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KITZINGEN: Tag der Artenvielfalt: Viele kleine Wunder der Evolution

KITZINGEN

Tag der Artenvielfalt: Viele kleine Wunder der Evolution

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    Keine Angst vor der Kreuzspinne: Markus Schmitt findet, dass alle Wesen in der Natur ihre Faszination und vor allem ihre Daseinsberechtigung haben.
    Keine Angst vor der Kreuzspinne: Markus Schmitt findet, dass alle Wesen in der Natur ihre Faszination und vor allem ihre Daseinsberechtigung haben. Foto: Foto: DIANA FUCHS

    Wer mit Markus Schmitt durch die Flur läuft, staunt. Lebewesen, an denen man sonst glatt vorbeiläuft, kennt der Geschäftsführer des Kitzinger Landschaftspflegeverbandes beim Namen. Er war schon als Kind fasziniert von allem, was draußen kreucht, fleucht, springt, singt, flötet und fliegt. Heute sagt der 48-Jährige: „Die Natur ist etwas, das der Mensch nie ganz unter seine Kontrolle bringen kann. Und das ist faszinierend und gut so.“

    Nichtsdestotrotz schadet der Mensch der Natur, auch unbewusst, tagtäglich – obwohl sie seine Lebensgrundlage ist. Warum ist das so? Bei einem Rundgang durchs Naturschutzgebiet Tännig zwischen Marktsteft und Michelfeld analysiert Markus Schmitt die Lage.

    „Da, eine Dorngrasmücke!“ Schmitt bleibt stehen, lauscht. In einem Gebüsch singt ein Vogel. Man sieht ihn nicht, aber der Fachmann kennt die „Woid-Woid“-Rufe. Die vielfältige Landschaft mit Hecken, Büschen und Bäumen sorgt dafür, dass sich hier viele Arten wohlfühlen, sowohl Tiere als auch Pflanzen. Ein Erfolg? „Sicher, dafür wurde auch einiges getan“, sagt Schmitt. „Aber insgesamt reicht das nicht.“

    Es reicht nicht? Was bedeutet das? „Die Bestände vieler heimischer, gefährdeter Arten stagnieren – immerhin – oder gehen weiter zurück. Große Sorgen machen mir derzeit viele Amphibienarten, zum Beispiel Kröten, Molche und Feuersalamander, denen die trockenen Jahre zugesetzt haben, aber auch viele Vogelarten.“

    Lösungen statt Schuldige suchen

    Wer ist schuld am Artensterben – und was können wir dagegen tun? Bei der ersten Frage winkt Schmitt gleich ab. „Wir können die Schuld auf niemanden abwälzen“, stellt er klar. „Auch die Landwirte sind als Sündenbock nicht geeignet. Um ihre Betriebe halten zu können, müssen sie produzieren, was der Markt fordert, am besten zum Weltmarktpreis.“ Zudem seien so genannte Pflanzenschutzmittel nur ein Teil der umfassenden Problematik. „Jeder muss bei sich selbst anfangen.“

    Zuallererst brauche es ein Grundverständnis und Interesse für die Natur. Schmitts Blick wandert vom Waldrand über Felder bis hin zu einer Obstbaumwiese. „Hier darf die Natur noch ein bisschen natürlich sein“, sagt er und klingt leicht enttäuscht: „Anders als in so manchem privaten Garten.“ Zwar sei nach dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ großer Aktionismus ausgebrochen. Viele Bürger wollten zum Beispiel Blumenwiesen anlegen. „Das ist gut gemeint, keine Frage, aber oft ist es für die Artenvielfalt viel besser, nichts zu tun, als einen top gestylten, vermeintlich insektenfreundlichen Garten künstlich anzulegen.“

    Die Schönheitsideale vieler Menschen gingen nicht mit den Ansprüchen gerade seltener, spezialisierter Arten konform: „Hochwertiger Lebensraum schaut nicht immer besonders 'schön' aus.“ Und kein Insektenhotel, das neben einem vom Roboter täglich gestutzten Rasen und laubfreien Koniferen stehe, könne eine Heimat für bedrohte Arten sein. „Hier ziehen höchstens Arten ein, die geringe Ansprüche an ihren Lebensraum haben.“ Mit Hecken, „gleichförmig wie Soldaten“, sei es ähnlich.

    Schmitt führt eine provokante These ins Feld: Mit Brennnesseln und wilden Ecken, die sich ohne großes Zutun des Menschen entwickeln dürfen, tue man oft mehr für die Artenvielfalt als mit jeglichem Aktionismus.

