Behutsam öffnet Dr. Claudia Staib den Brutschrank. In kreisrunden Petrischalen liegen die eben entnommenen Eizellen einer Patientin des Kinderwunschzentrums der Universitäts-Frauenklinik in Würzburg. Die Reproduktionsbiologin entzieht den Körperzellen das Wasser. Mit einer Pipette füllt sie die Eizellen in einen flachen kleinen Behälter. Diese Mini-Schublade kennzeichnet sie mit einem Nummerncode und schiebt sie in ein graues Kästchen, in dem weitere solcher Behälter lagern. Tiefgefrostet in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad.
Social Freezing heißt die Methode, die es gesunden Frauen aus sozialen, nicht medizinischen Gründen ermöglicht, ihren Kinderwunsch hinauszuschieben. Wer den Begriff bei Google eingibt, staunt über 37 Millionen Treffer. Entwickelt wurde das Einfrieren für Frauen, die an Krebs erkrankt sind. Es bewahrt die Eizellen vor den Schäden einer Chemotherapie. Nach der Heilung können diese Frauen mittels In-Vitro-Fertilisation gesunde Kinder auf die Welt bringen. Seit Anfang 2000 bieten Ärzte in den USA diese Technik auch gesunden Frauen an. 2009 stiegen deutsche Zentren, die normalerweise Paare mit unerfülltem Kinderwunsch behandeln, in das auch lukrative Geschäft ein.
„Wir beraten immer wieder Patientinnen zum Thema Social Freezing“, sagt Professor Dr. Ursula Zollner, Leiterin des Kinderwunschzentrums der Würzburger Uniklinik. Der Großteil ihrer Patientinnen komme aber zu einer Kinderwunschbehandlung. Auch vor einer Chemotherapie oder Bestrahlung lassen junge Frauen ihre Eizellen oder Teile der Eierstöcke einfrieren.
Das Hauptklientel für Social Freezing hingegen sind Frauen über 35 Jahren, die derzeit keinen Partner haben, aber gerne Kinder wollen. „Ab 35 Jahren sinkt die Fruchtbarkeit“, erklärt die Gynäkologin. Der ideale Zeitpunkt, um Eizellen einzufrieren, sei zwischen 20 und 30 Jahren. Anders als Männer, die auch im fortgeschrittenen Alter noch Kinder zeugen können, setzt das Alter dem Kinderwunsch der Frauen enge Grenzen. Schon ab Ende 20 reduziert sich die Eizellreserve signifikant. „Je jünger die Patientin ist, desto größer sind die Erfolgschancen“, sagt Zollner. Aber die Methode ist mit hohen Kosten verbunden. „Wir haben sehr viel mehr Beratungen, als Behandlungen.“ Werbung für Social Freezing macht die Würzburger Uniklinik nicht. Der Leiter der Frauenklinik, Professor Dr. Achim Wöckel, steht der Methode eher kritisch gegenüber: „Aus ethischer und gesellschaftlicher Sicht ist die Anwendung der Methode, die ursprünglich für onkologisch erkrankte junge Frauen konzipiert wurde, zum Anhalten der biologischen Uhr aus Gründen der persönlichen Lebensplanung stark zu hinterfragen. Die medizinischen Risiken sind in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt und erfordern daher eine umfassende Aufklärung und Beratung, wie sie auch an der Universitäts-Frauenklinik Würzburg erfolgt.“
Auch der Deutsche Ethikrat diskutierte im Frühjahr, ob Social Freezing ein Segen für Frauen ist oder ein medizintechnischer Lösungsversuch für Probleme einer leistungsorientierten Gesellschaft. „Wer kommt, wird beraten und bekommt auch eine Therapie, sofern dies sinnvoll ist“, sagt Professor Zollner. Sie erzählt von einer 40-jährigen Patientin, die zwar einen Partner hatte, aber im neuen Job nicht gleich schwanger werden wollte. „Dieser Patientin habe ich geraten, lieber zügig schwanger zu werden anstatt Eizellen einfrieren zu lassen– was dann auch geklappt hat.“
Der Kinderwunsch komme heute oft erst Mitte 30 nach Karriere und Partnerwahl. Die meisten Frauen, die sich zu Social Freezing beraten lassen, hätten keinen Partner. „Wir haben neulich die Eizellen einer 42-jährigen Patientin eingefroren, um ihr eine kleine Chance auf eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, ist sehr viel geringer als bei jüngeren Frauen“, sagt die Reproduktionsmedizinerin.
„Das Einfrieren ist wie eine Versicherung, die ich abschließe. Sie nimmt den Druck raus. Ich will nicht mehr länger reflexartig, wenn ich ein Restaurant betrete, Männer abscannen, ob sie Väter für meine potenziellen Kinder wären“, berichtete Christine Ballauf (Name geändert) kürzlich in der Zeitschrift „Brigitte“. Sie hat fünf Monate Zeit für die Hormonbehandlung investiert und 15 000 Euro, um 50 Eizellen einfrieren zu lassen.
In jeder Klinik sind Vorgespräche und Voruntersuchungen nötig, bis die Behandlung beginnt. „Der Eierstock wird mit Hormonen stimuliert, die sich die Patientin täglich spritzen muss“, erläutert Zollner. Während in einem normalen Zyklus nur eine Eizelle heranreift, wird der Eierstock durch die Hormone zu einer kontrollierten Überproduktion angeregt. Die Ärzte entscheiden, wann die Entnahme erfolgt. „Das ist ein kleiner operativer Eingriff, bei dem die Eizellen unter Narkose abgesaugt werden.“ Ziel: zehn bis fünfzehn Eizellen. „Bei manchen Frauen können wir nur vier bis sechs Eizellen gewinnen, manchmal noch weniger.“ Für eine relevante Schwangerschaftswahrscheinlichkeit sollte man mindestens 30 Eizellen einfrieren.
Doch kein noch so gut ausgestattetes reproduktionsbiologisches Labor ist so gut wie die Natur, darin sind sich alle Reproduktionsmediziner einig. Und die Methode birgt auch medizinische Nebenwirkungen: „Neben Übelkeit und Bauchschmerzen kann auch das Thromboserisiko ansteigen. Ein schweres Überstimulationssyndrom kommt heute kaum noch vor“, erklärt die Ärztin.
Lange galt das Einfrieren von Eizellen als schwierig und wenig erfolgreich. Anders als bei Spermien, die sich leicht in großen Massen einfrieren lassen, ist jede weibliche Keimzelle ein Unikat. Das Auftauen galt als heikel. „Es bildeten sich scharfkantige Kristalle, die später beim Auftauen die empfindlichen Zellwände beschädigten.“ Um solchen Defekten vorzubeugen, wendet man heute die Technik der Vitrifikation („Verglasung“) vor der Konservierung an, mit der der Zelle vor dem Einfrieren das Wasser entzogen wird und nach dem Auftauen gute Ergebnisse erzielt wurden. Die Eizellen lagern schockgefrostet in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad. In der Frauenklinik stehen die Stickstofftanks derzeit in einem alten Operationstrakt. Sie sind fest verschlossen.
„Bei der Kryo-Konservierung macht es keinen Unterschied, ob die Eizellen drei oder zehn Jahre eingefroren sind“, erklärt die Ärztin. Die kindlichen Fehlbildungen würden durch eine lange Liegezeit nicht ansteigen. Dank Vitrifikation überleben heute 85 bis 90 Prozent der Eizellen das Auftauen. Doch: Nur 60 bis 70 Prozent lassen sich überhaupt befruchten. „Nicht alle Eizellen sind genetisch intakt und nicht alle befruchteten Eizellen entwickeln sich zu einem Embryo.“
Der Eingriff wird von den Krankenkassen nicht übernommen. „Das Einfrieren von Eizellen ohne medizinischen Grund kann die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nicht finanzieren, denn es widerspricht den gesetzlichen Vorgaben“, erklärt Claudia Widmaier, Pressereferentin der GKV. Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf eine Krankenbehandlung. Da es sich beim „Social Freezing“ jedoch um keine Krankheit handelte, wäre eine solche Leistung weder notwendig noch wirtschaftlich.
