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Landkreis Kitzingen: Gewalt in der Kita: 5 Erzieherinnen sprechen über Grenzerfahrungen und über Kinder, die nach Hilfe schreien

Landkreis Kitzingen

Gewalt in der Kita: 5 Erzieherinnen sprechen über Grenzerfahrungen und über Kinder, die nach Hilfe schreien

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    Symbolische Zeichnung: Wo beginnt im Kindergarten die Grenze zur Gewalt und wie gehen Erzieherinnen im Alltag mit schwierigen Situationen um?
    Symbolische Zeichnung: Wo beginnt im Kindergarten die Grenze zur Gewalt und wie gehen Erzieherinnen im Alltag mit schwierigen Situationen um? Foto: Ivana Biscan

    Ein Kind, das zu seinem eigenen Schutz festgehalten werden muss und dann behauptet, die Erzieherin hätte es geschlagen. Eine Erzieherin, die sich nach einer alltäglichen Situation schon fragt, ob sie sich übergriffig verhalten hat. Und eine junge Mitarbeiterin, die fälschlicherweise beschuldigt wurde. All das haben Erzieherinnen in verschiedenen Kindertageseinrichtungen erlebt.

    Nach der Freistellung von drei Mitarbeiterinnen des katholischen Kindergartens in Willanzheim wegen Gewaltvorwürfen hat diese Redaktion fünf Erzieherinnen von ihrem Alltag erzählen lassen und wissen wollen: Wo ist die Grenze zur Gewalt bei ihrer Arbeit mit den Kindern? Wie schnell ist sie überschritten? Und was tun sie, um gar nicht erst in die Nähe des roten Bereichs zu kommen?

    Zu ihrem Schutz werden die Namen der fünf Frauen nicht genannt, sie sind aber der Redaktion bekannt. Alle arbeiten in Kindertageseinrichtungen im Landkreis Kitzingen. Und eines betont jede im Gespräch: Der Rückhalt des Teams, der Leitung und des Trägers ist bei der täglichen Arbeit von entscheidender Bedeutung.

    "Unsere tägliche Arbeit ist oft eine ziemliche Gratwanderung"

    Erzieherin, 58, arbeitet seit 40 Jahren in dem Beruf: "Wir haben uns auch unter Kolleginnen über die Anschuldigungen in Willanzheim unterhalten und wir sind uns alle darüber bewusst, dass unsere tägliche Arbeit oft eine ziemliche Gratwanderung ist. Du hast immer mal Kinder, die abhauen und Du musst sie irgendwie bei Dir halten. Ein konkretes Beispiel: Wir hatten vor einiger Zeit ein sehr schwieriges Kind, das hat mit Stühlen und Steinen geworfen. Den Jungen musstest Du teilweise festhalten zum Schutz der anderen Kinder und zu seinem und unserem eigenen Schutz.

    Die beschuldigten Mitarbeiterinnen im Fall Willanzheim will ich auf keinen Fall vorverurteilen, weil man schnell in eine solche Situation kommen kann. Wenn man ständig unterbesetzt ist und auf dem Zahnfleisch daherkriecht, wird man vielleicht schneller laut. Wichtig ist dann, sich nur auf die Kinder zu konzentrieren. Das ging mir neulich so, als ich allein in der Gruppe war mit 19 Kindern. Da habe ich mir einfach keinen Druck gemacht und wir hatten einen richtig schönen Tag."

    "Vor allem aber kommt es ganz, ganz viel aufs Team an"

    Ihre jüngere Kollegin, 29, arbeitet seit gut zehn Jahren als Erzieherin: "Den Jungen, von dem auch meine Kollegin gesprochen hat, musste ich zum Fenster hereinziehen unter den Armen, weil er sonst herausgesprungen wäre. Er hat sich danach auf den Boden geworfen und behauptet, ich hätte ihn geschlagen und das würde er seiner Oma sagen. Ich wusste, die Oma glaubt mir, dass ich das nicht getan habe. Vor allem aber kommt es ganz, ganz viel aufs Team an. Ich wusste, ich habe die Unterstützung von meinen Kolleginnen. Die können mich einschätzen, kennen die Situationen und können im Zweifelsfall für mich sprechen. Oft stehen wir nach solchen Situationen noch zusammen und sprechen darüber, was das mit uns gemacht hat.

