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Kitzingen: Wurden Mieter rechtswidrig abkassiert? Kitzinger Bau GmbH steht wegen Nebenkosten-Abrechnung schwer in der Kritik

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Wurden Mieter rechtswidrig abkassiert? Kitzinger Bau GmbH steht wegen Nebenkosten-Abrechnung schwer in der Kritik

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    Das neueste Prestigeprojekt der Kitzinger Bau GmbH: In der Siedlung entlang der B 8 entstanden gerade 59 Sozialwohnungen und ein Ärztehaus.
    Das neueste Prestigeprojekt der Kitzinger Bau GmbH: In der Siedlung entlang der B 8 entstanden gerade 59 Sozialwohnungen und ein Ärztehaus. Foto: Eike Lenz

    Kurt Stöhr ist ein Kind der Kitzinger Siedlung. 1957 wurde er in der Memellandstraße geboren, 1964 zog er mit vier Geschwistern in die Liegnitzerstraße, 1983 richtete er sich mit Frau und zwei Söhnen in einem Neubau am Kleistplatz ein. 82,47 Quadratmeter, drei Zimmer, Zentralheizung, Balkon. "Wohnt sich gut hier", sagt Stöhr. Nie habe es Ärger mit der Vermieterin gegeben. Dann kam im November 2020 die Nebenkostenrechnung für den Winter 2019/20. Damit ging der Ärger los.

    Rebecca Hick ist eine umtriebige, quirlige Frau. Oft wirkt sie gehetzt, mitunter gerade so, als sei sie auf der Flucht. Zeit ist Geld – der Spruch könnte von ihr stammen. Beim Vorstellungsgespräch im Kitzinger Rathaus, so hört man von Teilnehmern, habe sie den besten Eindruck aller Bewerberinnen und Bewerber gemacht. Hick, eine diplomierte Bankbetriebswirtin und Sachverständige, kennt sich aus in der Wohnungswirtschaft.

    Sie leitete die Immobilienverwaltung der Kreis-Baugesellschaft Alb-Donau-Kreis. Aber sie gilt auch als eigenwillig. Ihre Welt ist die der Zahlen. Hick ist entschlossen, auch die Kitzinger Bau GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Stadt, mit ihren mehr als 500 Wohnungen auf Effizienz und Rentabilität zu trimmen. Im Januar 2019 hat Hick den Posten der Geschäftsführerin übernommen.

    Geschäftsführerin Rebecca Hick (rechts) zeigt bei einem Tag der offenen Tür Mitte September die neuen Sozialwohnungen der Bau GmbH.
    Geschäftsführerin Rebecca Hick (rechts) zeigt bei einem Tag der offenen Tür Mitte September die neuen Sozialwohnungen der Bau GmbH. Foto: Eike Lenz

    Vielleicht hätten sich die Wege von Kurt Stöhr und Rebecca Hick nie gekreuzt. Stöhr wohnt gerne in der Siedlung, in einem Mehrparteienhaus der Bau GmbH. Viel Grün, Bäcker und Supermarkt ganz in der Nähe – kein Grund zu klagen also. Und Hick? Hat sich nicht nur um die Belange und Befindlichkeiten von 514 Mietparteien zu kümmern, sondern auch um Hallenbad, Freibad, die Parkhäuser und den Hafen, kurz: um die Kitzinger Stadtbetriebe. Keine Zeit also, sich in endlosem Gezänk zu verlieren. Als Ende 2020 die Sache mit den Nebenkosten aufschlägt, fährt Stöhr daheim seinen Computer hoch und setzt einen Brief an die Bau GmbH und deren Chefin auf. So kommen Hick und Stöhr in Kontakt.

    Auf sein Schreiben hin hört Stöhr zunächst nichts von der Bau GmbH, auch nicht nach einem zweiten und dritten Brief. So ergeht es neben Stöhr zahlreichen anderen Mietern, mit denen die Redaktion gesprochen hat. Hick, die mit Mahnschreiben an säumige Mieter in der Regel schnell bei der Hand ist, antwortet auf Eingaben oder Anfragen oft verspätet oder gar nicht – nicht einmal jenen, denen sie und ihr Unternehmen zu umfangreicher Rechenschaft verpflichtet sind.