Abzugrenzen davon wäre der Fall, wenn bei einer Frau vor einer Chemotherapie zur Behandlung von Krebs das Eierstockgewebe entfernt, aufbewahrt und später wieder reimplantiert wird, um die Empfängnisfähigkeit zu erhalten. „Hier bezahlt die Krankenkasse, wenn es sich um eine Methode handelt, die dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht“, erläutert Widmaier.
Eine Altersgrenze für Social Freezing gibt es nicht. „Die Eizellen sollten Patientinnen unter 50 Jahren eingesetzt werden“, erläutert die Gynäkologin die Empfehlungen des Netzwerks „Fertiprotekt“. Für eine Schwangerschaft braucht man lediglich eine funktionsfähige Gebärmutter. „Daher können auch Frauen Kinder austragen, die schon in der Menopause sind.“ Die Wahrscheinlichkeit einer Geburt, liege bei acht bis zehn Prozent pro aufgetauter Eizelle.
Die Frau bekommt maximal zwei befruchtete Eizellen eingesetzt, nur in Ausnahmefällen werden drei übertragen. Wenn möglich wird das Sperma des Ehemannes oder Lebensgefährten verwendet. „Oder die Frauen wenden sich an eine Samenbank“, erklärt Zollner. Das kostet noch einmal etwa 3000 Euro. Mit der ICSI-Methode wird die Eizelle befruchtet und in einem Brutschrank beobachtet, bis sich ein Embryo entwickelt.
In Deutschland ist die Kryokonservierung ohne medizinische Notwendigkeit umstritten. Doch in vielen Ländern ist das anders. In Israel ist es gesunden Frauen zwischen 30 und 41 ausdrücklich erlaubt, bis zu 20 Eizellen einfrieren zu lassen, die bis zum 55. Lebensjahr wieder eingesetzt werden können, berichtet das „Hamburger Abendblatt“. Die Kryokonservierung gilt dort als „präventive Medizin“, die verhindern soll, dass sich Frauen in fortgeschrittenem Alter für weniger erfolgversprechende Methoden wie Fruchtbarkeitsbehandlungen entscheiden. Auch in den Niederlanden fordern Experten, das Verfahren aus nichtmedizinischen Gründen zu gestatten.
Laut Schätzungen gab es im vergangenen Jahr in Deutschland an die 300 Behandlungen. „Wir merken aber, dass die Nachfrage stark ansteigt, je bekannter die Methode wird. Ich gehe davon aus, dass es in diesem Jahr schon 500 bis 1000 sein werden“, sagte Michael von Wolff in einem „Tagesschau“-Interview. Von Wolff ist Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in Bern sowie Gründer und medizinischer Koordinator des Netzwerks „Fertiprotekt“. Inzwischen umfasst das Netzwerk 95 medizinische Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich zu strengen Standards und Qualitätskontrollen verpflichtet haben und sich an der medizinischen Evaluation beteiligen. Auch die Uniklinik Würzburg gehört dazu.
Einige Gynäkologen sind überzeugt, dass die Methode in Zukunft bei immer mehr Frauen ein Thema sein wird. Allerdings werde es immer die Ausnahme bleiben: „Die normale Befruchtung wird und soll es ganz sicher nie ersetzen“, sagt Ursula Zollner. Jungen Frauen rät die Oberärztin, lieber ein bisschen früher mit der Familienplanung zu beginnen – auf natürlichem Weg.