    Das gilt für den privaten Garten wie auch fürs öffentliche Grün. Schmitt erzählt, dass Gemeindearbeiter oder Bürgermeister immer wieder gedrängt werden, doch die örtlichen Grünflächen endlich zu mähen; das Gras sei schon zu hoch. Und wenn mal eine Wiese über den Winter ungemäht stehen bleiben soll, dauere es nicht lange, bis Beschwerden eingehen. „Dabei überwintern an und in den dürren Stängeln viele Insekten, Spinnen und andere Tiere; die tötet man, wenn man alles abrasiert.“

    An einem mit Schilf bewachsenen Tümpel bleibt Markus Schmitt stehen. Er zeigt auf etliche Äste, die am Ufer liegen. „Diese Äste hatten wir ins flache Wasser gelegt, damit Kreuzkröten hier, von Enten ungestört, ihren Laich ablegen können.“ Schmitts Augen suchen die Wasseroberfläche ab. Kein Laich, keine Kaulquappen. Wer hat die Äste aus dem Wasser gezogen, und warum? Frustriert zuckt der Diplomingenieur für Landespflege mit den Schultern. „Wir können doch nicht überall Schilder aufstellen...“

    Sicher geschehe mancher Naturfrevel aus Unwissenheit. „Wir haben uns zum Teil weit von der Natur entfernt.“ Manch einer wisse nicht, dass eine Kuh nur Milch gibt, wenn sie ein Kalb bekommt, oder dass es nicht für jedes Tier und jede Pflanze Schutzgebiete geben könne. „Selbst wenn wir Geld und Flächen hätten, würden Insellösungen für viele Arten nicht funktionieren.“

    Aber hieß es nicht, die Corona-Pandemie führe uns alle irgendwie „zurück zur Natur“? Markus Schmitt schüttelt den Kopf: „Seit die Gefahr abgeflaut ist, fallen viele in die alten Muster zurück und versuchen nachzuholen, was ihnen vermeintlich entgangen ist.“ Manch einer bucht jetzt erst recht Billigflüge und versucht auch außerhalb des Urlaubs, Schnäppchen zu machen: „zwei T-Shirts für zehn Euro“. Dabei sei die Wahrheit ganz einfach: „Wenn etwas billig ist, geht es meist zu Lasten der Natur und/oder der Billiglohnarbeiter.“

    Klima- und Umweltschutz hänge eng mit der Artenvielfalt zusammen. „Deswegen müssen wir alle unsere Gewohnheiten und Ansprüche überprüfen.“ Flächenversiegelung, Konsum- und Freizeitverhalten – alles gehöre auf den Prüfstand. „Muss man den letzten ruhigen Winkel in der Flur mit einem gut ausgebauten Weg erschließen, damit das Auto nicht dreckig wird, wenn man mit dem Hund dort Gassi gehen will?“

    Faszinierend und lebenswichtig

    Markus Schmitt deutet auf eine Brachlandschaft mit Königskerzen und allerhand Gräsern. „Das wäre der ideale Lebensraum fürs Schwarzkehlchen.“ Doch kein Vertreter der Vogelart lässt sich blicken. „Wir werden weiter hoffen, dass es doch noch einen Bruterfolg gibt“, sagt Schmitt im Weitergehen. Da landet ein Käfer mit gelb-orange-schwarz-farbenen Flügeldecken auf seiner Hand. „Ein Pinselkäfer.“ Schmitt lächelt jetzt wieder ein bisschen. „Zumindest der ist da.“ Durch seine wolligen Haare sehe der kleine Kerl einer Hummel ähnlich, was ihn vor Fressfeinden schütze. Eines von vielen kleinen Wundern der Evolution.

    Am Ende des Spaziergangs sagt der 48-Jährige den vielleicht wichtigsten Satz: „Die Natur ist nicht nur faszinierend, sondern sie ist und bleibt unsere Lebensgrundlage. Sauerstoff können wir Menschen noch nicht produzieren – oder nur mit viel Energie, die wir nicht haben.“ Das sollten wir wissen, wenn wir wieder einmal jammern, der alte Baum vorm Haus mache doch nur Dreck.

    Tag der Artenvielfalt: Der 22. Mai ist der Internationale Tag zur Erhaltung der Artenvielfalt. Der Aktionstag wurde im Jahr 2000 durch die UNO eingeführt. Er soll uns Menschen daran erinnern, dem Artensterben entgegenzuwirken.

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