    Im Aufsichtsrat stößt man sich am autoritären Auftreten der Geschäftsführerin

    Der Aufsichtsrat der Bau GmbH ist ein eher verschlossener Zirkel. Zwölf Mitglieder gehören ihm an, ausschließlich Stadträtinnen und Stadträte, dazu der Oberbürgermeister, der dem Kontrollgremium qua Amt vorsitzt. Drei- bis viermal im Jahr trifft sich der Aufsichtsrat zu seinen Sitzungen – nichtöffentlich. Spricht man mit Mitgliedern des Gremiums, loben sie einerseits Hicks Kompetenz und Strukturiertheit. Sie wisse, von was sie rede. Andererseits stört man sich an ihrem robusten, zum Teil autoritären Auftreten. Stur und beratungsresistent sei sie, heißt es. Genau wie den Mietern stößt sie auch gestandenen Stadträten vor den Kopf, wenn die aus ihrer Sicht unbequeme Fragen stellen oder einfach nur gezielt nachbohren.

    Lange Zeit griffen Kurt Stöhr und seine Mitbewohner am Kleistplatz selbst zu Schaufel und Streusalz. Dann änderte die Bau GmbH diese Praxis.
    Lange Zeit griffen Kurt Stöhr und seine Mitbewohner am Kleistplatz selbst zu Schaufel und Streusalz. Dann änderte die Bau GmbH diese Praxis. Foto: Ralf Dieter

    Kritik – ob berechtigt oder unberechtigt – werde in der Regel abgebügelt. So hat sich in den Sitzungen eine Kultur des Misstrauens entwickelt, die ein konstruktives Miteinander kaum zulässt. "Will man etwas geprüft haben, muss man schon explizit darauf bestehen", beschreibt es ein Mitglied. Und ein anderes: "Sie tritt so dominant auf, dass viele sich gar nicht trauen, etwas zu sagen. Alles wird weggedrückt mit der Aussage, man könne da sowieso nichts machen." Das Schlimmste sei, dass es bei der Stadt keinerlei Instanz gebe, die unabhängig prüfe, was bei der Bau GmbH vor sich geht.

    Hick hat eine andere Wahrnehmung. "Die Atmosphäre ist von gegenseitigem Respekt geprägt. Die Zusammenarbeit ist konstruktiv", teilt sie auf Nachfrage mit. Zur Kritik an ihrer Person und zum Inhalt von Gesprächen und Diskussionen im Aufsichtsrat schweigt sie. Die Sitzungen des Gremiums seien nichtöffentlich, daran halte sie sich.

    Mit der Winterdienst-Rechnung wurden viele Mieter eiskalt erwischt

    Meist geht es bei diesen Treffen darum, Zahlen abzusegnen. Um Details aus Mietverträgen geht es selten bis gar nicht. Der Ärger um den Winterdienst etwa wurde eher beiläufig besprochen. Dabei birgt das Thema so viel Sprengkraft, dass es den Verantwortlichen jetzt um die Ohren fliegen könnte. Lange hatten sich die Mieter im Winter selbst um die Beseitigung von Schnee und Eis gekümmert – so war und ist es teils bis heute in ihren Verträgen geregelt. Doch dann wurde der Bau GmbH die Sache zu heikel. "Vor Vergabe der Arbeiten häuften sich die Unfälle, so dass es nur zwei Alternativen gab: entweder die Fremdvergabe oder die deutliche Erhöhung der Eigentümerhaftpflicht", heißt es auf Anfrage.

    Etliche Mieter, mit denen die Redaktion sprach, sehen das als Vorwand. An Unfälle, an eine "Häufung" gar, können sie sich nicht erinnern. 2014 stellte die Bau GmbH für den Winterdienst erstmals eine Firma an, die Kosten fielen in den Nebenkostenabrechnungen kaum auf. Viele Mieter nahmen sie klaglos hin. Das änderte sich 2019, als man Winterdienst und Gartenpflege neu vergab – an nur noch eine Firma. Das, so stellt es die Bau GmbH noch heute dar, sei "am wirtschaftlichsten".

