzeptanz dieser ungewöhnlichen Ehe zwischen einem Katholiken und einer Jüdin durch deren Familien angesehen werden kann. Etwa zwei Wochen nach der standesamtlichen Trauung fand in der katholischen Kirche St. Ludwig in Markbreit die religiöse Trauung des Ehepaares statt – angeblich nur in der Sakristei und ohne Glockengeläut. Ob die Braut katholisch wurde, ist nicht dokumentiert.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verschlechterte sich die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation des kinderlosen Ehepaars. Wegen seiner jüdischen Ehefrau wurde Ignaz Bolley nun zunehmend diskriminiert, was sich mit dem Inkrafttreten der "Nürnberger Gesetze" 1935 noch verstärkte. Sie setzten unter anderem auf strikte Abtrennung jüdischer Bevölkerungsteile. Bolleys Kundschaft wurde von fanatischen Anhängern des Naziregimes beobachtet und denunziert; selbst langjährige Kunden blieben nach und nach weg.
Bolley lehnt Scheidung von seiner Frau ab
Bolley wurde aus der Feuerwehr und dem Gesangverein ausgeschlossen; ihm wurde auch das Auftreten mit seiner Tanzkapelle untersagt. Mehrfach forderte man ihn auf, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen, doch der Schneider hielt tapfer zu ihr und verweigerte das trotz aller Demütigungen und Schikanen.

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden Ignaz Bolley auch die letzten Gehilfen entzogen und er arbeitete nun ganz allein in seiner Schneiderwerkstatt. Vermutlich Ende 1941/Anfang 1942 wurde Karola Bolley zur Zwangsarbeit in einem jüdischen Altersheim in Würzburg verpflichtet. Kurz nachdem sie erfuhr, dass ihr Name auf der Liste für eine bevorstehende Deportation stand, beging sie in Würzburg Suizid: Sie ertränkte sich im Main, um dem drohenden Transport zu entgehen.
Ihre Leiche wurde am 22. Mai 1942 gefunden; vier Tage später wurde sie auf dem Israelitischen Friedhof in Würzburg bestattet. Sie wurde 33 Jahre alt. Ignaz Bolley hatte noch den Mut, eine Todesanzeige für seine Frau in der Tageszeitung aufzugeben.

Kurz vor Kriegsende ereilte ihn im Februar 1945 das Schicksal, zum sogenannten Volkssturm eingezogen zu werden. Als Dienstort wurde der Fliegerhorst Würzburg bestimmt. Dort kleidete man ihn ein, gab aber keine Waffen an ihn aus. Das Kriegsende erlebte er wohl in Marktbreit. Bald danach heiratete Bolley ein zweites Mal und zwar eine Kriegerwitwe mit mehreren Kindern. Auch mit ihr hatte er keine eigenen Nachkommen.
Gesellschaftliche Rehabilitation nach dem Krieg
Er betrieb nun wieder mit Erfolg in Marktbreit seine Herrenschneiderei und durfte sich wieder am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Am 13. Dezember 1970 wurde er vom Gesangverein "Eintracht Frischauf" Marktbreit als "langjähriger aktiver Sänger und Förderer des Chorgesangs" zum Ehrenmitglied ernannt.
Ignaz Bolley starb in Marktbreit am 6. Dezember 1977 im Alter von 82 Jahren und wurde auf dem städtischen Friedhof begraben. Sein umfangreicher Nachlass mit vielen Fotos, Briefen, Zeitungsausschnitten und Noten gelangte nach dem Verkauf des Bolley'schen Anwesens über das Malerwinkel-Museum in das Stadtarchiv Marktbreit.
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