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Kitzingen: Montagmorgen beim Hausarzt: Wie eine Kitzinger Praxis dem Ansturm der Patienten trotzt

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Montagmorgen beim Hausarzt: Wie eine Kitzinger Praxis dem Ansturm der Patienten trotzt

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    An der Anmeldung der Hausarztpraxis  herrscht jeden Tag Hochbetrieb, gerade an Montagen bleibt kaum Zeit für eine Verschnaufpause für die Mitarbeiterinnen. 
    An der Anmeldung der Hausarztpraxis  herrscht jeden Tag Hochbetrieb, gerade an Montagen bleibt kaum Zeit für eine Verschnaufpause für die Mitarbeiterinnen.  Foto: Silvia Gralla

    Montagmorgen, zwei Minuten nach acht. Das Telefon blinkt. Acht Anrufe stehen auf der Rückrufliste, drei Patienten warten vor der Anmeldung. Durch die gekippten Fenster zieht schwül-warme Luft in die Hausarztpraxis in Kitzingen.

    Dr. Tobias Freund schlüpft in seine Turnschuhe. "Montage sind immer stressig", sagt der Allgemeinmediziner, der seit 2018 zusammen mit Dr. Matthias Hock die Praxis führt. Der Ansturm der Patientinnen und Patienten ist Alltag in den hellen Sprechzimmern, ein Kraftakt. Wie schaffen die beiden jungen Ärzte das?

    "Wir haben ein gutes Team", sagt Freund schlicht. Neben ihm und Hock arbeiten drei angestellte Ärztinnen und Ärzte, acht Medizinische Fachangestellte und eine Auszubildende in der Praxis. Viele haben jahrelange Erfahrung in ihrem Job, waren schon bei den vorherigen Praxisinhabern angestellt.

    In der Hausarztpraxis in Kitzingen ordnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Chaos

    So wie Heike Nicola und Pia Seufert. Die beiden Medizinischen Fachangestellten sitzen an diesem Morgen an der Anmeldung der Hausarztpraxis. Sie begrüßen, hören zu und lesen die Krankenkassenkarten ein. Sie dirigieren die Patienten ins Wartezimmer, ins Labor oder direkt ins Sprechzimmer.

    Heike Nicola (links) und Pia Seufert ordnen und lenken den täglichen Ansturm der Patienten in der Hausarztpraxis in Kitzingen. Freundlich bleiben ist ihr Job. 
    Heike Nicola (links) und Pia Seufert ordnen und lenken den täglichen Ansturm der Patienten in der Hausarztpraxis in Kitzingen. Freundlich bleiben ist ihr Job.  Foto: Silvia Gralla

    "Wir versuchen immer freundlich zu bleiben – das ist unser Job", sagt Pia Seufert. Natürlich gebe es manchmal Beschwerden, Ärger oder unverschämte Leute. Aber selten. Ihre Kollegin Heike Nicola nickt. "Im Zweifel zählt man innerlich bis drei und dann geht es wieder."

    Mittlerweile knarrt die Eingangstür alle paar Sekunden. Patientinnen und Patienten, die zu einem Termin kommen, die ein Rezept abholen, die einen Rat suchen oder einen kurzen Schwatz. Das sei das Schöne als Hausarzt, sagt Tobias Freund. Die Nähe. "Man kennt die Leute" und begleite Familien oft über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg.

    Hausarzt sein bedeutet auch: Manche Schicksale gehen einem sehr nah

    Der 41-Jährige und sein Partner Matthias Hock erfüllen nicht mehr das traditionelle Bild des Hausarztes, der rund um die Uhr erreichbar ist und mit abgewetzter Arzttasche von Hausbesuch zu Hausbesuch eilt. Stattdessen gibt es feste Öffnungszeiten, ein Schichtsystem mit geplanten Hausbesuchen und meist pünktlich Feierabend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

    Trotzdem, sagt Freund, gingen einem als Hausarzt manche Schicksale sehr nah, Distanz ist schwerer zu finden als in Kliniken. Und das Abschalten fällt nicht immer leicht. Täglich prüfe er zuhause doch noch die Blutwerte eines Patienten oder gebe ab und an seine private Handynummer für Rückrufe heraus.

