Im Juli 1787 kommt ein frisch vermähltes Paar aus dem fränkischen Landadel in Weimar an und bezieht eine Wohnung an der Esplanade, unweit von Theaterplatz und Wittums-palais. Gottlob Wolfgang Christian und Caroline von Egloffstein, geborene von Aufseß, haben am 8. Juli auf dem Schloss Plankenfels in der Fränkischen Schweiz geheiratet. Gottlob ist Mitglied eines fränkischen Uradelsgeschlechts, das seinen Stammsitz östlich von Forchheim im gleichnamigen Dorf besitzt.
Als die beiden 1787 in Weimar ankommen, ist die magische Persönlichkeit Weimars nicht vor Ort: Johann Wolfgang von Goethe. Er weilt noch in Rom, man ersehnt seine Rückkehr, doch er wird erst im Juni des darauffolgenden Jahres nach Haus zurückkehren. Nach Goethes Rückkehr werden auch Gottlob und Caroline v. Egloffstein bald mit dem berühmten Mann bekannt. Es gibt viele Gelegenheiten der Begegnung. Hans Max von Aufsess, der Biograph der Caroline von Egloffstein, fabuliert in seinem Rückblick: „Unsere liebe kleine Tante Caroline gehörte zwar beileibe nicht zu den großen Frauengestalten, denen Goethes leicht entzündbares Herz sich zugewendet hat, aber umso beständiger und sicherer kreiste Caroline wie ein guter und stiller Trabant in Zeitabständen um das helle Gestirn des Weimarer Apoll.“
Ein bequemer Sitz
In Briefen bezeichnet Goethe Caroline als „teuerste Freundin“, „vortreffliche Freundin“, „schöne Freundin“, äußert den Wunsch: „Werden wir morgen das Vergnügen haben, Sie bei uns zu sehen?“ oder bedauert ihre Abwesenheit: „Die holde Gestalt der Abwesenden wird gar oft vermisst, sonntags beim Gesang, bei Hofe, auf der Redoute und wo nicht sonst. Ebenso fehlt auch ihre trauliche Rede, und was sonst noch alles mit ihr hinweggezogen ist.“
Im Februar 1823 – Goethe befindet sich im 74. Lebensjahr – erkrankt er lebensbedrohlich an einer Herzbeutelentzündung. Höhepunkt der Krisis ist der 24./25. Februar, an diesen Tagen befürchtet man allgemein seinen Tod. In diesen Tagen sitzt er lieber in einem bequemen Lehnstuhl, statt im Bett zu liegen. Den „Großvaterstuhl“ lässt Caroline von Egloffstein aus ihrem Weimarer Anwesen in Goethes Haus am Frauenplan bringen, damit der Kranke besonders bequem sitze; der Stuhl stammte aus ihrem elterlichen Anwesen Heckenhof aus der Fränkischen Schweiz. 1826 gibt Goethe den Stuhl an Caroline zurück, begleitet mit einem Gedicht: „Musterstuhl für Schmerz und Sorgen / Willst mir, teure Freundin, borgen? /Nimm ihn wieder, Trost und Segen, / Soll er Dir zu Häupten legen.“
In der Gaststube des Heckenhofs wird noch heute eine Abschrift dieses Gedichts aufbewahrt, flankiert von den Porträts Goethes und Carolines, sowie dem Foto eines grünen Lehnstuhls, der sich heute im Schlafzimmer Goethes im Haus am Frauenplan befindet und in dem er gestorben ist. Die lokalhistorische Literatur behauptet nun, der grüne Stuhl müsse der Egloffsteinsche sein, sicher habe Caroline ihren Großvaterstuhl an Goethe wieder zurückgeschenkt – Goethe sei also in einem Lehnstuhl fränkischer Herkunft gestorben. Denn tatsächlich starb Goethe nicht im Bett, sondern in einem Lehnstuhl: Am Morgen des 22. März 1832 verlangt es ihn im abgedunkelten Zimmer nach „Licht“. Mit der Hand in die Luft schreibend, drückt er sich in den Lehnstuhl und stirbt um halb zwölf Uhr, wohl an Herzversagen. Der Sterbestuhl aus poliertem Birkenholz mit grünem Überzug (102 cm hoch, 65 cm breit, 70 cm tief) steht in Goethes ungemein spartanischem Schlafgemach.
Zwar ist es überaus verständlich, dass die Egloffstein-Forschung und auch der Lokalpatriotismus unverbrüchlich an dem Glauben festhalten, dass der grüne Stuhl nur jener sein kann, den Caroline an Goethe geschenkt hat. Leider muss man diese Illusion zerstören, denn Goethes Vertrauter Johann Peter Eckermann notiert in seinen Gesprächen mit Goethe am 25. März 1831: „Goethe zeigte mir einen eleganten grünen Lehnstuhl, den er dieser Tage in einer Auktion sich hatte kaufen lassen. Ich werde ihn jedoch wenig oder gar nicht gebrauchen, sagte er, denn alle Arten von Bequemlichkeit sind eigentlich ganz gegen meine Natur . . . Eine Umgebung von bequemen geschmackvollen Möbeln hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen behaglichen passiven Zustand.“ Soll heißen: Ein bequemer Stuhl verleidet zur Untätigkeit, oder: Wer dichten will, muss unbequem sitzen?
Dass Goethe sich hundert Tage in Franken aufgehalten und zahlreiche Orte besucht hat, dass er mit Persönlichkeiten der Region korrespondierte – Franz Oberthür, Martin Wagner, Nees von Esenbeck aus Sickershausen u. a. – und ein ausgiebiger Kenner und Genießer des Frankenweins war, nicht nur des Würzburger Steins, ist hinlänglich bekannt. Da ist es doch reichlich unwichtig, dass sein Schlafzimmerstuhl, in dem er am 22. März 1832 starb, nicht aus Franken stammt – auch wenn man das in der Fränkischen Schweiz zu gerne glauben möchte.
Der Autor
Dr. Hans Bauer, Kreisheimatpfleger und Stadtarchivar in Dettelbach, beschäftigt sich seit Langem mit dem Verhältnis von Johann Wolfgang von Goethe zu Franken und speziell mit der Vorliebe des Dichters zum Frankenwein. 2013 erschien im Dettelbacher Röll-Verlag das umfangreiche Buch „Franken, Wein & Frauen“.
Nach einem Vortrag Bauers bei der Goethe-Gesellschaft Erlangen erzählte ihm ein Zuhörer, Goethe sei in einem fränkischen Lehnstuhl gestorben – was Bauer nicht glauben wollte und daraufhin Recherchen anstellte.