Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kitzingen
Icon Pfeil nach unten

Volkach: Zwei Hausärztinnen auf dem Land: Die Realität zwischen Wirtschaftlichkeit und Work-Life-Balance

Volkach

Zwei Hausärztinnen auf dem Land: Die Realität zwischen Wirtschaftlichkeit und Work-Life-Balance

    • |
    • |
    Dr. Verena Becker (links) ist Allgemeinärztin in Volkach und betreibt wie Dr. Christine Heinemeyer in Nordheim am Main ihre eigene Hausarztpraxis.
    Dr. Verena Becker (links) ist Allgemeinärztin in Volkach und betreibt wie Dr. Christine Heinemeyer in Nordheim am Main ihre eigene Hausarztpraxis. Foto: Christine Haupt

    Die Landärztin hat die lederner Arzttasche gepackt, steigt in den Gelände-Jeep und braust vorbei an blühenden Rapsfeldern zum Hausbesuch ins hinterste Dörfchen. Dieses idyllische Narrativ findet man zuhauf in deutschen Vorabendserien. Doch wie sieht die Realität in den Hausarztpraxen im Landkreis Kitzingen aus? Und wer will heutzutage überhaupt noch als selbstständiger Hausarzt arbeiten?

    Wenn Dr. Christine Heinemeyer morgens ihre Praxis in Nordheim am Main betritt, ist sie meistens die Erste vor Ort und noch vor ihren Mitarbeiterinnen da. Seit über 35 Jahren arbeitet die gebürtige Bremerin schon als Allgemeinärztin auf dem Land und bietet dabei das volle Programm: Ihre Patienten erstrecken sich vom Säuglings- bis hin zum Greisenalter. In manchen Familien ist sie bereits für die fünfte Generation die Hausärztin des Vertrauens. Dabei hat sich ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten stark verändert.

    Check-Ups in der Arztpraxis sind heute gefragter denn je

    Das Thema Gesundheitsvorsorge habe Anfang der 1990er-Jahre bei den Patienten noch nicht so hoch im Kurs gestanden wie heute, weiß Heinemeyer. Aufgrund der geringen Facharzt-Dichte konnten die Hausärzte auch nicht standardmäßig zum Kardiologen oder Pneumologen überweisen. Doch mit steigendem Gesundheitsbewusstsein und einer höheren Rate an niedergelassenen Fachärzten sei der Sinn nach "Lieber noch einmal abchecken lassen" gängige Praxis geworden.

    Dr. Christine Heinemeyer aus Nordheim am Main ist seit über 35 Jahre als Hausärztin auf dem Land tätig und behandelt Patienten vom Säuglings- bis ins hohe Greisenalter.
    Dr. Christine Heinemeyer aus Nordheim am Main ist seit über 35 Jahre als Hausärztin auf dem Land tätig und behandelt Patienten vom Säuglings- bis ins hohe Greisenalter. Foto: Christine Haupt

    Mittlerweile sind Fachärzte so stark besucht, dass lange Wartezeiten an der Tagesordnung sind und längst nicht alle Patienten überhaupt einen Termin bekommen. Diese Facharzt-Welle schwappt nun auf die Hausärzte zurück. Denn wer eine Untersuchung beim Spezialisten ergattern konnte, steht nicht selten trotzdem wieder in Nordheim auf der Matte.

    Die Inhalte der Facharzt-Befunde verstehen nur die wenigstens Laien, sagt die Ärztin: "Ich kann als Hausarzt meine Patienten ja nicht wegschicken. Und so werde ich zum ,Lehrer für Medizin‘, übersetze den Befund und erkläre die nächsten Schritte. Aber das braucht alles seine Zeit."

    "Work-Life-Balance? Den Begriff kennen wir doch gar nicht."

    Christine Heinemeyer, Allgemeinärztin in Nordheim am Main

    Zeit, die sich Christine Heinemeyer nimmt. Die meisten Patienten behandelt sie in ihrer Praxis, regelmäßig macht sie Hausbesuche in zwei Seniorenstiften. Ihr Arbeitstag beginnt um sieben Uhr und dauert nicht selten elf bis dreizehn Stunden. Dieses Arbeitspensum schultert sie gerne, sie kommt aus der fleißigen Generation der Babyboomer: "Work-Life-Balance? Den Begriff kennen wir doch gar nicht."

    Kinder hat Heinemeyer trotzdem bekommen. Doch nur, weil sie ihre Arzt-Laufbahn in der gemeinsamen Praxis mit ihrem damaligen Ehemann begann, konnte sie Kinderwunsch und Karriere überhaupt miteinander vereinbaren. Kurz nach dem Studium musste sie erst einmal mit dem ersten Kind zu Hause bleiben: Oma vor Ort oder Krippen-Platz – Fehlanzeige. Sie bezweifelt, dass sich die Arbeit als selbstständige Ärztin mit dem Wunsch nach Familie vereinbaren lässt – zumindest nicht in jungen Jahren.

    Der Vater hat die Praxis an die beiden Töchter übergeben

    Dass es möglich ist, beweist Dr. Verena Becker aus Volkach. Die 40-jährige Allgemeinärztin ist Mutter von drei Kindern und leitet zusammen mit ihrer Schwester eine Hausarzt-Praxis in ihrer Heimatstadt. Mitte 30 war sie erst, als der Vater sich zur Ruhe setzte und die Praxis in die Hände seiner Töchter übergab. Der Patienten-Stamm ist seitdem sogar noch gewachsen, da in den vergangenen Jahren immer wieder Kollegen ohne Nachfolger in den Ruhestand gingen, deren Patienten dann von ihrer Praxis aufgefangen wurden.

