Ausmisten und aufräumen – das tut nicht nur der Wohnung gut, sondern der ganzen Familie. Kein Wunder, dass Ordnungsexpertinnen so gefragt sind. Anne Kleinhans arbeitet seit 15 Jahren als professionelle Aufräumerin. Sie hilft Menschen, ihre Wohnungen wieder in Ordnung zu bringen. „Manchmal wächst den Leuten alles über den Kopf: der Job, die Familie, der Haushalt. Da kann ich helfen“, sagt Kleinhans.
Rund ein Drittel der Bundesbürger gibt an, keinen Besuch einzuladen, weil sie ihre Wohnung zu unordentlich finden. Statistisch gesehen besitzt jeder von uns durchschnittlich 10 000 Gegenstände. Doch wie viele davon benutzen wir wirklich? Schätzungen zufolge nehmen wir nur 20 Prozent der Dinge oft und gerne in die Hand. Tatsache ist auch: Chaos kann belastend sein; es kostet Zeit, Geld, Energie und schränkt die Lebensqualität ein. Vielleicht wenden sich deshalb immer mehr Menschen an eine Ordnungsberaterin.
In unserem Haushalt leben drei Kinder: dreijährige Zwillinge und eine Achtjährige. Mein Mann und ich sind berufstätig und teilen uns den Haushalt. In unserer Wohnung gibt es einige Problemzonen. Wenn wir nicht jeden Tag mindestens eine Stunde aufräumen, herrscht das Gesetz der automatischen Verwahrlosung. Der Boden ist irgendwann komplett mit Spielsachen, Schuhen, Jacken oder Buntstiften eingestreut. Überall liegen Bücher, Zeitschriften, selbst gemalte Bilder, Scheren, Klebstoff . . . Dabei weiß ich nicht erst seit dem Bestseller „Simplify your life“ von Werner Tiki Küstenmacher: Weniger ist mehr.
Anne Kleinhans kennt mein Problem. Junge Familien, die gerade Kinder bekommen haben, gehören genauso zu ihren Kunden wie ältere Ehepaare oder Rentner, die ihr Leben neu ordnen wollen. Von Haus aus ist Kleinhans Designerin. Ihre Familie unterstütze sie 1994 beim Start ihres Ein-Frau-Büros für Raumkonzepte und Einrichtungsberatung. Dabei hat sie festgestellt, dass die Menschen mehr Hilfe brauchen. „Ordnung ist die wichtigste Basis für ein schönes Zuhause.“ Deshalb berät sie ihre Kunden nicht nur, wie sie sich neu einrichten, sondern hilft ihnen beim Ausmisten und Aufräumen. „Ich helfe vor allem, Entscheidungen zu treffen.“ Aufräumen und Ordnen machen ihr schon immer Spaß, daher hat sie sich 2012 einer bundesweit tätigen Aufräumagentur angeschlossen. Ihr Einsatzgebiet ist das Rhein-Main-Gebiet, aber sie fährt auch bis nach Würzburg, Aschaffenburg oder Coburg.
Der Rundgang beginnt im Schlafzimmer. Warum sind Kleiderschränke eigentlich immer zu klein? „Weil sie zu voll sind“, sagt die Ordnungsexpertin. Im Prinzip ziehen wir immer die gleichen Sachen an, der Rest fristet ein trauriges Dasein ganz hinten im Schrank. Dabei machen die Lieblingsklamotten meist nur ein Viertel der Garderobe aus. „Für jedes Teil, das Sie sich neu kaufen, entsorgen Sie ein altes Teil.“ Wenn die Ordnungsexpertin mit anpackt, fällt es leichter, Entscheidungen zu fällen. Dabei geht sie immer nach demselben Prinzip vor: Zuerst räumt man Regale, Schubladen oder Schränke leer. Reinigt sie, sortiert aus und räumt nur Dinge hinein, die man behalten möchte.
Was einfach klingt, fällt vielen Menschen schwer. Immer häufiger verlieren sie den Überblick über ihre Wohnung – und manchmal auch über ihr Leben. Doch: „Leuten, die ein großes seelisches Problem haben, können wir nicht helfen“, erklärt Kleinhans. Daher versucht sie, schon am Telefon abzuklären, warum der Mensch ihre Hilfe möchte. „Einem Messie kann ich nicht helfen.“
Problemzone Kinderzimmer. Hier treffen Puppen auf Pferde, Legobausteine auf Lernspiele, Puzzles auf Pixie-Bücher. Schnell wird klar: Hier fehlen ausreichend Kisten oder Behältnisse für all die verschiedenen Spielzeuge. „Wenn Dinge einen Platz haben, wo sie hingehören, dann fällt es auch Kindern leichter, sie wieder dorthin aufzuräumen.“ Überhaupt rät die Ordnungsexpertin, die Kinder beim Aufräumen von Anfang an mit einzubeziehen. „Ich helfe dabei, Strukturen zu finden“, sagt sie. So sortieren wir alle Schuhe in die eine Kiste, Mützen und Schals in eine andere. Alles kommt auf den Prüfstand. Später sind es nur wenige Handgriffe, und alles ist wieder an seinem Platz, verspricht die Expertin. Sie stellt fest: Drei Puppenbuggys und zwei weitere Wagen sind für unsere Wohnung zu viel: „Treffen Sie eine Entscheidung“, fordert mich Kleinhans auf. „Wenn ein neuer Puppenwagen ins Haus kommt, sollte ein anderes Stück gehen.“
Die Sachen ergreifen nicht selten Besitz von uns, sie verfolgen uns und engen uns in unserem Tun und Denken ein, stellt die praktizierende Minimalistin Regina Tödter fest. Sie hat den Ratgeber „Buddha räumt auf“ geschrieben, der Ende Februar erscheint. Denn anstatt die Loslösung von überflüssigen Gegenständen als eine Art gesundes „Abspecken“ zu empfinden, hebt man die meisten Dinge einfach auf, weil man sie geschenkt bekommen hat, man Emotionen damit verbindet oder man sie irgendwann noch einmal gebrauchen könnte.
Für mich, so findet Anne Kleinhans, sei es schwierig, Kisten mit gebrauchter Kleidung von Freundinnen anzunehmen. „Sie haben keinen Platz, um so viele Sachen zu lagern“, rät sie. „Fragen Sie ihre Freundinnen lieber gezielt, wenn sie etwas für die Kinder brauchen.“ In einem übersichtlichen, aufgeräumten Raum mit einer freien Fläche spielen Kinder lieber, als in einem vollgestopften.
Etwa einen Tag pro Zimmer braucht die Ordnungsexpertin, um in einer normal chaotischen Wohnung aufzuräumen. Dabei arbeitet sie mit drei verschiedenen Kisten: eine zum Wegwerfen, eine zum Verschenken und eine zum Verkaufen. Ganz wichtig: „Was aussortiert ist, muss auch raus.“
Im Wohnzimmer: Die Regale sind voller Bücher, auf den Tischen stapeln sich Zeitschriften. „Oft haben die Menschen mehr Zeitschriften abonniert, als sie überhaupt lesen können.“ Auch Bücher sind keine heiligen Gegenstände. Und wenn ein Buch zehn Jahre unberührt im Regal gestanden hat, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es jemals wieder gelesen wird. „Es gibt immer noch Büchereien, die gebrauchte Bücher annehmen“, rät Kleinhans. Oft sei es besser, Bücher auszuleihen: „Das schont Regale, Geldbeutel und Staublappen.“ Den größten Fehler, den man im Wohnzimmer machen kann, ist den Raum mit zu vielen Themen zu belegen: ein Platz zum Arbeiten, einer zum Kaffee trinken, einer zum Fernsehen, einer zum Spielen für die Kinder. Das ist zu viel. „Klar strukturierte Räume lassen sich besser aufräumen.“
Ordnung schafft Freiheit. „Wenn Sie sich nach Freiheit sehnen, ist es Zeit, sich von allem zu trennen, was Ihnen nicht mehr entspricht“, rät Professor Lothar Seiwert, Experte für Zeit- und Lebensmanagement. In seinem Buch „Lass los und du bist der Meister deiner Zeit“ geht es darum, überflüssigen Ballast loszuwerden. Seiwert rät, nur Dinge zu kaufen, die man braucht und die Anzahl der Flächen zu reduzieren, die man vollstellen darf. Viel zu besitzen mache das Leben nicht wertvoller, sondern unübersichtlicher.
Auch in der Küche sind die Schränke, Regale und Schubfächer voll, besonders die Schublade mit den Vorräten. Die Ordnungsberaterin räumt ein Fach nach dem anderen aus und wischt alles aus. „Wir räumen nur die Dinge in den Schrank zurück, die Sie in den letzten drei Monaten gebraucht haben.“ Kleinhans strukturiert und ordnet: Dinge wie Müsli oder Kaffee, die man oft braucht, stehen jetzt vorne. Dinge wie rote Linsen oder Puderzucker weiter hinten. Nun ist der Gewürzschrank an der Reihe: „Wenn man ein Gewürz nur einmal im Jahr braucht, muss es raus.“ Auch Tassen, Teller, Töpfe und Gläser kommen auf den Prüfstand. Zu viel verstopft den Geschirrschrank.
Es sind viele Dinge, die man nicht wirklich braucht. Das wird einem beim Aufräumen bewusst. „Alles hat seinen Platz und dort muss es auch wieder hin.“ Wer diesen Leitsatz berücksichtigt, macht schon viel richtig. Noch dazu überprüft die Expertin auch die Wege in der Wohnung. Steht der Mülleimer neben der Arbeitsfläche? Liegen die Handtücher im Bad? Auch wenn Abläufe nicht stimmen, kann Unordnung entstehen. Aufräumen mit einem Ordnungscoach ist viel effektiver und macht mehr Spaß. Und man lernt dabei einiges: „Was Sie länger als zwölf Monate nicht im Einsatz hatten, fliegt raus. Sammeln ist gut, aussortieren befreit.“
Ordnungshilfen
Wer Ordnungsexpertin bei Google eingibt, landet etwa 2500 Treffer. Das Portal OrdnungsService.com, das 2004 gegründet wurde, ist ein bundesweites Netzwerk mit 26 Partnerinnen. Dort bietet auch Anne Kleinhans ihre Dienstleistungen an. Bestseller unter den Aufräum-Ratgebern ist „Magic Cleaning. Wie Wohnung und Seele aufgeräumt bleiben“ von Marie Kondo (Rowohlt, 9,99 Euro). Dass ein erfülltes Leben nichts mit Überfüllung zu tun hat, sondern eine Konzentration auf das Wesentliche braucht, erklärt Regina Tödter in „Buddha räumt auf. Wie man mit weniger glücklich wird.“ (Südwestverlag, 12,99 Euro). Text: clk