Die Hilferufe haben nachgelassen: Mit sinkenden Zahlen und der weitgehenden Wiedereröffnung der Betriebe kehrt langsam wieder Normalität im Leben ein. Wie groß die Spuren sind, die das Corona-Virus hinterlassen hat, lässt sich noch nicht sagen. Es gibt Familien, bei denen das Schicksal hart zugeschlagen hat. Es gibt Betriebe, die vielleicht nicht überleben werden. Aber insgesamt, so Landrätin Tamara Bischof, ist der Landkreis relativ gut durch die Pandemie gekommen.
271 Tage Katastrophenfall. Ein monatelanger Lockdown. Ausgangssperre. „Das hätte sich doch niemand vorstellen können“, sagt Landrätin Tamara Bischof. Seit 21 Jahren steht sie an der Spitze des Landkreises Kitzingen, eine so schwierige Phase wie jetzt hat sie noch nicht erlebt. „2020 war extrem.“
Ein Flugzeugabsturz, ein Zugunglück, das sind die Szenarien, die bei Katastrophenschutzübungen gemalt werden. Eine Pandemie hatte keiner auf dem Schirm. Das winzige Virus brachte die Gesellschaft ins Wanken – und die Wirtschaft. Einer Behörde wie dem Landratsamt kommt da eine wichtige Aufgabe zu. Es galt, die Führungsgruppe Katastrophenschutz zu aktivieren, Strukturen einzurichten, den Menschen zu helfen, sie zu beraten, zu unterstützen. Und einen Mangel zu verwalten. Einen Mangel an Mitarbeitern.
„Der Staat muss akzeptieren, dass er Vorhaltekosten übernehmen muss, damit man im Notfall schnell reagieren kann.“
Tamara Bischof, Landrätin
17 Leute arbeiteten zu Beginn von Corona im Gesundheitsamt, erinnert Landrätin Bischof. Viel zu wenig für eine Krisensituation, viel zu wenig, um aufzuspüren, wer mit wem wann Kontakt hatte, um eine Verbreitung des Virus zu stoppen. Im Haus wurde umbesetzt, Mitarbeiter anderer Behörden wurden dem Gesundheitsamt zugewiesen, Ehrenamtliche halfen mit. Nach einer Weile konnten über die Regierung von Unterfranken Kontaktermittler eingestellt werden. Über 40 Mitarbeiter sind jetzt im Gesundheitsamt tätig. Ein Teil der Stellen läuft aus, doch die Landrätin hofft, dass ein weiterer Teil im Amt bleiben kann. Die endgültige Zusage der Regierung stehe noch aus, aber der Bund habe versprochen, dass die Gesundheitsämter gestärkt aus der Pandemie hervorgehen. Die letzten Monate haben gezeigt, dass es zu kurz gedacht sei, immer mehr Fachstellen zu kürzen. „Der Staat muss akzeptieren, dass er Vorhaltekosten übernehmen muss, damit man im Notfall schnell reagieren kann.“
Mangel herrschte auch an Materialien. Schutzartikel zu organisieren war schwierig, Masken, Schutzanzüge, Desinfektionsmittel fehlten. Der Druck war groß. „Aber wir sind nicht auf dubiose Angebote hereingefallen“, ist die Landrätin froh. Schlechte Qualität hat der Landkreis nicht gekauft, auch keine horrenden Preise bezahlt. Allerdings mussten auch die Kitzinger einige Chargen an Schutzausrüstung, die dem Kreis vom Staat zugeteilt worden waren, wieder zurücksenden und durften sie nicht verteilen. Die Qualität entsprach nicht den Ansprüchen.
