Immer wieder das gleiche Schema: Die Frau und dreifache Mutter ist völlig überfordert. Dann kommt eine Stresssituation zu viel. Sie trinkt, rastet aus, wird gewalttätig und legt sich mit der Polizei an. Seit 2019 ist sie deshalb dreimal zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Jetzt stand sie trotz zweifach offener Bewährung erneut vor Gericht. Wieder war sie ausgerastet. Wieder hat sie Polizisten angegriffen. Der Marsch hinter Gitter stand unmittelbar bevor.
Dass es am Ende anders kam und die 38-Jähriger trotz der massiven Vorstrafen nicht ins Gefängnis muss, lang an zwei Frauen. "Sie gehört in Therapie", hat ihre Bewährungshelferin gesagt und "ganz arg" darum gebeten, die Frau nicht in die JVA zu schicken. Unterstützung bekam sie von der Frau, die der 38-Jährigen seit einigen Monaten als Betreuerin zur Seite steht. Auch ihr Appell: Therapie statt Knast.
Die Argumente überzeugten am Ende nicht nur Richterin Ingrid Johann: "Ich bin beeindruckt, habe selten so engagierte Betreuer erlebt", sagte sie. Das galt auch für die Staatsanwältin. Die war fest davon ausgegangen, dass eine weitere Bewährung nicht mehr infrage kommt.
Bewährungsstrafe gefordert
Nach den Ausführungen der beiden Betreuer beantragte sie zwar eine zweijährige Freiheitsstrafe, aber auch Bewährung. Damit war die Verteidigerin mehr als einverstanden und so stand es am Ende auch im Urteil. Voraussetzung ist, dass die Frau eine stationäre Therapie antritt und durchzieht. Die soll ihre "posttraumatische Belastungsstörung" ebenso angehen wie ihr Alkoholproblem. "Nicht mitmachen ist keine Option", machte ihr die Richterin klar.
Die Frau hat eine "sehr, sehr schwere Vorgeschichte", sagte ihre Verteidigerin. Ihre Mutter war "Vollalkoholikerin". Als sie vier Jahre alt war, starb der Vater. Bis sie mit 13 in eine Pflegefamilie kam, erlebte sich bei der Mutter die Hölle, wurde eingesperrt. Dann folgten sehr schnell eine Beziehung und Kinder, was das Ende eine Ausbildung bedeutete.
Die Beziehung scheiterte, die Frau arbeitete in der Nacht, um am Tag Zeit für die Kinder zu haben. Dann eine neue, von Gewalt dominierte Beziehung. Dazu verheerende Wohnverhältnisse. Das Jugendamt nahm die Kinder aus der Familie. Und immer wieder die Ausbrüche. "Die Frau ist völlig am Ende und dann springt bei ihr ab und zu der Vogel raus", sagte die Bewährungshelferin über die Zeit vor etwa einem Jahr. "Dann trinkt sie, zu viel."
Mit 1,7 Promille auf die Polizei losgegangen
Die Folge ist das, was sie immer wieder vor Gericht bringt. Im konkreten Fall hat sie im August 2023 mit knapp 1,7 Promille im Blut nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Ex-Partner die Polizei gerufen. Kaum war die Streife vor Ort, erlebt die ihr blaues Wunder. Das fand sich in der Anklage als Widerstand gegen und Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung wieder.
Seit dem Vorfall hat sich offenbar einiges getan. Die Frau hat ihre Beziehung beendet. Sie lebt in einer vernünftigen Wohnung. Sie nimmt "trotz ihres ausgeprägten Misstrauens" endlich die Hilfe eines Psychiaters und der Suchthilfe an. Sie ist bereit für eine stationäre Therapie. Zudem steht die Einleitung einer Privatinsolvenz bevor, mit der die Frau ihre Schulden in Höhe von rund 40.000 Euro loswerden will. Dazu kommt, dass die Frau einen festen Arbeitsplatz hat und ihr Arbeitgeber trotz ihrer Geschichte hinter ihr steht.
"Sie scheinen auf einem guten Weg zu sein", fasste die Richterin zusammen. Der soll in einer therapeutischen Einrichtung und nicht im Knast weitergehen. Da waren sich alle einig.