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Astheim: Wenn der Körper sich selbst vergiftet: Agnes leidet unter Porphyrie

Astheim

Wenn der Körper sich selbst vergiftet: Agnes leidet unter Porphyrie

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    Agnes Binzenhöfer aus Astheim leidet unter der seltenen Stoffwechselkrankheit Porphyrie. Seit sie drei Jahre alt ist, spielt sie Geige.
    Agnes Binzenhöfer aus Astheim leidet unter der seltenen Stoffwechselkrankheit Porphyrie. Seit sie drei Jahre alt ist, spielt sie Geige. Foto: Katharina Gebauer

    Draußen tobt das Leben, die Klassenkameraden feiern ihr Abitur, sind bereit die Welt zu erobern. Und Agnes Binzenhöfer? Sie liegt im Krankenhaus und schafft es nicht, den kleinen Finger zu heben. Ihre Diagnose: akut intermittierende Porphyrie. Eine seltene Stoffwechselkrankheit, bei der ein Enzym in der Leber nicht richtig arbeitet. Die Folge: Der Körper vergiftet sich selbst. 

    Vier Jahre ist das jetzt her. Langsam hat sich die junge Frau zurück ins Leben gekämpft, Träume dabei aufgegeben und viel über sich, ihren Körper, Familie und Freunde gelernt. Die häufigsten Symptome bei Porphyrie sind unbestimmt, passen zu vielen Krankheiten: Übelkeit, Bauchschmerzen oder Erbrechen. Deswegen ist die Dunkelziffer hoch, deswegen möchte die Astheimerin auf diese Krankheit, die in der Mehrheit Frauen betrifft, aufmerksam machen.

    Mai 2017: Agnes schreibt gerade das Abitur. Ihre Bauchschmerzen und die Übelkeit schiebt sie auf den Stress. Doch dann geht nichts mehr. Sie erbricht sich nur noch, selbst Wasser will sofort wieder aus dem Körper raus. Erst als ihre Mutter darauf beharrt, wird sie stationär im Krankenhaus aufgenommen. Schnell stellen die Ärzte fest, dass die heute 22-Jährige unter Zöliakie leidet. Das heißt, sie verträgt kein Gluten. Die Symptome passen, der Fall scheint geklärt. Aber trotz Nahrungsumstellung geht es der jungen Frau nicht besser, im Gegenteil. „Es ging mir immer schlechter und irgendwann konnte ich meinen Arm nicht mehr nach oben heben“, erinnert sich Agnes an diese Zeit. 

    Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden

    Schließlich der Tipp von einem befreundeten Ärzteehepaar. "Nur weil meine Mutter auf einen Urin-Test bestanden hat, wurde ich getestet", sagt Agnes immer noch schockiert. Endlich steht die Diagnose. Aber die Lähmungen sind vorangeschritten, haben auch die Atmung beeinflusst. Deswegen wird Agnes ins künstliche Koma versetzt. Die Ärzte wissen nicht, ob sie überleben wird. 

    Agnes lässt sich trotz einiger Einschränkungen nicht unterkriegen.  
    Agnes lässt sich trotz einiger Einschränkungen nicht unterkriegen.   Foto: Julia Lucia

    Doch Agnes gibt nicht auf. Medikamente helfen, der Körper baut langsam die Giftstoffe in der Leber ab. Geduld und Optimismus sind jetzt gefragt. Die zerstörten Nervenzellen müssen wieder nachwachsen und Kontakt zu den Muskeln aufbauen. Fünf Monate liegt sie in Würzburg in der Klinik. 

    Die Abi-Prüfung macht sie auf der Intensivstation

    Ihre Familie und ihre Freunde helfen in dieser schwierigen Zeit. "Es war eigentlich immer jemand da", erinnert sie sich. Sie möchte sich gar nicht vorstellen, in der Corona-Zeit im Krankenhaus zu liegen. "Das hätte ich nicht ausgehalten", sagt die Studentin. Im Krankenhaus legt sie die mündlichen Abiturprüfungen ab und das, obwohl sie nach der Beatmung erst wieder das Sprechen lernen musste. Nicht mal ihre geliebte Geige kann Agnes halten, so schwach ist sie. "Ich habe es gerade geschafft, an einer Saite zu zupfen", sagt sie.

    Nach dem Krankenhausaufenthalt schließt sich eine siebenmonatige Reha am Bodensee an – weit weg von zu Hause, aber dafür unter Jugendlichen. Besuch aus Franken kommt trotzdem regelmäßig. "Meine Mama hat einen Besuchsplan aufgestellt", erzählt Agnes lachend. Am Anfang der Reha sitzt sie im Rollstuhl und muss ihre komplett geschwächten Muskeln trainieren. Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie bestimmen ihren Tagesablauf. Trinken, Zähneputzen, Laufen – Schritt für Schritt und mit ungeheurer positiver Energie kämpft sich Agnes ins Leben zurück. Im April 2018 ist es soweit: Sie darf endlich wieder nach Hause.