327 Mitarbeiter hat das Landratsamt – und es gibt fast keinen, der nicht täglich mit Corona zu tun hatte. Neben dem Gesundheitsamt vor allem das Sachgebiet für Öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dort geht es nicht nur darum, was wann wem und wie erlaubt ist. In diesen Bereich fällt auch der Katastrophenschutz, und der muss im Katastrophenfall rund um die Uhr erreichbar sein. Zeitweise 24/7, wie es neudeutsch heißt, auch nachts, was für Abteilungsleiterin Alexandra Wagner und ihre Mitarbeiter bedeutete, dass immer jemand im Katastrophenschutzkeller anwesend sein musste. Es wurde vom Staat auch nachgeprüft, ob da mitten in der Nacht tatsächlich jemand erreichbar war, berichtet die Landrätin, die die Anweisung trotzdem nicht für zu streng hält. „Man wusste ja nicht, wie sich die Situation in den Krankenhäusern entwickelt“, nennt Bischof ein Beispiel. Schnell handeln im Notfall, das war die Devise und die war nun mal nötig. „Wir hätten auf allen Ebenen durchgreifen können.“
Die ersten Wochen der Pandemie, bis etwa Juni 2020, seien die anstrengendsten gewesen, sagt Landrätin Bischof. „Man wusste ja nicht, was passiert, hatte keine Erfahrungen.“ Bei einer Pandemie geht es um Gesundheit, Krankheit, Tod. Aber es geht auch um die Wirtschaft. Werden viele Leute arbeitslos? Gehen Firmen pleite? „Der Landkreis ist dank seines Branchenmixes ganz gut durch die Pandemie gekommen“, sagt die Landrätin rückblickend. Sie spricht aber auch von einem „blauen Auge“, denn es gebe Betriebe, die sehr hart getroffen worden seien. Geschäfte oder Gasthäuser, die aufgrund der Krise vielleicht schließen werden. Weil sie erst neu eröffnet waren und deshalb Probleme hatten, Fördergeldern zu beantragen – die gründen auf dem Umsatz der Vorjahre. Oder weil sie auf längere Sicht keine Nachfolger haben und nun schon jetzt entscheiden, nicht mehr weiter zu machen. Insgesamt aber höre sie immer wieder Lob für die staatlichen Förderungen für Betriebe. „Viele sagen, das war in Ordnung.“
Im Laufe der Pandemie hat Tamara Bischof viele Gespräche geführt, saß mehrmals mit den großen Betrieben und den Betriebsräten zusammen, um ein Gefühl für die Lage zu bekommen. „Das Gespräch Ende 2020 war schon deutlich optimistischer“, so Bischof. Geholfen habe da natürlich das Kurzarbeitergeld, so dass Mitarbeiter nicht entlassen werden mussten. „Die Arbeitslosenzahlen sehen auch gut aus, das hätte man so nicht erwartet.“ Beim Handwerk habe es kaum Probleme gegeben, bei Gastronomen schon mehr, und für den Freizeitbereich wie Fitnessstudios und für Kulturschaffende sei noch immer es sehr schwierig. Auch der Tourismus habe extrem gelitten, im Fränkischen Weinland sei ein Einbruch von 40 Prozent verzeichnet worden.
Durch den Wein-, Garten- und Spargelbau gibt es im Landkreis viele Saisonsarbeitskräfte. Auch bei ihnen schlug Corona zu. Als Helfer in einem Weingut mit der britischen Virus-Variante infiziert waren, geriet der Landkreis bundesweit in die Schlagzeilen. Doch zu einem gravierenden Anstieg der Fallzahlen führte das nicht, auch weil das Gesundheitsamt mit den Betrieben, die Saisonarbeitskräfte haben, regelmäßig in Kontakt steht. „Wir hatten im Sommer mit dem Gewerbeaufsichtsamt und weiteren Behörden Begehungen der Betriebe“, berichtet der Leiter des Gesundheitsamts, Dr. Jan Allmanritter. „Es gab genaue Vorgaben, wie sich die Betriebe verhalten müssen. Das lief im Großen und Ganzen gut.“
„Man darf Schulen und Kindergärten nicht über Monate schließen.“
Landrätin Tamara Bischof über die Lehren aus der Pandemie
Die britische Corona-Variante ist inzwischen so etwas wie Normalität geworden. Jetzt sorgt die indische Variante für Schlagzeilen. 25 derartige Fälle waren am 24. Juni im Landkreis Kitzingen registriert. Wobei die Zahl einer Erklärung bedarf, denn der Nachweis dieser Variante braucht Zeit. „Im Labor kann es zehn bis 14 Tage dauern, bis das Ergebnis da ist“, so Allmanritter. Steht fest, dass es wirklich die indische Variante war, sind die Betroffenen oft schon wieder aus der Quarantäne entlassen.
Überhaupt rät der Leiter des Gesundheitsamtes, beim Blick auf die Statistik Ruhe zu bewahren. Der Landkreis hat verhältnismäßig wenig Einwohner, da treiben schon wenige Fälle die Zahlen hoch. „Ein Fall bedeutet 1,1 Inzidenzpunkte“, sagt Allmanritter. Ist eine größere Familie betroffen, schnellt die Inzidenz im Nu sechs, acht Punkte hoch. Doch oft sei es alleine aus räumlichen Gründen kaum vermeidbar, dass sich Familienmitglieder anstecken. „Häufig gibt es räumlich keine Möglichkeit, sich zu trennen.“ Fachlich gesehen, seien diese Fälle kein Problem, die bekomme man gut in den Griff. „Aber es entstehen Konsequenzen.“ Würde die 50er-Marke überschritten, drohten wieder Einschränkungen für alle.
