Sie sind 14, 15 und 16 Jahre jung. Russische Truppen sind in ihr Heimatland eingedrungen. Sviatoslav, Oleksiv und Platon sitzen rund 1500 Kilometer entfernt von Kiew an einem Tisch in der Schulbibliothek des Wiesentheider Steigerwald-Landschulheims (LSH) und sind fassungslos. Wie werden die Eltern die nächsten Stunden und Tage erleben? Wie wird es ihren Freunden und Verwandten in der Ukraine ergehen? Und wann werden sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können?

Seit mehr als 20 Jahren sind das Wiesentheider Gymnasium und das Gymnasium Lessja Ukrainka und das Lyzeum Nr. 4 in Nowograd Wolhynsk freundschaftlich verbunden. Einmal im Jahr findet ein Austausch statt, besuchen sich deutsche und ukrainische Lehrkräfte und Schüler gegenseitig. Wegen Corona ruhte das Programm in den letzten zwei Jahren. „Und jetzt wird es wohl eine längere Pause geben“, befürchtet Martina Schenk. „Wenn es den Austausch überhaupt noch einmal geben wird.“
In Gedanken in der Heimat
Schenk organisiert die gegenseitigen Besuche und hat am Donnerstag, kurz nach Kriegsbeginn, Kontakt mit befreundeten Lehrerinnen aufgenommen. 260 Kilometer westlich von Kiew liegt Nowograd Wolhynsk. Aber auch dort sind die Menschen nicht mehr sicher. „Die Kolleginnen waren sehr unruhig, haben ihre Pässe bereitgelegt, um das Land möglichst schnell verlassen zu können.“

Wie lange dauert der Krieg?
Platon, Oleksiv und Sviatoslav sind schon im letzten Sommer nach Wiesentheid gekommen. Ein Jahr sollten sie Erfahrungen in Deutschland sammeln, bei guten Noten länger bleiben. „Die ersten Wochen waren nicht leicht“, erinnert sich Platon. „Aber jetzt hatten wir uns gut eingelebt.“ Eigentlich wollten die drei in den Faschingsferien nach Hause, endlich wieder die Eltern und Freunde sehen. Jetzt kommen sie bei Verwandten in Deutschland unter, Platon verbringt die Woche bei einer Gastfamilie in Hamburg. In Gedanken sind sie die ganze Zeit in der Ukraine.

Platons Familie lebt rund zehn Kilometer entfernt von der Hauptstadt Kiew. „Dort ist alles noch ruhig“, sagte er am Freitagmittag, als das Gespräch in der Wiesentheider Schule stattfindet. In der Hauptstadt Kiew hätten seine Eltern Einschläge von Raketen und Rauch gesehen. Auch in Ternopil und Kropyvnitskiy war es zum Zeitpunkt des Interviews noch einigermaßen ruhig. „Aber natürlich haben alle große Angst“, sagt Oleksiv. Seine Freunde vor Ort haben ihm berichtet, dass sie kein Auge zu tun konnten, seit der Krieg ausgebrochen ist. „Niemand weiß, wie lange er dauert“, sagt der 15-Jährige. „Zwei Wochen oder zwei Jahre?“
Am liebsten wüssten die Drei ihre Eltern in Sicherheit. „Aber niemand kann derzeit das Land verlassen“, meint Sviatoslav. Alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren sind aufgerufen worden, das Land zu verteidigen, sich bei der Armee zu melden. Außerdem gibt es nach ihren Informationen keine Flugzeuge oder Züge mehr in Richtung Westen. „Das ist kein politischer Krieg mehr“, sagt Oleksiv. „Das ist ein echter Krieg, bei dem ganz viele Menschen sterben.“

Verantwortlich dafür ist für die drei Jugendlichen ein einziger Mann: Wladimir Putin. „Er will die alte Sowjetunion zurück“, meint Oleksiv. „Aber wir können unser Land doch nicht einfach so aufgeben.“ In den älteren Jahrgangsstufen wurde am Donnerstag und Freitag über die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine diskutiert. „Die Schüler sind sehr interessiert an den geschichtlichen Hintergründen“, sagt Martina Schenk. „Sie wollen wissen, wie es so weit kommen konnte.“ Und sie wollen nicht gänzlich untätig sein. Bereits am Donnerstag kam der Wunsch auf, spontan ein Zeichen gegen den Krieg und für Frieden zu setzen.
Ein Zeichen für den Frieden
Schüler der neunten Klasse formten das Wort „Peace“ im Schulhof, auf der Homepage und dem Instagram-Kanal der Schule wurde die Botschaft geteilt. Schulleiter Achim Höfle unterstützt die Aktion. „Wir dürfen als Schule zwar keine politischen Zeichen setzen“, erklärt er. „Aber wir dürfen uns für den Frieden engagieren.“

Als internationale Schule hat das Wiesentheider Gymnasium auch Schüler aus Russland zu Gast. „Die sind auch gegen den Krieg“, weiß Oleksiv aus Gesprächen. Er ärgert sich vor allem über die unterschiedliche Berichterstattung in westlichen und russischen Medien. Im Staatsfernsehen von Wladimir Putin werde immer wieder behauptet, dass die Ukraine den Krieg heraufbeschworen habe. „Das sind alles Fake-News, was von dort kommt.“
Rückkehr? Kommt drauf an
Freitagmittag, 13 Uhr: Die drei jungen Menschen müssen weiter, ihre Züge erreichen, um nach Dresden, Bonn und Hamburg zu kommen. Eine Woche Ferien, die kaum so etwas wie Erholung bringen werden. Vielmehr werden sie in ständigem Kontakt zu ihren Eltern und Freunden in der Heimat stehen, die Nachrichten verfolgen und hoffen, dass ihre Liebsten verschont bleiben.

Ob sie in eine Ukraine zurückkehren würden, die von Russland okkupiert ist? Bei dieser Frage schütteln die drei traurig ihre Köpfe. „In so einem Land kann und will ich nicht leben“, sagt Oleksiv.