Wenn Marit Gernert von ihrem Alltag in Weimar erzählt, dann leuchten ihre Augen. Seit 2022 geht die 16-jährige Kitzingerin dort auf das Musikgymnasium Schloss Belvedere, eines von drei staatlichen Musikgymnasien in Deutschland. Rund 100 begabte junge Musikerinnen und Musiker absolvieren dort ihr Abitur und werden gleichzeitig auf ein Musikstudium vorbereitet.
Die meisten Mitschülerinnen und -schüler von Marit kommen aus Musikerfamilien und wurden seit ihrer Kindheit auf eine musikalische Karriere vorbereitet. Bei Marit war das nicht so. Sie spielt zwar schon lange und gerne Geige. Aber auf die Idee, ein Musikinternat zu besuchen, kam sie erst vor zwei Jahren. Damals war Marit unzufrieden in ihrer Schulklasse am Armin-Knab-Gymnasium – die Zeit des Home-Schoolings war gerade vorbei – und auch in der Musikschule in Kitzingen fehlten ihr Gleichgesinnte. Ihre große Schwester fand, Marit müsse "mal raus" und schlug ein Austauschjahr im Ausland oder den Wechsel an ein Musikgymnasium vor.
Der Weg dahin sollte allerdings steinig werden und mehrere Monate dauern. Wer am Weimarer Gymnasium zur Schule gehen will, muss seine musikalischen Fähigkeiten bei einer Eignungsprüfung beweisen. Marit bereitet sich vor und macht wenige Tage vor dem Prüfungstermin routinemäßig einen Corona-Schnelltest, der zu aller Überraschung positiv ausfällt. Die junge Violinistin darf nicht an der Prüfung teilnehmen und soll zur Nachprüfung kommen.
Eine Woche vor der Nachprüfung dann der nächste Rückschlag: Marit bricht sich beim Volleyballspielen im Sportunterricht einen Finger. Damit konnte sie die Aufnahmeprüfung endgültig nicht antreten. Der Traum schien geplatzt zu sein. Doch motiviert von Freunden und Familie gibt sie nicht auf. Einige Wochen später vereinbart sie Probeunterricht am Musikgymnasium und wird danach zu einem außerplanmäßigen Vorspiel eingeladen. Eine Woche vor Beginn des neuen Schuljahres dann die frohe Botschaft: Marit hat einen Platz an der Schule.
Leistungsdruck und Selbstzweifel
Mittlerweile ist Marit das zweite Jahr in Weimar. Sie fühlt sich angekommen unter den musikalischen Gleichgesinnten und auch von der thüringischen Stadt mit ihrem kulturellen Angebot schwärmt sie. "Weimar ist das Beste, was mir passieren konnte", sagt Marit. Die 16-Jährige interessiert sich neben Musik auch für Kunst, Literatur und Architektur, sie brauche eine "Grundästhetik" in allem, was sie tue. Das habe sie vor allem von ihrem Vater, dem Kitzinger Orthopädieschuhtechniker Thorsten Gernert.
Am Weimarer Gymnasium liegt der Fokus gleichermaßen auf der schulischen und musikalischen Ausbildung. Eine Doppelbelastung, die für Marit zu einer neuen Art des Leistungsdrucks geführt hat. Sie brauche zwar gelegentlich Herausforderungen für ihre persönliche Entwicklung. Doch durch den hohen Anspruch und den ständigen Vergleich mit anderen Musikerinnen und Musikern hat sie hin und wieder mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Gerade Violinistinnen gebe es viele, sodass die Konkurrenz untereinander groß ist.
Fehlendes Wissen wird aufgeholt
Marit kommt als eine der wenigen nicht aus einer Musikerfamilie und bekommt immer wieder zu spüren, dass sie Lücken in der musiktheoretischen Grundausbildung hat. Doch die 16-Jährige beweist Disziplin und findet Freude daran, sich fehlendes Wissen selbst beizubringen: "Im Grunde lerne ich das Geigespielen jetzt nochmal komplett neu."

Mit dem Geigenunterricht angefangen hat Marit im Grundschulalter, nachdem sie mit ihrer Oma begeistert einen Fernsehauftritt des niederländischen Stargeigers André Rieu angesehen hatte. Heute würde sie über die kitschigen Inszenierungen eher schmunzeln, doch dem Instrument ist sie treu geblieben. "Ich habe die Geige von Anfang an mit Freude und Euphorie kennengelernt. Von zuhause habe ich keinen Druck erfahren, was das Üben angeht", sagt sie.
Auf den Kopf kommt es an
Einer der Vorteile, nicht aus einer Musikerdynastie zu kommen. Einige ihrer Mitschülerinnen und -schüler würden bis zu sieben Stunden täglich proben. Doch Marit hat früh gelernt: "Ohne Kopf zu üben ist verschwendete Zeit." Da sei es sinnvoller, die Geige aus der Hand zu legen und sich auf etwas anderes zu fokussieren. Oder einen Kaffee in Weimar trinken zu gehen.
Marit möchte musizieren, um etwas von sich in die Welt zu tragen. Geigespielen sei für sie eine Möglichkeit, Emotionen zu transportieren: "Emotionen habe ich sehr viele. Am Musikgymnasium habe ich nun die Möglichkeit, das Handwerk dafür zu lernen." Ob sie allerdings den vorbereiteten Weg in ein Musikstudium gehen oder eine andere Leidenschaft zum Beruf machen will, weiß sie noch nicht. Sie freut sich zunächst darauf, sich in Weimar weiter auszuprobieren. Fest steht, dass Marit vor Ideen und Gedanken sprüht und einen Weg finden wird, etwas von sich an die Welt zu geben.