Weil es sich um ein von der EU geschütztes Kulturgut (um nicht zu sagen: Heiligtum) handelt, sollte jedem, so nehmen wir mal an, die folgende Definition in Fleisch und Blut übergegangen sein: „Ein Bocksbeutel ist eine Flasche in angenäherter Form eines flach gedrückten Ellipsoids, deren Inhalt normalerweise 0,75 Liter (drei Schoppen ? 0,25 Liter) beträgt, für Weine aus dem Anbaugebiet Franken.“
Über dieses inhaltsschwere Behältnis und vor allem die umstrittene und teils skurrile Herkunft des Wortes wollen wir kein Seminar abhalten. Darüber gibt es schätzungsweise 5467 fundierte Abhandlungen, 7 57 56 67 Internetverweise und als letzte Autorität den Bocksbeutel-Papst Karl Schneider in Volkach. Dort könnten sich auch unsere Landsleute in Altbayern kundig machen und herausfinden, dass ein Bocksbeutel kein x-beliebiges Glasgefäß ist und dass vor allem in seinem Namen kein X was zu suchen hat. Denn dies könnte einem Franken missfallen, da in dieser vom Wein gesegneten Region Mensch, Land und Flaschenform eine Symbiose eingegangen sind. Diese unteilbare Dreiheit setzte sogar franken-untypische kämpferische Energien frei, nur um die typische Flaschenform für sich allein zu reklamieren. Jüngst bei einem Besuch in Regensburg zeigte sich, dass ein dortiger Gastronom einen ziemlichen Bock geschossen hat und in seinem Biergarten „Boxbeutel“ anbietet. Natürlich haben wir diese Kneipe wegen dieser Sprachpanscherei aus Protest gemieden. Sollen sie ihren „Boxbeutel“ doch selber leeren.
Aber auch Journalisten sollten wissen: Er hat nichts mit Boxen zu tun. Und Bocksbeutel bleibt Bocksbeutel trotz Rechtschreibreform und obwohl ein sexy „x“ in unseren XXXXL-Zeiten mehr hermacht als ein hartes „ck“ im Wort. Da hat auch die Süddeutsche Zeitung aus München Nachholbedarf. Vielleicht sollte sie sich in ihrer regelmäßigen Rubrik „Sprachlabor“, das sprachliche Irrläufer im eigenen Blatt unter die Lupe nimmt, einmal semiotisch oder sonst wie mit dem „ellipsoiden Gefäß“ aus Franken befassen. Den Oberbock schoss jüngst die AZ (Abendzeitung) ab. Das Mutterhaus steht in München, hat aber einen Ableger in Nürnberg – und das liegt bekanntlich in Franken. Deshalb berichtete sie geradezu hymnisch über „unseren Frankenwein“ anlässlich der Preisverleihung von „Best of Gold – die besten Weine Frankens“. Der Leser erfuhr nebenbei etwas über Michael Ballhaus. Denn dieser stieß nicht nur mit „unserer“ Weinhoheit Anna aus Großlangheim an, er hielt auch die Laudatio. Für den weltenbummelnden Star-Kameramann ist Frankenwein „ein Stück Heimat“.
Laut AZ hat Ballhaus sogar in New York „nahe seiner Wohnung am Broadway einen Laden ausfindig gemacht, in dem er seine Boxbeutel erwerben konnte“. Ist doch schön für ihn und schmeichelhaft für die fränkischen Winzer und Weinkenner. Trotzdem: sie lassen sich auch in globalisierten Trink- und Sprachwelten kein x für ein ck vormachen.