    Der Anwalt einer Mieterin wirft der Bau GmbH "Unwirtschaftlichkeit" vor

    Kurt Stöhr kann über diese Aussage nur lächeln. Bis 2014 zahlte er für den Winterdienst nichts, dann waren es mal 39,66 Euro, mal 56,99 Euro jährlich. 2019 sollte er plötzlich 216,25 Euro bezahlen. Anderen Mietern erging es genauso. Marlies Liska wohnt in der Breslauer Straße, auch ihre Wohnung gehört der Kitzinger Bau GmbH. Bis 2019 zahlte der gesamte Block für den Winterdienst 522,01 Euro, danach waren es 2261,16 Euro. Für 2021 fordert die Bau GmbH sogar 3014,88 Euro. Fast sechsmal so viel wie 2019.

    Wie kann das sein?

    Marlies Liska weigert sich zu zahlen und lässt sich mittlerweile juristisch vertreten. Ihr Anwalt Klaus Krug aus Würzburg hat der Bau GmbH Mitte September einen Brief geschrieben, in dem er der Bau GmbH "Unwirtschaftlichkeit" vorwirft. Dies werde man "spätestens vor Gericht" durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beweisen. Denn im berechneten Zeitraum habe es so gut wie nicht geschneit.

    Die Kitzinger Baugesellschaft in der Würzburger Straße: Seit drei Jahren sieht sie sich massivem Ärger über Nebenkosten-Abrechnungen ausgesetzt. 
    Die Kitzinger Baugesellschaft in der Würzburger Straße: Seit drei Jahren sieht sie sich massivem Ärger über Nebenkosten-Abrechnungen ausgesetzt.  Foto: Eike Lenz

    Es ist nicht der einzige Punkt, mit dem sich die Bau GmbH rechtlich auf ganz dünnem Eis bewegt. Denn als Vermieterin kann sie den Winterdienst nicht einfach extern vergeben, wenn dies jahrzehntelang anders gehandhabt war. Dazu braucht es in den Mietverträgen eine sogenannte Öffnungsklausel. Sie erlaubt es, neu entstandene Betriebskosten, in diesem Fall den Winterdienst, auf die Mieter umzulegen. Auch die Bau GmbH beruft sich auf diese Klausel, die in den neueren Mietverträgen enthalten ist.

    Die Redaktion hat aber allein etwa ein Dutzend älterer Verträge eingesehen, in denen die Klausel fehlt. In diesem Fall müssten alle Mieter einer Vertragsänderung zustimmen. Um wie viele solcher Altverträge es geht, lässt sich nicht sagen. Einer Überprüfung müssen nicht nur die 514 Mietverhältnisse der Bau GmbH standhalten, sondern auch die 196 Mietverhältnisse der Stadt, die von der Bau GmbH mitverwaltet werden. Laut Baugesellschaft geht es um jährliche Kosten von 40.000 Euro, nach Recherchen der Redaktion eher um 70.000 Euro.

    ""Es kann doch nicht sein, dass wir im Jahr fast genauso viel für den Winterdienst bezahlen sollen wie für die Gartenpflege."

    Mieter der Bau GmbH am Kitzinger Kleistplatz

    Selbst in den rechtlich zulässigen Fällen muss der Vermieter die neuen Betriebskosten ankündigen. So schreibt es der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil von 2004 vor. Laut Bau GmbH ist dies vor der Vergabe des Winterdienstes schriftlich geschehen. Beweispflichtig für den Zugang dieser Information ist nach dem BGH-Entscheid der Vermieter. Der Redaktion liegen auch hier etwa ein Dutzend Aussagen von Mietern vor, dass sie diese Mitteilung nicht erhalten haben.

    Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Urteil des Amtsgerichts Dortmund. Es gab 2011 einem Mieter recht, der sich geweigert hatte, den von einem externen Dienstleister ausgeführten Winterdienst zu bezahlen. Auch hier berief sich der Vermieter darauf, dass nur so garantiert sei, dass der Winterdienst stets und ausnahmslos zu den richtigen Zeiten erledigt werde. Dem Gericht fehlten jedoch die für eine Vertragsänderung nötigen "erheblichen Gründe". Wie in Kitzingen hatten die Mieter bis dahin selbst zu Schaufel und Streusalz gegriffen und die Wege bei Eis und Schnee zuverlässig geräumt.

