Höchste Konzentration in der Knopfwerkstatt in der Kitzinger St.-Hedwig-Grundschule. Herzen aus silberfarbener Metallfolie liegen vor den 20 Schülern der Klasse 2d. Mit einem Stift malen die Buben und Mädchen Muster in die Folie. In der ersten Reihe sitzt Nawid: kurze schwarze Haare und dunkle Knopfaugen. Ein normaler Achtjähriger, wäre da nicht die Frau, die ständig dicht hinter ihm steht und sich immer wieder über ihn beugt. Nawid ist ohne rechte Hand auf die Welt gekommen. Und die Frau hilft ihm, in eben dieser zurechtzukommen.
Die Frau heißt Barbara Mahr und ist Nawids rechte Hand – im wahrsten Sinne des Wortes. Als Schulbegleiterin ist sie stets an seiner Seite und ermöglicht ihm so, in eine Regel-Grundschule zu gehen. Seit September begleitet sie den Jungen, seit September 2016 ist sie Schulbegleiterin. Sie und ihre Kollegen, auch Inklusionshelfer oder Schulassistenten genannt, helfen Kindern mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, in der Schule. Durch ihre Unterstützung ist den Kindern ein (fast) normaler Schulalltag möglich. Und nicht nur sie profitieren, auch die Lehrer und ihre Mitschüler.
Seine Prothese mag Nawid gar nicht
"Du, Frau Mahr, was soll ich jetzt machen?", fragt Bernd, Nawids Banknachbar. Mahr lässt Nawids Metallherz los und dreht sich zu Bernd. Nawid versucht mit seinem Stumpf das Herz festzuhalten und mit der linken Hand die Linien nachzufahren. Kein leichtes Unterfangen, immer wieder verrutscht das Herz. Aber er gibt nicht auf. Nawid kommt im Leben gut zurecht, setzt geschickt seinen Stumpf ein. Seine Prothese mag er gar nicht. "Ohne ist es besser", sagt er und grinst schüchtern. Barbara Mahr verdreht die Augen. Sie sieht das natürlich anders. Eigentlich sollte ihr Schützling jeden Tag den Umgang mit der Prothese üben. Nur so baut er die nötigen Muskeln auf, um die Prothese richtig bewegen zu können.

Wie viel Hilfe braucht Nawid? Das fragt sich seine Schulbegleiterin jeden Tag. Immer ist sie an seiner Seite. "Ich versuche, so wenig wie nötig zu helfen", erklärt Mahr. Leicht sei das nicht. Der Drang, zu viel zu helfen, sei groß. Ist sie wirklich immer da bei? Auch beim Sport? "Kann Frau Mahr denn Fußballspielen?" Nawid kichert und schüttelt den Kopf, Bernd kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und auch Frau Mahr schmunzelt. Ihre Aufgabe im Sportunterricht liegt darin, Ideen zu geben, wie seine Mitschüler Nawid unterstützen.
Schulbegleiter sorgen für Ruhe und Entspannung
Es gongt, die Schüler stürmen in die Pause und Nawid ist weder langsamer noch vorsichtiger als seine Klassenkameraden. Barbara Mahr nutzt die Gunst der Stunde und geht ins Lehrerzimmer, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Die Lehrer der St.-Hedwig-Grundschule sind froh, dass Mahr da ist. Im Moment ist sie die einzige an der Schule. "Schulbegleiter bringen Ruhe und Entspannung in die Klasse", sagt Rektorin Andrea Lorey. Aber wie Lehrer gibt es auch zu wenig Schulbegleiter. "Und schlecht bezahlt ist die Arbeit auch." Lorey könnte sich sogar vorstellen, dass es Schulbegleiter generell in den Klassen gibt. "Ein zweiter Mann, auch ohne pädagogische Ausbildung, in jeder Klasse wäre schön." Auch Andreas Schirm, Klassenlehrer der 2d, ist dankbar, dass sich Mahr um Nawid kümmert. "Sie hilft mir sehr", erklärt Schirm. Die Zeit, die er eigentlich Nawid widmen müsste, kann er für andere Kinder nutzen.