Diese Einschränkungen, die wechselnden Vorschriften, Homeoffice, Homeschooling, Besuchsverbot in Seniorenheimen, womöglich eine unsichere finanzielle Situation, alles das hat die Menschen mürbe gemacht, und das bekamen die Mitarbeiter des Landratsamtes und auch die Landrätin täglich zu spüren. Obwohl das Amt über Pressesprecherin Corinna Petzold-Mühl und die Homepage stets versucht hat, über die aktuellen Regelungen aufzuklären und um Verständnis zu werben. „Oft wussten wir ja gar nicht, wie die Vorschriften umzusetzen sind, die da im Fernsehen verkündet wurden“, so Petzold-Mühl. Meist hat es mehrere Tage gedauert, bis die konkreten Regelungen und entsprechenden Rechtsgrundlagen vom Staat bei den Behörden eingingen. „Das konnten viele Leute nicht verstehen.“ Und so gab es unzählige Beschwerdeanrufe, E-Mails, die Androhung von Klagen, gar von Körperverletzung. Schön ist das nicht. „Aber ich kann verstehen, dass die Nerven der Leute teilweise blank lagen“, sagt die Landrätin.
Jetzt hofft Tamara Bischof, dass die Menschen endlich Luft holen können, dass es mehr Freiheiten gibt, Schulen und Kindergärten offen bleiben – „die darf man nicht über Monate schließen“. Dass das Vereinsleben wieder anläuft und die Ehrenamtlichen trotz des langen Lockdowns am Ball bleiben, „weil ohne die vieles nicht läuft im Landkreis“. Und sie hofft, dass etwas gelernt wird aus der Pandemie. „Nicht alles in China produzieren, was lebenswichtig sein könnte“, sagt sie. In Vorleistung treten, was die Ausstattung mit Fachkräften betrifft, um im Fall des Falles gerüstet zu sein. Und die technischen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation besser nutzen und vernetzen. „Dann hätten wir teilweise noch viel schneller reagieren können.“
Zahlen rund um die PandemieDie Corona-Pandemie hält auch den Landkreis Kitzingen seit weit über einem Jahr in Atem. Hier exemplarisch einige Zahlen rund um die Pandemie: Aktuelle Lage: Am Freitag, 25. Juni, gab es 3290 bestätigte Corona-Fälle im Landkreis Kitzingen, davon 17 Corona-Indexfälle. 87 Personen sind gestorben, 27 Personen sind in Quarantäne. 33.583 Personen sind vollständig geimpft. Katastrophenfall: Zusammengerechnet herrschte in den vergangenen Monaten an 271 Tagen der Katastrophenfall. Bürgerhotline: Vom 22. März bis 22. Juni 2020 gingen rund 4500 Anrufe ein, nach der Wiederaufnahme der Hotline am 21. September bis heute noch einmal rund 3000. Hinzu kamen sehr viele Anrufe beim Sachgebiet Sicherheit und Ordnung. PCR-Tests: An der Teststrecke in Albertshofen wurden seit dem 31. August 2020 33.500 PCR-Tests durchgeführt. Etwa 2050 waren positiv. Die Gesamtzahl der PCR-Tests ist allerdings wesentlich höher, da beispielsweise Reihentests an Schulen, Kindergärten und Asylbewerberheimen vom Gesundheitsamt durchgeführt wurden. Auch Hausärzte nahmen Tests vor. Schnelltests: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, im Landkreis Kitzingen einen Schnelltest zu machen, so dass sich die Zahl der durchgeführten Tests nicht beziffern lässt. Alleine an der Schnelltest-Strecke des Landkreises Kitzingen in den Marshall Heights gab es vom 15. März 2021 bis 14. Juni 18.322 Schnelltests. 74 davon waren positiv. Materialien, die das Landratsamt allein von März bis Ende Juli 2020 ausgegeben hat: 14.200 Liter Hand- und 15.350 Liter Flächendesinfektionsmittel, 1.658 Schutzanzüge, 740 FFP3 Masken, 48.771 FFP2/KN95 Masken, 37.599 KN95 (non medical), 208.220 „einfacher“ OP Mundschutz, 51.000 Schutzhandschuhe (26.450 Paar), 1.100 Brillen/Gesichtsvisiere, 100 OP-Kittel, 300 Pflegekittel. Der Großteil dieser Gegenstände wurde vom Kreisbauhof an die entsprechenden Stellen (Alten- und Pflegeheime, Hebammen, Ärzte, Patientenfahrdienste, etc.) im gesamten Landkreis verteilt. Schulen und Kitas: Seit Anfang März 2021 hat der Landkreis über 240.000 Tests aus der zentralen Beschaffung der Bayer. Staatsregierung an Schulen, Kindertageseinrichtungen sowie Heilpädagogische Tagesstätten ausgegeben. Mitte Juni kamen noch einmal über 150.000 Tests und wurden ausgeben. Außerdem wurden bisher 43.482 Masken mit FFP2-Standard sowie 41.550 medizinische Masken an die Schulen verteilt. Auch die Kitas haben im Februar 2100 Masken mit FFP2-Standard sowie 23.800 medizinische Masken erhalten. (len)