Es treten auf: John Otti, Werner Otti, Jörg Otti und Jürgen Otti. Zusammen sind sie die John Otti Band. Sie spielen alles von „Angels“ bis „In die Berg bin i gern“, seit Jahren auch gerne im Auftrag der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). An diesem Herbsttag haben sie sich – oder hat sich ihr Auftraggeber – für „Immer wieder Österreich“ entschieden, dazu wehen rot-weiß-rote Fahnen im Wind und werden blaue Luftballons verteilt. Das Vorprogramm für Heinz-Christian Strache.
In den Plattenbauten rund um den Kardinal-Rauscher-Platz in Wiens 15. Bezirk lehnen sich Schaulustige aus geöffneten Fenstern. Unten auf dem Platz schwappt Bier aus Plastikbechern, die Männer mit kurz geschorenen Haaren in den Händen halten. Einer, der nah an der Bühne steht, hat ein Tattoo am Nacken, das Schlangen zeigt. Oder sind es SS-Runen? Er grölt besonders laut: „HC! HC!“ Und in einer Ecke protestieren die Gegner, sie klappern mit Topfdeckeln.
Heinz-Christian Strache nennt sich selbst HC Strache. Untertitel: „ein echter Österreicher“. HC, das klingt nach einer Marke, funktioniert auch prima, erinnert aber auch ein wenig an DJ Ötzi. HC Strache, 46, ergreift nun das Wort. Zurückhaltend zunächst. Er kritisiert das „Pfuschen“, also die Schwarzarbeit, spricht über Geldverschwendung, Genderwahnsinn, Ampelmännchen und Anrainer-Parkplätze. Dafür wird er freundlich beklatscht.
Ehe man sich versieht, geht es ans Eingemachte. Plötzlich ist da die Rede vom „Kulturchristentum, für das man nicht gläubig zu sein braucht“, und das geschützt werden müsse vor dem Islam. Nun jubeln die Fans, besonders, als Strache rhetorisch fragt: „Welcher Mann würde seine Frau und seine Kinder zurücklassen?“ Die Flüchtlinge „wissen, dass ihre Familien in Sicherheit sind“, unterstellt er. Fast alle kämen aus wirtschaftlichen Gründen.
In Wien gibt es derzeit zahllose Veranstaltungen dieser Art. Schließlich werden am Sonntag in der Hauptstadt Gemeinderat und Landtag gewählt. Und schließlich gibt es hierzulande, wie in Deutschland, seit Wochen fast kein anderes Thema mehr als: Flüchtlinge. Davon profitiert in erster Linie die FPÖ. Nach den jüngsten Erfolgen seiner Partei im Burgenland, der Steiermark und in Oberösterreich tritt ihr Chef Strache mit dem Ziel an, nun selbst Bürgermeister zu werden – jener Mann, dem immer wieder eine gefährliche Nähe zu Rechtsextremen nachgesagt wird. Der als junger Mann an einer Wehrsportübung teilgenommen oder Silvester mit der später verbotenen neonazistischen Wiking-Jugend gefeiert haben soll. Und der diverse ausländerfeindliche Sprüche auf dem Kerbholz hat. Für die Stadt, ja für Österreich wäre ein Sieg Straches nichts weniger als ein politisches Erdbeben. Wien wurde bis auf die Zeit der deutschen Annexion von 1938 bis 1945 seit 1919 von Sozialdemokraten regiert.
Die letzte Umfrage des Market-Instituts in Linz für die Zeitung „Der Standard“ prognostiziert ein Kopf-an-Kopf-Rennen: 35 Prozent für Strache, 36 Prozent für Amtsinhaber Michael Häupl von der SPÖ. 2010 haben noch 44,3 Prozent Häupl gewählt. Rund 1,3 Millionen Bürger ab 16 Jahren sind wahlberechtigt. Nur wenige werden sich angesichts des Duells Häupl/Strache für die Kandidaten der Volkspartei ÖVP, der Grünen oder anderer Parteien entscheiden – trotz einer zu erwartenden hohen Wahlbeteiligung.
Häupl, 66, regiert seit 21 Jahren. Gerade hat er sein „Personenkomitee“ vorgestellt, eine Art Unterstützerkreis. Was der bringen soll? Häupl antwortet etwas umständlich: „Wenn David Alaba sagen würde: Ich will, dass Michael Häupl Bürgermeister bleibt, hätte das einen Wert.“ Doch auch eine Woche vor der Wahl hat sich der dunkelhäutige Österreicher Alaba, Fußball-Star vom FC Bayern München, noch nicht als Fan geoutet. Immerhin wirbt Tatort-Kommissar Harald Krassnitzer für den Rathaus-Chef. Ansonsten besteht das Personenkomitee aus Parteimitgliedern und jenen, die Häupl etwas zu verdanken haben oder sich etwas von ihm erhoffen. Wechselwähler kann Häupl damit nicht gewinnen.
Der Bürgermeister weiß, dass er ziemlich auf sich allein gestellt ist. Er kämpft um seine Macht, aber auch um den Erhalt des „Roten Wien“. Deshalb schüttelt er Tausende Hände, posiert für Selfies. „Wenn nur die Füße nicht wären, das tagelange Stehen“, stöhnt er einmal. Für einen 66-Jährigen, der offensichtlich lieber isst und trinkt, als Sport zu treiben, ist die vierwöchige Wahlkampftortur kaum zumutbar. Zumal der Bürgermeister eigentlich Zoologe und eher an Forschung und Wissenschaft interessiert ist; Wahlkämpfe hält er für „Zeiten fokussierter Unintelligenz“.
Wenn Strache auf Wähler trifft, lösen seine demagogischen Sprüche schnell Begeisterung aus. Sie sind auf die Gefühle seiner Anhänger ausgerichtet. „Ich habe große Angst, dass es Deutschland zu viel wird, und Merkel die Flüchtlinge einfach wieder zu uns zurückschickt“, sagt etwa Anton, 58, ein Gemeindebediensteter. „Was sollen wir dann tun? Ich bin nicht mehr der Jüngste!“ Sein Nebenmann glaubt: „Merkel schafft es nicht, und wir schaffen das auch nicht.
“ Und Lilly, 45, die 1989 aus Kroatien nach Wien gekommen ist und als Putzfrau arbeitet, will ebenfalls Strache wählen. „Er sagt wenigstens die Wahrheit.“ Sie befürchtet, dass die jetzigen Grenzkontrollen die Reisen zu ihrem Freund, einem Feuerwehrmann in Zagreb, komplizierter machen.
Wahlen in Wien sind im Vergleich zu anderen Hauptstädten immer etwas Besonderes. Hier treffen Flair und Attraktivität einer Donau-Metropole, die in ihren inneren Bezirken als eine der lebenswertesten Städte der Welt gilt, auf Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit und Abstiegsängste in den Außenbezirken. Früher waren die großen Gemeindebauten des „Roten Wien“ mit den 220 000 Wohnungen eine uneinnehmbare Hochburg der Sozialdemokraten. Inzwischen macht sich dort die „wahre Arbeiterpartei FPÖ“ breit, wie die sich nennt.
Strache versucht sich neuerdings präsidial zu inszenieren. Er kann ja auch überzeugend sein. Er hat Witz, Elan, ist stets jugendlich-akkurat gekleidet. Mit österreichischer Flagge sowie roten und weißen Rosen sandte er kürzlich eine Videobotschaft an das Volk. Bisher hat die FPÖ nur den Strache-Rap ins Internet gestellt; einen Sprechgesang ihres Chefs, in den er seine politischen Botschaften packt. Der letzte wurde bislang gut 200 000-mal geklickt. Schon jetzt steht fest: Sollte Strache die Wahl verlieren, wird er wieder in die Bundespolitik zurückkehren. Dann wird Johann Gudenus die Wiener Freiheitlichen führen.
Michael Häupl wiederum gibt sich gerne als Patriarch, der in SPÖ-Tradition hohe Steuern und Abgaben einfordert, um kommunalen Wohnungsbau, starken Mieterschutz und ein ausgedehntes Sozialwesen finanzieren zu können. So hat Wien seit fast hundert Jahren funktioniert. Doch heute lasten fünf Milliarden Euro Schulden auf der Stadt; schließt man die städtischen Unternehmen ein, sind es einige Milliarden mehr. Außerdem steigt die Zahl der Arbeitslosen und zwingt Häupl im Wahlkampf zu beschönigenden Ausreden: „Ich übe nicht zehn Tage vor der Wahl öffentlich Selbstkritik.
Ich hab ja keinen Vogel.“ Verlassen kann er sich auf eine ausgeprägte „Freunderlwirtschaft“, wie man das in Wien nennt. Die etwa 50 000 SPÖ-Mitglieder werden von den Behörden oft besser behandelt.
Auf der anderen Seite ist es Tradition in der Stadt, denen zu helfen, die in Not sind. Es ist morgens um neun, als sich Häupl mit dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn in einem Flüchtlingsheim der Caritas trifft, wo 45 Jungen zwischen 14 und 18 Jahren in Zweibettzimmern untergebracht sind. Der Kardinal erinnert an seine eigene Flucht, er ist als Dreijähriger aus dem Sudetenland nach Wien gekommen. Und er warnt in der Flüchtlingskrise vor Dramatisierungen. Wenn Asylbewerber ein Prozent der Wiener Bevölkerung ausmachten, sei das zu verkraften, sagt er. Zur Zeit leben schätzungsweise 12 000 Asylbewerber in der Stadt. Der Caritas-Präsident Michael Landau lobt Häupl: „In Wien wird das Recht auf Asyl gelebt, nicht verhalten, sondern selbstbewusst, selbstverständlich und unaufgeregt.“
Häupl nimmt die Hand aus der Hosentasche und tätschelt Landau jovial den Arm. „Das Geheimnis für Wiens Erfolg in der Flüchtlingsunterbringung ist die Kooperation mit den Hilfsorganisationen“, sagt er. Ein Seitenhieb auf das von der ÖVP geführte Innenministerium, das die Organisation der Flüchtlingslager einem Privatunternehmen überlässt. Zum Abschluss „wuzzeln“ Kardinal und Bürgermeister mit zwei Jugendlichen, das heißt, sie spielen Tischfußball – und schaffen es so am nächsten Tag auf die Titelseite der Kronenzeitung, die täglich mehr als drei Millionen Österreicher in die Hand bekommen. Wahlkampf ganz nach Häupls Vorstellungen.
Der Streit um die Unterbringung von Flüchtlingen in Österreich zeigt übrigens, wie mächtig die neun Landesregierungen sind. Der Bund hat kaum Chancen, sich gegen sie durchzusetzen, wenn die Landeshauptleute über die Parteigrenzen hinweg zusammenhalten. Das heißt auch: Vorbei am Wiener Bürgermeister, der zudem stellvertretender SPÖ-Bundesvorsitzender ist, wird bundespolitisch kaum eine Entscheidung getroffen.
In Ottakring, dem 16. Wiener Gemeindebezirk, ist gerade Kirchweih. Die Kapelle spielt „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, als der Bürgermeister kommt. Ottakring ist Häupls Wohnbezirk, die Partei hat hier alles fest im Griff. Wahlhelfer verteilen Lebkuchenherzen mit der Aufschrift „A Gspür für Wien. Michael Häupl“. Man lässt keinen Zweifel daran, dass Häupl Bürgermeister bleibt. Als der FPÖ-Chef am Abend dieselbe Veranstaltung besucht, sind die Genossen in den roten T-Shirts immer noch zahlreich vertreten. Strache wird ausgebuht und verlässt schnell das feindliche Terrain. Noch ist nichts entschieden zwischen Michael Häupl und HC Strache.
Häupl gegen Strache – zwei Kurzporträts
Michael Häupl, 66, SPÖ Dieser Mann wird nicht müde, das Bild des ebenso ausgefuchsten wie bodenständigen Stadtlenkers mit einem Ohr für die Sorgen der Leute zu kultivieren. Schon seit 1994 ist Häupl Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. Er trat die Nachfolge des charismatischen und über Österreich hinaus bekannten Sozialdemokraten Helmut Zilk an. Häupl ist kein Urwiener Arbeiterkind, sondern wuchs als Sohn einer konservativen Lehrerfamilie in Niederösterreich auf.
Er war kurzzeitig in einer schlagenden Studentenverbindung, startete dann aber mit dem Wechsel zum Verband Sozialistischer Studenten seine rote Karriere. Häupl setzt auf absolute Loyalität enger Vertrauter. „Seine Gefolgschaft versteht jede Oppositionsarbeit als Majestätsbeleidigung“, schrieb die Grazer „Kleine Zeitung“ einmal. Entsprechend beschreiben ihn Kritiker als Machtmenschen, der keinen Widerspruch duldet. Häupl ist in dritter Ehe mit der ärztlichen Direktorin eines Wiener Krankenhauses verheiratet. Aus den vorangegangenen Ehen hat er zwei Kinder. Heinz-Christian Strache, 46, FPÖ Der stets als hip und jugendlich auftretende Strache ist seit zehn Jahren Chef der rechtspopulistischen FPÖ. Bevor er zuletzt Wahlerfolge in mehreren Bundesländern Österreichs feierte, war er immer wieder über seine angebliche Nähe zu Rechtsradikalen gestolpert. Nun tritt er deutlich zurückhaltender auf. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter wuchs er in Wien auf, mit sechs Jahren soll er ins Internat gekommen sein. Schon als Jugendlicher soll er Kontakte zu Neonazis gehabt haben, später kam der gelernte Zahntechniker über eine schlagende Verbindung zur FPÖ.
Dort wurde er der politische Ziehsohn Jörg Haiders, mit dem er sich später aber überwarf. Strache hat zwei Kinder aus einer geschiedenen Ehe. Text: dpa/az