    Dr. Verena Becker hat mit Mitte 30 die Praxis ihres Vaters übernommen und den Sprung in die Selbstständigkeit als Ärztin gewagt.
    Dr. Verena Becker hat mit Mitte 30 die Praxis ihres Vaters übernommen und den Sprung in die Selbstständigkeit als Ärztin gewagt. Foto: Christine Haupt

    Angst vor der Verantwortung hatte Verena Becker nie. Gesundheits-Ökonomie sei ein Bereich der Selbstständigkeit, den man mögen muss, sagt sie selbst. Doch wer sich als Arzt in das deutsche Gesundheitssystem einlese, brauche sich um die Wirtschaftlichkeit seiner Praxis keine Sorgen machen – auch ohne "IGeL"-Leistungen. Diese "Individuellen Gesundheitsleistungen" zahlen Patienten privat und können nicht mit der Krankenkasse abgerechnet werden.

    Das Hausarzt-Modell ist kompliziert, aber lukrativer

    Gerade ältere Kollegen stöhnten über die riesige Abrechnungslandschaft, sagt Becker. Sich via Hausarzt-Modell von der Krankenkasse vergüten zu lassen, sei kompliziert, weil es mit jeder Versicherung Individual-Verträge gibt – unterm Strich aber lukrativer. Allein schon, weil der Patient langfristig an die Praxis gebunden wird. Einfacher, aber auch weniger profitabel, sei da die Standard-Abrechnung mit der Krankenkasse. Doch hier sind die Sätze laut der Ärztin seit vielen Jahren nicht mehr angepasst worden.

    "Selbst meine Still-Pausen konnte ich problemlos in meinen Arbeitstag integrieren."

    Verena Becker, Allgemeinärztin in Volkach

    Ein gutes Praxis-Management scheint hier der Schlüssel zum (wirtschaftlichen) Erfolg zu sein. Und der liegt vor allem beim Team am Telefon und Empfang. Acht medizinische Fachangestellte (MFA) arbeiten für Verena Becker: Sie erinnern die Patienten an Check-Ups und Impfungen und organisieren die Sprechzeiten der Ärztin. So konnte Verena Becker weiterhin voll arbeiten, als sie Anfang dieses Jahres ihr drittes Kind bekommen hat.

    Ein gutes Team ist alles: Dr. Verena Becker (Mitte) beschäftigt acht medizinische Fachangestellte in ihrer Hausarzt-Praxis in Volkach, hier Xenia Beuerlein (rechts) und Julia Knoppe.
    Ein gutes Team ist alles: Dr. Verena Becker (Mitte) beschäftigt acht medizinische Fachangestellte in ihrer Hausarzt-Praxis in Volkach, hier Xenia Beuerlein (rechts) und Julia Knoppe. Foto: Christine Haupt

    Für sie überwiegen die Vorteile des Selbständigen-Daseins. Freie Urlaubsplanung, keine Nachtschichten, eigene Gestaltung des Tages- und Wochenrhythmus: "Selbst meine Still-Pausen konnte ich problemlos in meinen Arbeitstag integrieren – wo kann man das denn im Angestellten-Verhältnis?"

    Familienfreundliche Arbeitsbedingungen als Pluspunkt

    Und trotzdem versteht Becker junge Medizinerinnen, die eine Anstellung der Selbstständigkeit vorziehen. Als Lehrpraxis der Universität Würzburg beschäftigt sie regelmäßig junge Ärztinnen im praktischen Jahr. Denen versucht sie auch, das Landarzt-Leben gegenüber dem Klinik-Job schmackhaft zu machen und wirbt mit familienfreundlichen Konditionen, die gut zu Kindergarten-Zeiten passen und ohne 24-Stunden-Schichten auskommen. Ärztinnen im Angestellten-Verhältnis zu finden, sei nicht das Problem: "Aber wer soll die Praxis dann betreiben? Landärzte, die sich niederlassen, sind ein seltenes Gut", sagt Verena Becker.

    Eine Lösung für dieses gesellschaftliche und politische Problem können Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sein: In MVZ arbeiten angestellte Ärzte und Ärztinnen verschiedener Fachrichtungen unter einem Dach zusammen und tragen kein ökonomisches Risiko wie bei einer Selbstständigkeit. Für junge Medizinerinnen, die in Teilzeit arbeiten wollen, sicherlich eine interessante Alternative.

    Das Team rund um die Ärztin ist entscheidend

    Ein Vertrauensverhältnis über Jahre zu den Patienten aufzubauen, scheint hier aber kaum möglich. "Da ist man als Patient nur eine Nummer", sagt Verena Becker. Und auch Christine Heinemeyer hat zu MVZ ihre Meinung: "Ich begleite meine Patienten ja teilweise schon ein Leben lang. Ich erlebe Vertrauen, Treue und Dankbarkeit. Ärzte-Hopping kenne ich nicht."

    Und in noch einer Sache sind sich Becker und Heinemeyer einig: Eine Praxis, die wirtschaftlich gut aufgestellt ist und in der sich die Patienten wohlfühlen, steht und fällt mit dem Team rund um die Ärztin. Gut ausgebildete, empathische und stressresistente Fachangestellte zu finden und bei sich zu halten, sei eine Herausforderung. Darum teilen beide Allgemeinärztinnen eine weitere Ansicht: Die Entscheidung für die Selbstständigkeit als Arzt ist ein guter Anfang, aber nur die halbe Miete.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden