Warum hat der Falterturm eine schiefe Haube? Wer jetzt sagt, das Dachgebälk sei abgesunken, hat wenig Phantasie. Die Erklärung, es liege am Wein, mit dem der Mörtel angerührt worden sei, kennt man. Es könnte auch an Dracula liegen, dessen Grab sich ja in Kitzingen befinden soll. Tatsächlich aber sind die Schafe schuld. Cornelia Holzheid und Marcus Alleze wissen es ganz genau. Schließlich leiten sie die neue „Irreführung“ durch Kitzingen.
Sich beim Recherchetermin zwischen Cornelia Holzheid und Marcus Alleze zu setzen ist ein Fehler, das stellt sich schnell heraus. Von rechts nach links geht mein Kopf, gefühlt im Sekundentakt. Zu ihr, zu ihm, zurück, immer hin und her. Die beiden spielen sich die Bälle zu, sprudeln nur so vor Ideen.
Immer wieder stockt die Hand beim Mitschreiben. „Echt??“, bin ich versucht zu fragen. Dabei kenne ich die Stadt und ihre Geschichte eigentlich ganz gut. Aber hat womöglich wirklich vor 100 Jahren die Schafspest in Kitzingen gewütet? Bestimmt, schließlich tauschen die beiden gerade in aller Ruhe Fakten darüber aus. „1275-jähriges Stadtjubiläum kann jeder feiern. Aber wir haben die Schafspest“, sagt Cornelia Holzheid. Und die wurde, so erzählt sie mir mit ernstem Blick, vom Feigenkaktus ausgelöst.
Eine Mischung aus Führung und Improvisationstheater
„Echt?“ Die Frage entschlüpft den Besuchern der neuesten Kitzinger Stadtführung immer wieder. Dem kleinen Zuhörer etwa, der staunt ob der Aussage, beim Stadtfest fließe Cola aus einem der vier Rohre des Kiliansbrunnens am Marktplatz, seit Cola-Liebhaber Stefan Güntner die Stadt leitet. Der Frau, die darüber grübelt, ob es in Kitzingen einst tatsächlich eine eigene Keramik-Währung gab. Wem dieses „Echt?“ entfährt, der läuft Gefahr, von einem anderen aus der Gruppe einen kleinen Stoß mit dem Ellenbogen zu erhalten und ein halblautes „Nein!“ zu hören.
Oder vielleicht doch? Echt oder nicht, das weiß man nie so genau, und es sind auch nicht die Fakten und Jahreszahlen, die im Mittelpunkt der „Irreführung“ stehen. In erster Linie dient die Veranstaltung nicht der Information, sondern der Unterhaltung, sagt Cornelia Holzheid. Auf der anderen Seite ist es auch keine Führung, in der man sich eine Stunde lang den Bauch hält vor Lachen, fügt Marcus Alleze an. Nicht alles, was erzählt wird, ist lustig, da geht es auch mal nachdenklich zu.
Die „Irreführung“ ist eine Mischung aus Führung und Improvisationstheater. Da darf ein Freiwilliger entscheiden, welchen Weg die Gruppe geht. Da dürfen die Gäste Wörter einwerfen, Fragen stellen. Wie der Mann, der etwas wissen wollte über das Schloss an der Mülltonne, die vor einem Haus stand, an dem die Gruppe vorbeilief. „Ein Missverständnis“, sagte Marcus Alleze. Da wohnte einst die Tochter eines Grafen und wünschte sich zum Geburtstag ein Schloss. Der Vater hat ihr den Wunsch erfüllt – und seitdem hängt es an der Tonne.
Cornelia Holzheid ist Kitzingerin und Stadtführerin, macht beispielsweise die Turmführung. Sie kennt sich aus mit der Geschichte der Stadt. Marcus Alleze wohnt woanders, war noch nicht allzu oft in Kitzingen. Das macht die beiden, die seit Jahren gemeinsam Improvisationstheater spielen, zum idealen Team für eine „Irreführung“.
Und manchmal erzählt Cornelia auch etwas, was wahr ist – bis Marcus das Wort ergreift: „Aber eigentlich war es so.....“ Was stimmt denn nun? Das kann sich jeder selbst überlegen – und abgesehen vom entschlüpften „Echt“ zwischendurch wurde bislang noch nie wirklich nachgefragt. „Obwohl wir den Leuten am Ende die Gelegenheit geben, nachzufragen und sie auch dazu auffordern“, erzählt Cornelia Holzheid. „Aber bislang wollte es keiner wissen.“
Worauf kommt es an beim Impro-Theater? „Das ist Handwerk, das man lernen kann“, erklärt Marcus Alleze. Worum geht es, was will man erzählen? Der engste Kreis rund um ein Stichwort oder ein Thema ist wahr, der zweite Kreis ist um die Ecke gedacht, „der dritte sind die Außerirdischen“, drückt es der IT-Fachmann aus. „IT steht für Improvisationstheater“, erklärt er seinen Beruf mal eben zwischendurch. Wieder so ein Moment, an dem sich das Wörtchen „Echt?“ in die Gedanken schleicht. Natürlich nicht, der Mann hat beruflich mit Computern zu tun und dazu passt irgendwie dann doch, dass besagter dritter Kreis nicht so ganz seins ist. Zu unglaubwürdig, zu abgespaced. Genauso wie er nicht endlos Schenkelklopfer aneinander reihen will. Er bleibt lieber im zweiten Kreis, wenn er die Gedanken kommen lässt. „Und wenn ich mich mal verrenne, kommt Conny und rettet mich.“
Kein einstudierter Text, keine vorgegebene Route
Das ist der Vorteil des Improtheaters zu zweit oder in der Gruppe. Man ist füreinander da. Schwimmt der eine, springt der andere ein. Das macht es leichter, schließlich gibt es kein Drehbuch, keinen einstudierten Text, keine Souffleuse, kein Buch mit Zahlen, Daten und Fakten, in dem man nachblättern kann. Dafür aber auch keinen Wahrheitsanspruch und keine Gewähr.
Und so ist auch keine „Irreführung“ wie die andere. Die Route ist unterschiedlich und man kommt unterschiedlich weit. Je nachdem, wie die Teilnehmenden mitmachen, wie viele Fragen sie stellen, welche Geschichten entstehen. Dann kann es schon mal sein, dass die Gruppe nur ein paar hundert Meter schafft. Macht aber gar nichts, denn auch auf einem kurzen Weg können sich spannende, unterhaltsame, lustige Geschichten rund um ein Gebäude, eine Skulptur oder einen Gegenstand entwickeln, an dem man gerade vorbeikommt.
Ob man nun schon alles über Kitzingen weiß oder nichts, ob man Einheimischer ist oder nicht, jung ist oder alt – alles egal bei dieser Führung. Sie ist geeignet für jeden, der mal raus will aus dem Alltagstrott, der Lust hat auf etwas Anderes, der gute Unterhaltung mag und der vielleicht wissen will, was es mit den Schafen auf sich hat. Vielleicht erfährt er es, womöglich aber auch nicht. Weil den beiden „irren“ Führern ganz bestimmt beim nächsten Mal etwas Neues einfällt.
Info: Die nächste „Irreführung“ findet am 12. September statt, die Führung kann zudem nach Vorabsprache mit der Tourist-Information auch jederzeit von Gruppen gebucht werden. Infos unter www.kitzingen.info