Von der Autobahn aus betrachtet ist Geiselwind nur zwei Ausfahrten von Höchstadt entfernt. Bei normalem Verkehr schafft man die 30 Kilometer zwischen den Rathäusern beider Ortschaften in rund 20 Minuten. Ein Katzensprung. Und doch trennen die zwei Rathauschefs gerade Welten voneinander. Der Bürgermeister der 14.000-Einwohner-Gemeinde Höchstadt Gerald Brehm hat im Oktober 2023 seine politische Heimat der Freien Wähler verlassen. Aus Protest gegen Parteichef Hubert Aiwanger und dessen Kurs. Spricht man Brehms Kollegen Ernst Nickel in Geiselwind auf das Thema an, dann sagt der: "Ich habe mit Hubert Aiwanger überhaupt kein Problem. Er redet dem Volk aus der Seele."

Die "Süddeutsche Zeitung" hatte kürzlich unter dem Titel "Aiwanger laufen die Franken davon" von einer "Austrittsbewegung" berichtet – und eine Reihe lokaler Kronzeugen aufgeboten, die sich am bayerischen Vizeministerpräsidenten und Wirtschaftsminister der Freien Wähler abarbeiteten. Der Artikel las sich wie eine Geschichte der Entfremdung zwischen dem schier übergroßen Parteichef und Teilen seiner Basis. "Im Norden Bayerns", so hieß es, "haben die Freien Wähler ein Problem." Und die Frage ist: Haben sie?
In Geiselwind kennt man Hubert Aiwanger als "sehr volksnah"
Im nordbayerischen Landkreis Kitzingen sieht man die Sache weit weniger problematisch und emotional, wie eine Stichprobe dieser Redaktion ergeben hat. Zwar gibt es auch hier – meist hinter vorgehaltener Hand – Kritik an Inhalt und Form von Aiwangers Auftritten. Aber es gibt eben auch jede Menge Zuspruch und Verständnis für seine zugespitzte Art der Kritik und unverblümte Meinung. Der Geiselwinder Ortschef Ernst Nickel, der selbst als Freund klarer Worte bekannt ist, hat Aiwanger mehrfach getroffen und sagt: "Er nimmt sich Zeit für die Leute und ist sehr volksnah, was man von manchen aus der CSU nicht gerade behaupten kann."

Im Juni 2022 tauchte Hubert Aiwanger als Windkraft-Lobbyist in Geiselwind auf, nur eine Woche später saß er beim Jubiläumssonntag der Schützen im kleinen Füttersee mit an den Biertischen. Für Nickel ist nicht Aiwanger das Problem, wenn es im Land nicht vorangeht, sondern das "Verwaltungsmonster", das in Behörden wie dem Wasserwirtschaftsamt oder dem Staatlichen Bauamt an den Bürotischen sitze.
Die Landrätin hat mit Aiwanger in der "heißen Phase" oft telefoniert
Von einer Flucht vor Hubert Aiwanger kann auch bei Landrätin Tamara Bischof keine Rede sein. Im Gegenteil: "Ich komme bestens mit ihm aus", sagt die Frau, die im Jahr 2000 für die Freien Wähler den Landratsposten in Kitzingen erobert hat und damit "länger im politischen Geschäft" ist als Aiwanger selbst, wie sie kokettierend sagt. Sie hat den Niederbayer als "Mensch mit Ecken und Kanten" kennen und schätzen gelernt und in der "heißen Phase" oft mit ihm telefoniert – nach seiner umstrittenen Rede von Erding, wo er davon sprach, dass die "schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen" müsse, nach der Flugblatt-Affäre, bei der ihm Antisemitismus vorgeworfen wurde.

Nicht alle seine Standpunkte teilt sie, und "manche Wortwahl würde ich so nicht machen", erklärt Bischof. Aber dass Aiwanger sich "nicht verbiegt", dass er "für seine Ziele kämpft", dass ihm "kein Weg zu weit" sei, das schätze sie an ihm, und das rechneten ihm auch die Leute hoch an. Wenn er etwa beim "Tag des Bieres" in Gnodstadt aufgetreten sei, habe der Saal ihm regelmäßig "zugejubelt".

Josef Mend war 30 Jahre Bürgermeister in Iphofen und ist heute noch Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Kitzinger Kreistag. Der 71-Jährige ist das, was man respektvoll ein "Urgestein" nennt. Man weiß, dass er nicht zu den Befürwortern zählte, als den Freien Wählern Ende der 1990er-Jahre die Grenzen der Kommunalpolitik im Freistaat zu eng wurden und sie sich mit Hubert Aiwanger an der Spitze der "großen Politik" zuwandten.

Nach wie vor sieht Mend die Freien Wähler in den Städten und Gemeinden besser aufgehoben, was nicht heißt, dass er mit Aiwangers Aufbruch nicht seinen Frieden gemacht hätte. "Man muss auch andere Stile tolerieren." Dass es Aiwanger gelingt, Stimmungen zu bündeln, sieht er in der auch hierzulande zersplitternden Parteienlandschaft als Vorteil. Kritik an Aiwanger? Allenfalls in schwacher Dosis.
Im Freie-Wähler-Kreisverband Kitzingen gab es einen einzigen Austritt
Wenn es in Franken eine Absetzbewegung gibt, dann ist sie im Landkreis Kitzingen bisher nicht angekommen. Die Kreisvorsitzende Susanne Knof berichtet von einem einzigen Abtrünnigen, der mit Aiwangers Kurs nicht zufrieden gewesen sei – ein Austritt bei 167 Mitgliedern im Kreisverband und das Ganze bei steigenden Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren. Den Leuten, die sie auf Veranstaltungen trifft, gehe es selten bis gar nicht um die Person Aiwanger, sondern "immer um lokale Themen", das Kerngebiet der Freien Wähler, und darum, wie die Handelnden vor Ort unterstützt werden könnten.
Knof ist seit 2002 bei den Freien Wählern, hat 2013 für den Landtag kandidiert. Da ist es unvermeidlich, Aiwanger zu entgehen. Sie habe "immer sehr angenehme Unterhaltungen mit ihm" geführt. "Andere Dinge" – und damit meint sie die von Medien geschilderten populistischen Ausfälle Aiwangers – habe sie "nie live erlebt".
Mancher Freie-Wähler-Politiker im Landkreis wünscht sich von Aiwanger etwas weniger Protestkultur und mehr Sachlichkeit. Einer, der ihn beim Neujahrsempfang im Januar in München erlebt hat, glaubt, einen weniger scharfen Ton bei dem zum "Volkszornversteher" ernannten Minister erkannt zu haben. Aiwanger scheine sich zuletzt "etwas gemäßigt" zu haben.
