Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Franken
Icon Pfeil nach unten

Frauen im Wald und auf der Heide

Franken

Frauen im Wald und auf der Heide

    • |
    • |
    Mit Fernglas und Gewehr: Immer mehr Frauen gehen auf die Pirsch und zunehmend auch im eigenen Revier.
    Mit Fernglas und Gewehr: Immer mehr Frauen gehen auf die Pirsch und zunehmend auch im eigenen Revier. Foto: Foto: Friso Gentsch, DPA

    An diesem Nachmittag im Winter, ist der Himmel grau, aber in ein paar Stunden soll der Vollmond aufgehen. Ich habe mich mit Jägerin Violetta Zürrlein zu Pirsch und Ansitz verabredet. In dem Revier bei Wiesenfeld (Lkr. Main-Spessart), für das sie vom Pächter einen Berechtigungsschein hat, möchte ich erfahren, was immer mehr Frauen am Jagen fasziniert.

    Kürzlich bei der Hubertusfeier in Höchberg (Lkr. Würzburg) bekamen acht Frauen und 19 Männer mit dem Hirschfänger den Jägerschlag vom Kreisvorsitzenden des Bayerischen Jagdverbands (BJV), Manfred Ländner. Stetig seien die Frauen im Verband auf dem Vormarsch, sagt er. Acht Prozent der 45 600 Mitglieder sind weiblich. Und in den Kursen zur Jagdscheinprüfung lernen sogar zehn bis 15 Prozent Frauen, sagt die Repräsentantin des bayerischen Jägerinnenforums, Renate Weber aus Niederbayern.

    Im Sommer büffelte Violetta Zürrlein noch auf die staatliche Prüfung. Die 47-Jährige befasste sich intensiv mit Wald und Wild, mit Rechtsvorschriften und Hygiene, mit Hunden und Waffen. Seitdem jagt sie in dem Revier, zu dem wir jetzt fahren. Wir sind für eine kalte Winternacht im Hochsitz gerüstet mit robusten Stiefeln, gefütterten Hosen und Jacken, mit Decken und heißem Tee. Auf dem Rücksitz des Jeeps liegt das Gewehr. Auch das will ich in diesen Stunden draußen erfahren: was es heißt, Beute zu machen.

    Es sitzt fest, das Bild, des jovialen, erzkonservativen Herrn in Lodengrün, der anachronistischem Brauchtum huldigt und aus Schießlust und Trophäengier Tiere tötet. Wie passen die Jägerinnen dazu? In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Jagdscheine um rund zehn Prozent gestiegen, sagt die Statistik des deutschen Jagdverbandes. Viele sehr junge Frauen lernten in ihrem Kurs, sagt Zürrlein. Egal, ob Frauen oder Männer, die Prüflinge sind zwischen 16 und 45 Jahre alt, weiß Ländner.

    In dem Alter war auch Ingrid Stenger aus Großwallstadt (Lkr. Miltenberg), die unterfränkische Ansprechpartnerin des Jägerinnenforums, als sie vor 23 Jahren den Jagdschein machte. Damals war sie noch eine Exotin, eine von einem Prozent Frauen im BJV. In die Jagdleidenschaft wurde sie hineingeboren. Schon von klein auf ging sie mit dem Vater auf die Jagd. Das ist typisch für Jägerinnen, sagt Renate Weber.

    Seit den Waldgängen mit dem Vater ist auch Violetta Zürrlein das Nachtleben vertraut, in das ich an diesem Abend im Revier bei Wiesenfeld eintauche. Es dämmert, als wir uns auf der Kanzel am Rand einer Lichtung einrichten, mit Ferngläsern, Kamera und Gewehr. Es wird dunkler. Konzentriert behalte ich die Maishäufchen der Fütterungsstellen im Blick. Sie leuchten noch eine Weile als gelbe Flecken. Ich spüre meinen Herzschlag und den von Jagdteckel-Hündin Sally zwischen uns. Einmal hebt sie den Kopf. „Sie riecht etwas“, flüstert die Jägerin. Ich konzentriere die Aufmerksamkeit auf meine Augen und Ohren.

    Beobachten sei die Haupttätigkeit im Revier, hatte mir die Jägerin am Nachmittag beim Streifzug durch das Gelände gesagt. Mindestens zweimal in der Woche ist sie für ein paar Stunden draußen. Dann kümmert sie sich auch um die Nistkästen für Vögel, Fledermäuse und Hornissen und überprüft die Bilder der Wildkameras. Heute zeigen die Fotos eine Taube, eine Rike mit zwei Kitzen und zwei Schatten – vielleicht Wildschweine.

