Thomas Schätzlein hat sich schon lange auf diesen Tag gefreut. Interessiert schaut er sich um, fährt mit dem Rollstuhl durch die breite Wandöffnung in den Nebenraum. Was da wohl mal reinkommt? Die hölzernen Wände sind blank, von Türen und Fenstern ist noch längst nichts zu sehen. An der neuen Wohn- und Förderstätte des Blindeninstituts Würzburg in der Kitzinger Siedlung wird Richtfest gefeiert – und als künftiger Bewohner ist auch Thomas mit seinen Eltern gekommen.
Der vierte Antrag war erfolgreich
„Der Bau unserer Wohn- und Förderstätte in Kitzingen geht mit großen Schritten voran“, hatte das Blindeninstitut Würzburg in der Einladung zum Richtfest geschrieben. Und tatsächlich verfolgten die Nachbarn mit Erstaunen, wie schnell die Gebäude in der Armin-Knab-Straße in Holzständerbauweise aufgestellt waren, während es zuvor eher zäh zugegangen war. Über vier Jahre hatte das Blindeninstitut jedes Jahr wieder einen Antrag für das Projekt „Kitzingen I“ gestellt und erst der vierte vom Januar 2021 war erfolgreich. Im Juni 2021 kam die Zusage, im August stand die Enthüllung einer Baustellenskulptur als symbolischer erster Spatenstich an, im November rollten die Bagger und nun, im Juli 2022, war Richtfest und das sogar schneller als gedacht. „Die Baustelle ist vor dem Bauzeitplan“, sagte Institutsleiter Thomas Heckner. „Das ist außergewöhnlich“, und derzeit tatsächlich sehr selten. Er dankte den Planern, Fachplanern und Handwerkern sowie den Verantwortlichen im Blindeninstitut, die gut miteinander arbeiten, pragmatisch entscheiden und Verantwortung übernehmen würden. Auch mit den Nachbarn gebe es ein gutes Miteinander.
Fertigstellung im September 2023
Gemeinsam mit Vorstand Dr. Marco Bambach und Zimmerermeister Fabian Müller erklomm Heckner das Gerüst und die drei leerten, wie es Tradition ist, nach dem Richtspruch und der Bitte um Schutz und Segen für Gebäude und Bewohner ihre Gläser und warfen sie unter dem Beifall der Anwesenden vom Dach.
Laut Plan soll die Wohn- und Förderstätte im September 2023 fertig sein. „Ich hoffe, dass weiterhin alles glatt geht“, sagt Thomas Heckner, wohl wissend, dass beispielsweise Lieferschwierigkeiten in der derzeitigen Lage nie ganz ausgeschlossen werden können. Die 60 neuen Mitarbeiter jedenfalls sollen zum 1. September nächsten Jahres eingestellt sein. In zwei Bereichen können im den neuen Gebäuden dann Menschen mit Blindheit, Sehbehinderung und weiteren Beeinträchtigungen wohnen und arbeiten – der Wohnbereich hat 24 Plätze, die Förderstätte 32. Es gibt getrennte Bauten, so dass die Bewohner das Haus verlassen müssen, um zur Arbeit in die Förderstätte zu gehen. Ein überdachter Gang ermöglicht ihnen, problemlos und sicher dorthin zu kommen und zugleich die Jahreszeiten zu erleben.
Im Blindeninstitut Würzburg in der Ohmstraße wohnen jeweils acht Erwachsene in einer Gruppe, in Kitzingen werden es sechs sein. „Menschen mit Sehbehinderung sind in der Regel sehr lärmempfindlich und haben eine andere Raumwahrnehmung“, erklärt Thomas Heckner. Deshalb werden in den neuen Wohngruppen in Abstimmung mit der Regierung von Unterfranken jeweils zwei Bewohner weniger leben.
Die Ganztagesförderstätte mit Tagesförderstätte bietet 32 Plätze in vier Arbeits- und Werksgruppen. Die Gebäude sind kammförmig angelegt, mit kleinen Innenhöfen dazwischen, die beispielsweise im Sommer für naturnahe Beschäftigungen genutzt werden können. Jeder der vier Förderräume hat einen Differenzierungs- und Ruhebereich, rollstuhlgerechte sanitäre Anlagen und Pflegebereiche. Individuelle Förderung, therapeutische Angebote und Trainingsangebote werden in den Tagesablauf in der Förderstätte eingebunden.
Dass die neue Stätte in zwei Lebensbereiche aufgeteilt ist, und es damit eine Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten gibt, gefällt Monika und Michael Schätzlein gut. „So kennen wir anderen es ja auch“, sagt die Kitzingerin. Ihr Sohn Thomas wird schon seit dem Kindergartenalter im Blindeninstitut gefördert, ging dort zur Schule, zog in das Wohnheim im Jugendbereich, dann in den Erwachsenenbereich. „Wir haben uns sehr gefreut, dass das Blindi jetzt ein Haus im Erwachsenenbereich in Kitzingen baut“, sagt Monika Schätzlein. Eine kleine Anlage, mitten in der Siedlung, mit Teilhabe am Leben und Kontakt zur Nachbarschaft, so ist es vorgesehen.
Der Kontakt zur Nachbarschaft, der ist schon da. Die Anwohner waren zum Richtfest eingeladen und nutzten die Gelegenheit, sich auf der Baustelle, die sie in den letzten Monaten von außen beobachten konnten, auch mal innen umzusehen.
Bei „Kitzingen II“ tut sich nichts
Während im Projekt „Kitzingen I“ des Blindeninstituts Würzburg also die Handwerker am Zug sind, tut sich bei „Kitzingen II“ derzeit noch nichts. In der Kanzler-Stürzel-Straße, wo früher das Frida-von-Soden-Haus stand, ist ein weiteres Wohn- und Förderprojekt geplant. Wer dort einziehen wird, steht noch nicht ganz genau fest. „Eventuell die gleiche Zielgruppe, vielleicht aber auch speziell ältere Menschen, die früher in der Förderstätte waren oder in der Bentheim-Werkstatt gearbeitet haben“, erklärt Thomas Heckner. Für die Seh- und Mehrfachbehinderten, die quasi „in Rente“ sind, fehlt bislang ein gezieltes Angebot mit einer „Tagesstruktur für Erwerbstätige nach dem Erwerbsleben“ (Tene). Ein entsprechendes Konzept wird aktuell erstellt.
„Die Zielgruppe hat Auswirkung auf die Art und Weise, wie wir bauen, und auf die Förderung“, erklärt der Institutsleiter. Die verschiedenen Fördermöglichkeiten haben unterschiedliche Vorgaben – bei einem Programm käme man womöglich schneller zum Zug, müsste aber die Zahl der Plätze, die in „Kitzingen II“ neu entstehen, in Würzburg abbauen. Dann könnte, „optimistisch gesehen“, 2023 oder Anfang 2024 mit dem Bau begonnen werden, so Heckner.
Bei einer „normalen“ Förderung könnten die neuen Plätze zusätzlich entstehen, dafür würde es bis zur Bewilligung des Baus und der Gelder und damit bis zum Baubeginn womöglich länger dauern.
Der Kostenrahmen für „Kitzingen II“ liegt, wie beim Projekt in der Siedlung, bei etwa zwölf Millionen Euro, gegebenenfalls auch niedriger. In der Regel beträgt die Förderung für Neubauten 70 Prozent (60 Prozent Freistaat, zehn Prozent Bezirk), den Rest muss das Blindeninstitut selbst aufbringen.