Der Architekt ist begeistert. „Alles besteht aus einem Farbklang“, schwärmt Friedrich Staib vom Würzburger Büro Staib + Wiener. Das sei eine „unberührte Kirche“ aus dem 18. Jahrhundert. Seit 2012 leitet er die Sanierungsmaßnahmen in der ehemaligen Benediktinerabteikirche in Amorbach. Was seine Augen zum Leuchten bringt, ist nicht nur die Baukunst des Barock und Rokoko – „in dieser Zeit bin ich zu Hause“ –, es sind die Besonderheiten in der Ausführung. „In Amorbach sieht man den bauzeitlichen Originalzustand. Das ist einmalig im süddeutschen Raum!“
Die Geschichte der Abtei beginnt bereits Jahrhunderte zuvor. Sie zählt zu den ältesten in der Region. Gegründet wurde sie 734, manche Forscher setzen den Ursprung sogar noch früher an. Bei der 1000-Jahr-Feier 1734 beschloss Abt Engelbert Kinbacher, die romanische Abteikirche fürs nächste Jahrtausend zu rüsten. Sie soll teilweise baufällig gewesen sein, heißt es in der Chronik.
Der Um- und Neubau nach den Plänen von Maximilian von Welsch dauerte nur fünf Jahre: von 1742/43 bis 1747. Das bedeutet, so Friedrich Staib, dass nicht alles von Grund auf neu konzipiert wurde. So blieben die weithin sichtbaren romanischen Türme der Westfassade erhalten, sie bekamen jedoch neue Dachhauben. Langhaus, Querschiff und Chor wurden um eine Mauerstärke verbreitert, die Stützen im Langhaus verringert. Staib vermutet, dass sich im Kern noch die Säulen des romanischen Vorgängerbaus befinden und damals eckig ummauert wurden.
Was die Abteikirche so besonders macht, ist ihr opulentes Inneres. Für Architekt Staib präsentiert sich in Amorbach „Rokoko in höchster Vollendung“. Kein Wunder. Es waren die Meister ihres Fachs am Werk: Matthäus Günther aus Augsburg schuf die Freskenmalerei im Gewölbe sowie einige Altarbilder. Die Stuckateure Johann Friedrich Feichtmayr und Johann Georg Üblhör stammen aus der berühmten Wessobrunner Schule.
Die Ausstattungskünstler hatten Mut zur Lücke. Sie vergoldeten nicht jede Stelle und verwendeten zudem für ihre Dekorationen unterschiedliche Farbtöne. „Sie erzeugten so die Illusion von Licht und Schatten“, erklärt Friedrich Staib bei einem Rundgang durch die Baustelle – und schmunzelt: „Aus der Nähe wirkt es teilweise sogar schlampig“ – was natürlich keineswegs der Fall ist. Und die Malerei wirkt eigentümlich verzerrt.
Ausschlaggebend ist die Fernwirkung vom Boden aus. Nicht nur in der Malerei – teilweise auch in der Stuckatur. Deshalb wurde meist nur die Schauseite perfekt ausgearbeitet. Ein Blick beispielsweise auf die Rückseiten der Seitenflügel des Hochaltars verrät, was hinter der glänzenden Vorderseite steckt: ein Gerüst aus Holzlatten. Zudem sind alle Flächen, die der Besucher nicht einsehen kann, stumpf und grob und voller Gipsreste. Erst seit Beginn der Sanierungsarbeiten im Innenraum der Abteikirche im Jahr 2013 ermöglicht das Gerüst spannende Erkundungen in sonst versteckte Zonen. Von vorn betrachtet, musste die Kulisse allerdings stimmen. Die illusionistische Inszenierung wurde im Rokoko auf die Spitze getrieben. Gips gaukelte Marmor vor, Putten im Gewölbebereich wachsen aus der Wand, ein prächtiger Vorhang ist teils gemalt, sein Saum dagegen ausgeformt und hängt von der Decke herab: Zweidimensionales wurde ins Dreidimensionale erweitert.