    Doch nicht lange und sie erleidet einen Rückfall, wird von schlimmer Übelkeit gequält. "Egal was ich gegessen oder getrunken habe, alles kam wieder raus", sagt sie. "Die Lebensqualität war gleich null." Im Juni muss Agnes zurück ins Krankenhaus. Weil sich ihr Zustand auch dort nicht bessert, wird sie nach Chemnitz verlegt, wo es ein Porphyrie-Zentrum gibt. Schon während der Reha war sie einmal dort gewesen. Dort schlägt der Porphyrie-Spezialist Agnes für eine Medikamenten-Studie vor. Bereits nach kurzer Zeit lässt die Übelkeit nach, Agnes hat sich ein weiteres Mal zurückgekämpft. "Gott sei Dank bin ich nicht in die Placebo-Gruppe gekommen", sagt Agnes und lächelt. 

    Den Traum vom Musikstudium muss sie aufgeben

    Seitdem geht es bergauf. Mittlerweile studiert sie in Würzburg Grundschullehramt – mit Musik als Didaktik-Fach. Den Traum vom Musikstudium hat sie aufgeben müssen. Leider. „Ich habe nicht mehr die Ausdauer, so lange am Tag zu üben", sagt Agnes. "Es nimmt mir zu viel Kraft." Sie spielt Geige, seit sie drei Jahre alt ist. 

    Doch die Astheimerin lässt sich nicht unterkriegen und macht das Beste aus der Situation. Nie hat sie sich gefragt: warum ich? "Sich solche Gedanken zu machen raubt unheimlich Energie“, sagt Agnes, die immer noch ihre Muskeln trainieren muss. Sie steckt diese Energie lieber in ihre Genesung und kann ihrer Krankheit auch etwas Positives abgewinnen. "Ich bin viel sensibler für die kleinen Dinge im Leben geworden. Ich freue mich, dass ich alleine atmen, duschen und laufen kann, dass ich meine Geige spielen kann", sagt sie und wirkt glücklich. Und wenn das Leben nach Corona wieder tobt, ist auch wieder Agnes dabei.

    Die Stoffwechselkrankheit PorphyrieKrankheit und Symptome: Bei den akuten Porphyrien handelt es sich um angeborene Stoffwechselerkrankungen, bei denen die körpereigene Herstellung des roten Blutfarbstoffes Häm aufgrund von Defekten in bestimmten Eiweißen (sog. Enzymen) gestört ist. Häm ist Bestandteil des Hämoglobins, das den Sauerstoff im Blut transportiert. Auch in der Muskulatur transportiert es als Bestandteil des roten Muskelfarbstoffs Myoglobin Sauerstoff. Häm ist außerdem Bestandteil wichtiger Proteine des Energiestoffwechsels und bestimmter Enzyme, die beim Abbau von Medikamenten eine wichtige Rolle spielen.In bestimmten Situationen, zum Beispiel bei der Einnahme gewisser Medikamente, bei Alkoholgenuss, hormonellen Veränderungen, Stress oder Infekten, benötigt der Körper mehr Häm und kurbelt dessen Bildung an. Durch den Defekt der Enzyme kommt es jedoch nicht zur gewünschten vermehrten Bildung des Häms. Vielmehr häufen sich nicht verwendbare Häm-Vorstufen im Körper, die ins Blut übertreten und verschiedene akute Beschwerden (Symptome) wie krampfartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Blutdruckanstieg, Lähmungserscheinungen, Herzrasen und Verwirrtheitszustände hervorrufen. Diese Symptome werden als Porphyrieschub zusammengefasst.Häufigkeit: In Europa erkrankt etwa eine Person pro 75 000 Einwohner an einem akuten Porphyrieschub. Frauen haben ein etwa dreifach höheres Risiko, einen Schub zu erleiden.Betroffene: In der Regel treten Porphyrieschübe im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf. Die meisten Patienten erleiden während ihres Lebens nur sehr wenige Schübe und erholen sich fast vollständig. Eine kleine Zahl von Patienten, insbesondere junge Frauen, leiden unter wiederkehrenden Schüben, die regelmäßig alle drei bis vier Wochen auftreten und im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus stehen. Behandlung: Die allermeisten Patienten mit akuter Porphyrie können ein normales Leben führen, wenn sie auf auslösende Faktoren verzichten. Zudem gibt es Medikamente und Therapien. Ursache: Akute Porphyrien sind angeboren und haben genetische Ursachen. Porphyrie-Patienten können daher die Veranlagung vererben. Allerdings hat nicht jeder Betroffene Beschwerden, der die genetische Anlage für eine akute Porphyrie besitzt.Hilfe: Mittlerweile gibt es auch am Universitätsklinikum Würzburg einen Ansprechpartner für Porphyrie: Oberarzt Dr. Ulrich Dischinger. Hilfreiche Informationen gibt es hier:Living with porphyriaSelbsthilfeverein Berliner LeberringSelbsthilfegruppe akute PorphyrieQuelle: akuteporphyrie.de

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