    Mir ist es einmal passiert, dass ich falsch beschuldigt wurde. Eine Mutter hat sich beschwert, weil sie meinte, ich habe mich einem anderen Kind gegenüber falsch verhalten. Das war in der Abholsituation und ich war alleine. Meine Arbeitgeberin hat mir dafür, wie von der Mutter verlangt, eine Abmahnung geschrieben und gesagt, sie wolle damit nach außen demonstrieren, dass sie die Sorgen der Eltern ernst nimmt. Für mich war diese Ungerechtigkeit richtig schlimm. Ich habe tagelang geweint und mich gefragt, was jetzt die Eltern von mir denken."

    "Entscheidend ist, dass man sich gegenseitig vertraut"

    Erzieherin, Mitte 20, arbeitet seit acht Jahren in Kitas: "Manchmal sehen Eltern nur eine kurze Sequenz und die reicht für viele dann aus für ein negatives Bild. Dabei frage ich mich oft: War das jetzt gut, wie ich mich verhalten habe? Und der Austausch in meinem Team tut mir total gut und zu fragen: Was hättest Du in der Situation anders gemacht? Entscheidend ist, dass man sich gegenseitig vertraut. Und die Frage ist, wie man mit Stress umgeht. Das hatten wir vor kurzem: Wir waren nur zu zweit in der Gruppe, wir wollten etwas für Muttertag vorbereiten und waren gestresst. Die Kinder ließen sich davon anstecken und sollten funktionieren. Aber Kinder müssen nicht funktionieren!"

    "Letztendlich schreit ein Kind um Hilfe, wenn es ausflippt"

    Erzieherin, 53, seit 36 Jahren im Beruf: "Letztendlich schreit ein Kind um Hilfe, wenn es ausflippt. Man muss immer sehen: Das Kind handelt nicht gegen mich, sondern für sich. Das zu wissen, hilft mir. Und falls es doch mal eine Situation gibt, in der man ein Kind festhalten muss, ist es wichtig, dass man das gut dokumentiert und mit den Eltern kommuniziert. Drastischere Vorfälle melden wir an die Aufsichtsbehörde. Wenn ich ohne Angst einer Mutter rückmelden kann, was heute vorgefallen ist und wie ich darauf reagiert habe, ist das für mich im grünen Bereich. Wenn ich aber schon merke, ich habe Magenschmerzen, ihr das erzählen zu müssen, ist es für mich schon gelb-orange. Den roten Bereich hatte ich noch nie, aber das wäre zum Beispiel ein Kind zu packen und zu schütteln.

    Ganz toll finde ich, wenn eine Kollegin sagen kann, dass jemand übernehmen soll, weil sie nicht weiterkommt und die Situation eskalieren könnte. Die höchste Kunst ist, das selbst zu spüren und sagen zu können, ohne Angst. Und es muss personell natürlich auch möglich sein, sich Unterstützung zu holen. Ansonsten muss man sich schon fragen, was dieser Personalmangel in den Kitas auch mit den Mitarbeiterinnen macht."

    "Ich frage mich: War das richtig oder bereits übergriffig?"

    46-jährige Erzieherin, die seit 24 Jahren in Kindergärten arbeitet: "Ein konkretes Beispiel: Wie jeden Morgen kommt eine Mutter mit ihren zwei Kindern in den Kindergarten. Wie jeden Morgen möchten sich beide Kinder nicht von ihrer Mutter trennen. Die Mutter hat es eilig, sie muss zur Arbeit. Ich weiß, dass beide gerne in den Kindergarten gehen. Also nehme ich den Jüngeren mit kurzem Blickkontakt und dem Okay der Mutter weg und gehe mit ihm in die Garderobe. Da lacht er schon wieder, aber ich frage mich: War das richtig oder bereits übergriffig? Hätte ich es mit mehr Zeit und Geduld anders lösen können?

    Doch schon werden die nächsten Kinder gebracht und Eltern suchen den Kontakt zu mir, um Infos weiterzugeben oder Fragen zu klären. Zwei Tage zerbreche ich mir über diese im Kindergarten alltägliche Situation den Kopf, bis ich die Möglichkeit habe, mit der Mutter zu reden. Sie sei froh gewesen, dass ich ihr geholfen habe."

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