    "Wenn wir dann im Restaurant sitzen und ich telefoniere minutenlang, findet das meine Frau nicht immer toll", sagt Freund. "Aber ich bin gerne Hausarzt – und es war immer mein Ziel, selbstständig zu sein." Nur: Lohnt sich das noch?

    Bei der Digitalisierung hakt es im Hausarzt-Alltag gewaltig

    Ja, sagt Freund. Von Jammern hält er nichts, als Hausarzt verdiene "man immer noch gut". Dass es jedoch im Gesundheitssystem an einigen Stellen gewaltig hakt, merke man jeden Tag.

    Dr. Matthias Hock (links) und Dr.  Tobias Freund haben sich 2018 als Hausärzte in Kitzingen selbstständig gemacht. Trotz aller Schwierigkeiten sagen sie: Es lohnt sich.
    Dr. Matthias Hock (links) und Dr. Tobias Freund haben sich 2018 als Hausärzte in Kitzingen selbstständig gemacht. Trotz aller Schwierigkeiten sagen sie: Es lohnt sich. Foto: Silvia Gralla

    Beispiel Digitalisierung. Deren Umsetzung "ist eine einzige Farce", sagt Freund und zeigt auf das Kartenlese-Terminal für E-Rezepte auf seinem Schreibtisch. Das Gerät müsse in den Praxen vorhanden sein, sonst drohten Honorarkürzungen, "aber es gibt noch keinen Einsatz dafür".

    Der Mediziner zuckt mit den Schultern. "Es gibt unglaublich viele Regeln von Gesetzgeberseite, die einen drangsalieren können", sagt Freund. Genau das sei es, was viele junge Ärzte vor der Selbstständigkeit schrecke.

    Um kurz vor 9 Uhr sind in der Praxis in Kitzingen fast alle Termine vergeben

    Die Uhr am PC zeigt 8.52 Uhr. Im Gang vor den Sprechzimmern sind fast alle Plätze besetzt. "Für heute sind alle freien Termine bis auf zwei am Nachmittag weg", sagt Pia Seufert.

    Sie klickt sich durch die bunt markierten Spalten des Praxis-Kalenders, auch für den Rest der Woche sind die Sprechzeiten der Ärzte gut gefüllt. Im 15 Minuten Takt werden Patientinnen und Patienten eingeplant, Notfälle dazwischengeschoben.

    Dr. Matthias Hock holt eine Patientin vom Warteplatz im Gang zur Behandlung in seinem Sprechzimmer ab.
    Dr. Matthias Hock holt eine Patientin vom Warteplatz im Gang zur Behandlung in seinem Sprechzimmer ab. Foto: Silvia Gralla

    Aus dem Wartezimmer dringt gedämpftes Gemurmel, ab und an ein Husten. Lange Wartezeiten gibt es nicht mehr. "Während der Corona-Pandemie haben wir die Terminsprechstunde eingeführt", sagt Dr. Matthias Hock. Um Patienten-Schlangen zu vermeiden und Kontakte zu reduzieren. Die Folge: "Das Telefon klingelt permanent", sagt der 37-Jährige. Zwei, manchmal sogar vier Mitarbeiterinnen sitzen den ganzen Tag am Hörer.

    Am Montagmorgen rufen durchgehend Patientinnen und Patienten beim Hausarzt an

    Heute zum Beispiel Tina Gerhart. Mit der einen Hand kritzelt sie Notizen auf einen Block, mit der anderen schiebt sie ein Formular in den Drucker. "Montag ist gigantisch", sagt die 49-Jährige. Da telefoniere sie von früh bis abends "fast durchgehend". 

    Der nächste Anruf, ein Patient, dessen eigener Hausarzt im Urlaub ist. Er schildert seine Beschwerden, Gerhart notiert sich alle Daten, bietet ihm einen Termin am nächsten Vormittag. Gleichzeitig blinkt schon wieder das Display rot, der nächste Patient wartet. Gerhart bleibt gelassen, routiniert.