    Vergessen scheint bei alldem, dass die Bau GmbH laut Gesetz auch bei Vergabe an einen professionellen Dienstleister verpflichtet ist, die Arbeiten zu kontrollieren. Geschieht auf Glatteis ein Unfall, muss sie beweisen, dass sie ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen ist – genau, wie es zuvor mit den Mietern geregelt war.

    Gebäude der Bau GmbH in der Inneren Sulzfelder Straße: Insgesamt 514 Wohnungen hat die Kitzinger Baugesellschaft im Bestand.
    Gebäude der Bau GmbH in der Inneren Sulzfelder Straße: Insgesamt 514 Wohnungen hat die Kitzinger Baugesellschaft im Bestand. Foto: Eike Lenz

    Wie Marlies Liska in der Breslauer Straße ärgern sich auch die Mieter am Kleistplatz über die wuchernden Winterdienstkosten. Für 2021 liegt der Redaktion die Auflistung einer Mieterin vor, die minutiös die Arbeiten dokumentiert hat: Montag, 11.1.: Schneeschieben circa 10 Minuten und salzen. Dienstag, 12.1.: Salz streuen, 5 Minuten. Montag, 8.2.: Schneeschieben 10 Minuten. Und so weiter. Insgesamt geht es um zehn Einsatztage und um eine Arbeitszeit von zusammengerechnet etwa 70 Minuten. Dafür sollen die Mieter insgesamt 2580,41 Euro bezahlen – ein Stundenlohn von 2211,78 Euro.

    Als Kurt Stöhr sich bei der Bau GmbH beschwert, heißt es, der Winterdienst könne "auf zwei Arten vertraglich vereinbart werden". Erstens über Einsatzpauschalen, die für Mieter mit einem "sehr hohen Risiko" verbunden seien. Denn in Wintern mit viel Eis und Schnee würden die Kosten "exorbitant" steigen. Oder zweitens über eine Winterdienstpauschale. Hier setze das beauftragte Unternehmen einen jährlichen Fixbetrag an und trage somit das Risiko selbst.

    Sind bei der Nebenkostenabrechnung nicht stets die Mieter die Dummen?

    Die Frage, die sich nicht nur Kurt Stöhr stellt, ist: Bei wem liegt in mitteleuropäischen Wintern, die durch den Klimawandel immer wärmer werden, nun das größere Risiko? Anders gefragt: Sind nach den Erfahrungen der jüngsten drei Winter nicht stets die Mieter die Dummen? Am Kleistplatz sehen sie es so. "Es kann doch nicht sein, dass wir im Jahr fast genauso viel für den Winterdienst bezahlen sollen wie für die Gartenpflege." 2580,41 Euro zu 3006,73 Euro.

    Im Sommer hat die Bau GmbH alle Mieterinnen und Mieter zu Informationsversammlungen eingeladen. Rebecca Hick rechtfertigte die bestehende Abrechnungspraxis und ging dann rasch über das Thema hinweg, wie Teilnehmer berichten. Im Aufsichtsrat, so heißt es, versuche Oberbürgermeister Stefan Güntner stets, Hick aus der Schusslinie zu nehmen. Fragt man beim OB nach, dann lässt er keinen Zweifel an Hicks Integrität – und, ja, er vertraue seiner Geschäftsführerin. Sie trage die "Verantwortung dafür, dass alles ordnungsgemäß läuft".

    Aber auch Güntner muss einräumen, dass die Beschwerden über die Bau GmbH und ihre Geschäftsführerin seit seinem Amtsantritt im Mai 2020 nicht abreißen. Er, so sagt man, höre sich im Gegensatz zu Hick die Sorgen und Nöte der Mieter wenigstens an. Als Jurist wird er jetzt nicht umhinkommen, die Vorgänge um die Abrechnungspraxis der Bau GmbH, intensiv prüfen zu lassen.

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