Der Gong schallt durch die Flure, die Pause ist vorbei. "Einsammeldienst, bitte die Hefte einsammeln", ruft Schirm ins Klassenzimmer. Nawid geht von Tisch zu Tisch und sammelt die Hefte ein. Der Stapel rutscht in seinem rechten Arm immer wieder nach unten. Barbara Mahr steht am Fenster und beobachtet Nawid genau. Je weiter die Hefte nach unten rutschen, desto mehr ist sie auf dem Sprung. Doch alle Hefte landen heil auf Schirms Schreibtisch. Mahr entspannt sich. Jetzt steht Mathe auf Nawids Stundenplan. Lehrer Schirm beschreibt Formen, die Schüler sollen sie mit dem Lineal aufs Papier zeichnen. Jetzt könnte Nawid seine zweite Hand gut brauchen. Barbara Mahr sitzt hinter Nawid und fragt ihn, in welche Position sie das Lineal aufs Blatt legen soll. Nawid überlegt kurz, dirigiert seine "rechte" Hand und zieht die Linien für ein Dreieck.
Die Grenzen wurden abgesteckt
Ein schneller Blick von Mahr in die Vierer-Gruppe: Alle an Nawids Tisch haben ein Dreieck gemalt. In der anderen Ecke des Klassenzimmers wird laut diskutiert. Ein scharfer Blick von Mahr in Richtung der Störenfriede. Sie steht auf, das reicht. Es herrscht wieder Ruhe. Andreas Schirm schaut dankbar zu ihr. Er und Mahr arbeiten gut zusammen. "Am Anfang mussten wir unsere Grenzen abstecken. Jetzt läuft es super", sagt er. Es komme aber auf die Persönlichkeit des Schulbegleiters an. Es gibt welche, die sich nur um ihren Schützling kümmern und auch da nur das Nötigste machen. Zu dieser Sorte gehört Barbara Mahr definitiv nicht.
"Für mich ist das eine Lebensaufgabe", erklärt sie. Die 54-Jährige weiß, von was sie spricht. Auch ihr autistischer Sohn hat einen Schulbegleiter. Als sie dann vor vier Jahren als Arzthelferin bei einem Arzt entlassen wurde, orientierte sie sich neu. "Aber auf die Idee, als Schulbegleiterin zu arbeiten, musste mich erst eine Freundin bringen", erzählt sie. Jetzt ist sie beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) angestellt. Er und andere Organisationen suchen händeringend nach Schulbegleitern. Eine Ausbildung oder Vorkenntnisse braucht es zum Leidwesen von Mahr und Rektorin Lorey nicht. "Wichtig ist aber erstmal, dass man die Arbeit gerne macht, sich auf die Kinder einlässt", erklärt Mahr. "Und Geduld braucht man auch."

Nawid sammelt die Matheblätter ein. In Deutsch müssen die Zweitklässler Wörter beschreiben. Fleißig meldet sich Nawid. Barbara Mahr blickt stolz auf ihn. Er ist ihr ans Herz gewachsen. Auch Nawid mag Frau Mahr, aber es hat lange gedauert, bis er sich geöffnet hat. Er erzählt ihr von seinem Opa, seinen Freunden und seiner Familie. Seine Eltern sind dankbar, dass Barbara Mahr und Nawid jetzt ein eingespieltes Team sind. Mit Tränen in den Augen zeigt Mahr ein Dankesschreiben der Familie. Nawid lächelt sie an. Das ist ihr Lohn.
Schulbegleiter, Inklusionshelfer oder SchulassistentSchulbegleiter sind eine Form persönlicher Assistenz und unterstützen Kinder mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen oder psychischen beziehungsweise seelischen Störungen im schulischen Alltag. Sie helfen dabei, die Einschränkungen im pflegerischen, sozialen, emotionalen und kommunikativen Bereich auszugleichen. Außerdem erledigen sie pflegerische Tätigkeiten während des Schulbesuchs und unterstützen die Kinder bei der Orientierung im schulischen Umfeld. Dadurch soll eine größtmögliche Selbstständigkeit erreicht werden.Schulbegleiter für Kinder mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen werden vom Bezirk bezahlt. Für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung trägt das jeweilige Jugendamt die Kosten für die Schulbegleitung. Im Moment werden im Landkreis 33 Schulbegleiter vom Bezirk und zwölf vom Jugendamt finanziert.Ob ein Kind Anspruch auf einen Schulbegleiter hat, wird immer im Einzelfall geprüft. Eltern können sich bei Fragen an den Klassenlehrer oder das Jugendamt wenden.
Anmerkung der Redaktion: Die Autorin war vor der coronabedingten Schließung zum Ortstermin in der Grundschule. Mittlerweile ist auch die Schulbegleitung wieder im Einsatz. Bei der Betreuung wird auf den Mundschutz geachtet. Durch die notwendige Nähe wird im Einvernehmen mit den Eltern auf die vorgegebene Abstandsregelung verzichtet.