Oft sei er, als das Gerüst stand, auch an den Wochenenden in Amorbach gewesen und habe Details aus nächster Nähe bewundert, erzählt der Würzburger Architekt. Auf manchen Muschelformen, französisch Rocaille, hat Friedrich Staib sogar Fingerabdrücke entdeckt. Sie könnten durchaus von Feichtmayr oder Üblhör stammen. Die Stuckateure waren sicher nicht alleine am Werk. Sie hatten ihre Mitarbeiter dabei. Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass einer der beiden höchstpersönlich seine Finger im Spiel hatte, wenn es um die Gestaltung eines „Augenfängers“ innerhalb der üppigen Dekorationselemente ging – wie zum Beispiel eine aufwendig gearbeitete Rocaille.
Eine weitere Besonderheit der Abteikirche ist die Raumschale selbst: Auf die Wand wurde kein gewöhnlicher Kalkputz aufgetragen, die Oberflächen wirken wie geglättet, und die Farbgebung chanchiert: Mal schimmert sie bläulich, dann hellbeige. Diese Fassung wird bewahrt und nicht – wie meist üblich – mit grellweißem Kalk überstrichen. Restaurieren bedeutet für Friedrich Staib, nicht alles auf Hochglanz zu polieren und in einen Neuzustand zu versetzen, sondern reinigen und konservieren. „Natürlich soll die Qualität erstrahlen, aber übertreiben soll man nicht.“ Das heißt: Es werden größere Risse gefüllt, Loses gefestigt, Staub und Verunreinigungen der vergangenen 270 Jahre beseitigt.
Die Sanierung befindet sich mittlerweile in der Endphase. Wichtig für Dirk Herrmann, den Leiter der Fürstlich Leiningenschen Verwaltung, ist die Einhaltung des Zeitplans. Im Juli wird die Abteikirche wiedereröffnet und soll die berühmte Barockorgel aus der Werkstatt der Brüder Stumm wieder bei Konzerten ertönen.
Begonnen hat die Sanierung im Frühjahr 2012 im Außenbereich. Das baufällige Dachwerk wurde instand gesetzt und mit Schiefer neu eingedeckt. Eine Überraschung war, so Architekt Staib, dass der Dachreiter mit Schindeln aus Blech verkleidet war. „Sie sahen aus wie Schiefer.“ Also wurde auch jetzt wieder der Authentizität wegen dasselbe Material verwendet. Aber es durfte nicht neu aussehen, sondern „es musste so verdellt sein wie das aus der Barockzeit“.
Nicht beeinflussbar bei einer Sanierung sind die Temperaturen im Kirchenraum. „Im Januar und Februar ist es in der Kirche am kältesten“, sagt Verwaltungsleiter Dirk Herrmann. Danach wärmt sie sich wieder langsam auf. Darauf warten die Restauratoren, sie können zurzeit manche Maßnahmen nicht ausführen, weil sich das Material aufgrund der „Eiszeit“ nicht optimal verarbeiten lässt.
Zu guter Letzt steht innerhalb der insgesamt mit circa 6,6 Millionen Euro veranschlagten Sanierung die Instandsetzung des Fußbodens an. Im Vordergrund steht auch hier der Erhalt. Friedrich Staib ist sich sicher, dass es sich um den barocken Steinboden handelt. Nun werden Stolperfallen beseitigt und kaputte Platten ergänzt. Der Architekt ist schon gespannt. Die Vorstellung, unter einer Steinplatte womöglich ein Relikt aus romanischer Zeit zu entdecken, auch das lässt sein Herz höher schlagen.
Besichtigung der Baustelle
Während der Sanierung der ehemaligen Benediktinerabteikirche in Amorbach werden ab 1. März wieder Besichtigungen der Baustelle angeboten. Einblicke gibt es von einem Schutzraum aus im Eingangsbereich der Kirche. Die Führungen finden täglich um 12 und 15 Uhr statt. Info beim Informationszentrum Bayerischer Odenwald: Schlossplatz 1, 63916 Amorbach, Tel. (0 93 73) 20 05 74. Internet: www.odenwald.de
Das Kloster wurde 1803 säkularisiert und den Fürsten von Leiningen übertragen – als Entschädigung für die Besitzverluste in ihren linksrheinischen Stammlanden in der Pfalz. Sie fielen in den Revolutionskriegen an Frankreich. Die Abteikirche ist seit 1803 evangelisch- lutherische Hofkirche des Fürstenhauses. Info im Internet: www.fuerst-leiningen.de