    Deren Schürfspuren hatte mir Zürrlein schon auf einem Feld zwischen Wintergetreidesprösslingen gezeigt. „Solche Schäden muss der Jagdpächter bezahlen.“ Schweine und Schäden werden mehr. Der Klimawandel und der Trend zu Energiepflanzen bescheren den Tieren üppiges Futter. Die Jägerin hatte mir eine struppig grau-braun überwucherte Fläche gezeigt. „Das ist die Blumenwiese, die wir für das Wild angelegt haben. Im Sommer war sie wunderschön, mit Insekten und vielen Schmetterlingen, die es nirgends sonst gab.“

    Dort waren die Wildschweine auch. „Wir haben die Knochen von einem Kitz gefunden, das die Rike abgelegt hatte und das die Sauen gefressen haben.“ Ein wenig verunsichert schaue ich die Jägerin an. „So ist das“, sagt sie. Sie kennt sich mit weit wilderer Natur aus. Die 47-Jährige ist Wolfsbeauftragte des Naturschutzbundes. Das Raubtier ist ihr seit der Kindheit in Polen vertraut. Der Wolf sei scheu. Doch sie weiß auch von Angriffen auf Menschen. „Er gehört zur Vielfalt in der Natur. Aber er ist ein Raubtier, auf das man sich einstellen muss.“ In Polen mit weiten, wildreichen Wäldern gebe es schon immer Wölfe und im Süden und Osten Bären. „Mensch und Tier bewohnen gemeinsam einen Lebensraum.“

    Und die Menschen profitieren vom Fressen und Gefressenwerden in der Natur. In der sächsischen Lausitz beispielsweise fressen die Wölfe schwaches Wild. „Die Jäger haben dort beobachtet, dass der Wildbestand dadurch gesünder und die Tiere stärker geworden sind“, sagt Violetta Zürrlein. Im Fränkischen ersetzen Jäger die Auslese der Raubtiere, sagt sie. Und die Jägerinnen.

    Freilich, unter den Revierpächtern machen die Frauen beispielsweise in der BJV-Kreisgruppe Würzburg gerade mal fünf Prozent aus. „Tendenz allerdings zunehmend“, sagt Vorsitzender Manfred Ländner. Ein sehr gutes Netzwerk und langen Atem braucht eine Frau, die ein Revier übernehmen möchte, weiß Renate Weber vom Jägerinnenforum. Ihre Kollegin Ingrid Stenger hat seit eineinhalb Jahren eine eigene Jagd. Billig ist das nicht. Je nach Lage, Struktur und Wildreichtum eines Geländes ist die Pacht sehr unterschiedlich. In Jägerforen ist die Rede von drei bis zwölf Euro pro Hektar und Jahr. Dazu kommen Ausgaben für Pflege und Wildschäden. Berechtigungsscheine gibt es schon für 1500 oder 2000 Euro.

    Eine Schleiereule gleitet durch die Dunkelheit an unserem Ansitz vorbei. Die Jägerin freut sich, dass ich den Nachtvogel auch bemerkt habe. Meist ist sie allein draußen. Sie liebe dieses Gefühl, allein im Wald zu sein. Nichts störe dann die Harmonie. Während wir lange Zeit still nebeneinandersitzen, schauen und lauschen, wächst auch mein Bewusstsein, zum Kreislauf der Natur zu gehören – wie die Eule, die eine Maus schlägt, der Fuchs, der einen Vogel erwischt und die Sauenrotte, die ein Kitz findet. Und es wächst das Gefühl, dass der nächtliche Wald den Zugang zu einer archaischen Sehnsuchtswelt möglich machen kann. So ganz fremd erscheint mir der Gedanke nicht mehr, dabei zu sein, wenn die Jägerin ein Tier erlegt. Ihr ist es seit der Kindheit auf dem Land vertraut, dass Fleisch für die Ernährung als Tier gelebt hat. Wenn die Oma Hühner schlachtete, halfen die Kinder selbstverständlich beim Rupfen. „Ich habe weniger Bedenken beim Schuss, als wenn ich eingeschweißtes Hackfleisch aus Massentierhaltung für 2,50 Euro kaufen würde“, sagt Zürrlein. Sie war im Schlachthof, kennt Berichte über Tiertransporte. „Da verliert sich die Menschlichkeit“, sagt die studierte Philosophin. Sie finde es ethisch eher vertretbar, Tiere für die Nahrung selbst zu schießen.