    Tina Gerhart hat an diesem Montagvormittag Telefondienst. Pausen gibt es dabei kaum, meist folgt auf einen Anruf sofort der nächste.
    Tina Gerhart hat an diesem Montagvormittag Telefondienst. Pausen gibt es dabei kaum, meist folgt auf einen Anruf sofort der nächste. Foto: Silvia Gralla

    Sie arbeitet seit 30 Jahren als Medizinische Fachangestellte, hat gelernt, Patienten einzuschätzen. Wer schwer krank ist, wer sofort Hilfe braucht, wer sich vordrängen möchte oder nur ein Ventil für seine schlechte Laune sucht. "Man kennt seine Pappenheimer", sagt Gerhart und lacht. Aus der Ruhe bringen lässt sie sich davon nicht. 

    Nur wenn Patienten Glück haben, bekommen sie kurzfristig noch einen Termin

    10 Uhr. Vor Sprechzimmer Nummer 4 sitzt ein Vater mit seinem Sohn. Der Bub hat Fieber. Der Kinderarzt sei in Urlaub, deshalb seien sie zu seinem Hausarzt gegangen, erzählt der Mann. Spontan. Einen Termin habe er kurzfristig bekommen, zum Glück.

    Ähnlich ging es einer 91-Jährigen. Sie habe eine Augen-OP hinter sich und Diabetes, deshalb komme sie häufiger in die Praxis, sagt die Seniorin. Und ja, manchmal hänge sie in der Warteschleife am Telefon – "aber dann habe ich eben einen Moment Geduld".

    Die Tür zum Labor öffnet sich, eine Frau tritt heraus und geht zur Rezeption. Ob sie bitte schnell noch mit einem Arzt sprechen könne? Heike Nicola schüttelt den Kopf. Alles voll, nichts zu machen. Lücken im Kalender gibt es nicht, Pausen sind rar.

    "Wenn ich da bin, arbeite ich durch", sagt Dr. Tobias Freund. Anders als viele Praxen kämpfen er und sein Partner Matthias Hock zwar nicht mit Personalsorgen. Dafür mit fehlenden Arzneimitteln.

    "Das ist ein großes Problem", sagt Freund. "Die Apotheken müssen mehrmals am Tag anrufen, weil ein Rezept geändert werden muss." Teilweise sei es aufgrund der Lieferengpässe nicht mehr möglich, leitliniengerecht zu behandeln. "Vor allem bei Kindern war das schlimm, als Antibiotika und Fiebersäfte fehlten."

    Rollen die Grippe- und Corona-Wellen an, wird es auch in Kitzingen eng

    Bis zu einem gewissen Punkt lasse man sich Dinge am Telefon gefallen, "und dann sagt man: es reicht", sagt die Medizinische Fachangestellte Andrea Dinkel.
    Bis zu einem gewissen Punkt lasse man sich Dinge am Telefon gefallen, "und dann sagt man: es reicht", sagt die Medizinische Fachangestellte Andrea Dinkel. Foto: Silvia Gralla

    Freund klopft an die Tür zu Sprechzimmer 6 und tritt ein. Drinnen legt Andrea Dinkel gerade den Telefon-Hörer auf. Sie hat den zweiten Telefondienst und nimmt seit kurz vor acht einen Anruf nach dem anderen an. "Der ganz normale Wahnsinn", sagt die 59-Jährige. "Ich mache den Job, seit ich 15 bin und noch immer gerne. Aber durch Corona ist es deutlich mehr geworden."

    Mehr Anrufe, mehr Ansprüche. Insgesamt seien viele Leute seit der Pandemie "Ich-bezogener, ungeduldiger und fordernder", sagt Dinkel. "Manchmal kriegt man da schon Puls." Gefallen lassen müssten sie und ihre Kolleginnen sich nicht alles. "Bis zu einem gewissen Punkt ist es okay und dann sagt man: es reicht." Generell würden alle Telefonate dokumentiert, so dass die Ärzte nachlesen können.

    Es ist inzwischen 11.30 Uhr. Das Wartezimmer leert sich. Die Ärzte machen Mittagspause, Tobias Freund fährt nach Hause und holt sein Kind aus der Kita ab. "Das ist der Vorteil, man kann sich in der Praxis die Zeit einrichten", sagt der 41-Jährige. Zumindest jetzt, im Sommer.

    Im Winter sehe das anders aus. Wenn die Grippe-, Erkältungs- und Corona-Wellen anrollen, wird es auch bei den Hausärzten in Kitzingen eng. "Ich weiß, dass ich von Oktober bis März sehr viel arbeiten muss", sagt Freund. "Vor allem die Montage sind dann katastrophal."

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