    Sehr bewusst suche sie das Tier aus, das sie erlegen will. Sie schaue lange und genau hin und warte mit dem Schuss, bis sie sicher sei, gut zu treffen. „Habe ich Zweifel, warte ich auf die nächste Gelegenheit.“ Das sei typisch für Frauen, sagen Stenger und Weber vom Jägerinnenforum. Leichtfertig machen auch sie nicht Beute. Von Fingerspitzengefühl, Herzblut und dem hohen Stellenwert der Ethik bei der Jagd spricht die Unterfränkin Ingrid Stenger. Wie wichtig ihr der Einsatz für den Lebensraum für Wildtiere und die Umweltbildung der Kinder sei, sagt die Niederbayerin Renate Weber. Sie freue sich auch, wenn sie auf dem Ansitz einfach nur Mauswiesel und Eichhörnchen beobachten könne, sagt Zürrlein. „Der Schuss kommt ganz zum Schluss.“

    Der Mond ist noch nicht aufgegangen, und es ist inzwischen so dunkel, dass die Maiskörnerflecken verblasst sind. Die Lichter der Autos, die durch die kahlen Bäume schimmern, werden selten, die Geräusche von Straßen und Dorf leise. Ich sehe Kiefernschatten, rieche den aufkommenden Nachtwind und höre, dass es neben der Kanzel im Gesträuch knackt.

    „Vielleicht ein Fuchs“, flüstert die Jägerin. Entfernt erklingt „Huhu“. Die Rufe der Käuzchen im nächtlichen Wald möge sie sehr. Sie erzählt von Rehen im Sonnenaufgang und Sauen in der Abenddämmerung. „Ich liebe die Mystik und Schönheit des Waldes, besonders in Vollmondnächten.“ Der Mond lässt den Wald allmählich heller schimmern. Da! Direkt vor uns am Rand der Lichtung raschelt und knackt es immer wieder. „Da ist etwas“, flüstert die Jägerin und hebt langsam das Fernglas. Das Gewehr lehnt neben ihr in der Ecke des Hochsitzes. Ich wage kaum zu atmen.

    Doch nach einer Weile wird es wieder still am Waldrand. Die Tiere haben uns wohl bemerkt und sich zurückgezogen. An diesem Abend belauern sich Tiere und Menschen gegenseitig und die Jägerin rührt ihr Gewehr nicht an.

    Jägerinnen und Wildbret

    Jagende Frauen habe es in der Menschheitsgeschichte weltweit gegeben, sagt Miriam Haidle, Paläoanthropologin und Koordinatorin eines Forschungsprojekts über kulturelle Evolution an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Jägerinnen, die sich seit ein paar Jahren zunehmend in einer Männerdomäne behaupten, seien also nicht wirklich etwas revolutionär Neues. Allerdings waren die Jägerinnen zu Zeiten, als die Jagd nur noch dem Adel und höher gestellten Persönlichkeiten vorbehalten war, rar geworden, wie die unterfränkische Repräsentantin des Jägerinnenforums, Ingrid Stenger, sagt. Jagen für die Ernährung ist ein Thema des Jägerinnenforums. Und auch Annegret Hager von der Würzburger Beratungsstelle des Verbraucherservice-Bayern meldet sich dazu zu Wort. Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion machen nachdenklich, schreibt sie. Fleischlose Ernährungsformen seien im Trend. All jenen, die nicht auf Fleisch verzichten möchten, rät sie, Fleisch von frei lebendem Wild aus der Region zu kaufen. Strahlenbelastung sei kein Problem, da Jäger und Förster in Deutschland dazu verpflichtet seien, Wildfleisch überprüfen zu lassen. Belastetes Fleisch wird nicht verkauft. Darüber hinaus sei Wildbret unbelastet von Medikamenten. Die Fachfrau rät, im Rahmen einer vollwertigen Ernährung generell nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche zu essen.

    Viel Wild im Handel kommt laut bayerischem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten allerdings aus Neuseeland, Slowenien, Argentinien oder Südafrika. Das muss nicht angegeben sein. An heimisches Wildbret kommen Interessenten beispielsweise über den Bayerischen Jagdverband (www.bjv-service.de) oder über die Forstbetriebe. Text: BEA

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden