Zahlreiche Vereine aus Main-Spessart und weit darüber hinaus tragen ihre Trachten: Die Firma Benkert aus Thüngen hat sich aber nicht nur damit einen Namen gemacht. In diesem Jahr feiert das Unternehmen 125-jähriges Bestehen. "Mein Großvater wohnte im Armenhaus, war also kein reicher Mann, als er die Firma 1898 gegründet hat", erzählt Horst Benkert (75) im Gespräch mit dieser Redaktion.

Er und seine Frau Ruth (69) haben das Geschäft nach dem Unfalltod ihres Sohnes 2014 an Norbert und Ute Johannes übergeben. Auch in der Familie des 58-Jährigen hat das Schneiderhandwerk Tradition, Sohn Simon steht gerade kurz vor der Gesellenprüfung. Im Interview blicken die Benkerts auf die bewegte Firmengeschichte zurück und sie sprechen über die Herausforderungen nach dem Tod ihres Sohnes. Johannes gibt zudem Einblicke in aktuelle Trends und Herausforderungen.

Frage: Herr Johannes, das Frühjahrsvolksfest in Würzburg ist vorbei. Heißt das für Sie: Verschnaufpause?
Norbert Johannes: Im Verkauf geht die Nachfrage vor allem vor den Festen los, etwa der Lohrer Festwoche. Für Vereinsarbeiten ist unsere Schneiderei heuer schon bis September ausgebucht. Gerade nach Corona haben wir hier viel zu tun.
Würden Sie sagen, dass der Trachten-Boom aktuell vorbei ist?
Norbert Johannes: Nein. Durch Corona hat das Geschäft zwar zwei Jahre lang geruht. Als dann aber 2022 wieder Feste stattfinden konnten, haben wir von April bis Juli fast nur Änderungen für Vereine gemacht.
Ute Johannes: Für Privatkunden haben wir rechtzeitig vorgeordert, besonders bei den 15- bis 25-Jährigen war dann die Nachfrage hoch.

Welche Trends gibt es derzeit bei Trachten?
Ruth Benkert: Traditionelle fränkische Trachten werden fast nur noch von Vereinen nachgefragt. Die wird es in ihrer Vielfalt aber auch in 100 Jahren noch geben.
Norbert Johannes: Zurzeit geht der Trend bei den Herren zu höherwertigeren Lederhosen, Hemden und Westen.
Ute Johannes: Bei den Damen sind hochgeschlossene Dirndl modern, etwa in Nude-Tönen. Auch Spitzenschürzen werden aktuell viel nachgefragt. Beim Einkauf achten wir auf Tradition, aber auch aktuelle Farben und Trends.
"Die Produktion durfte nicht zu teuer sein, denn die Konkurrenz war damals groß."
Horst Benkert erinnert sich an die Anfänge des Familienunternehmens
Herr Benkert, was ist für Sie ein wichtiger Meilenstein in der Unternehmensgeschichte?
Horst Benkert: 1971 haben wir den ersten Verein eingekleidet; den Retzbacher Spielmannszug mit 50 Westen. Davor haben wir immer Anzüge und Kostüme gemacht. Dieser Auftrag hat mir gefallen. Ein Monteur hat uns extra dafür eine alte Knopflochmaschine hergerichtet. Danach kam auch der Gerbrunner Spielmannszug und wollte 50 Westen und Hosen bestellen. Mein Vater, der zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus lag, wollte mich davon abbringen – ich habe es aber doch gemacht. Seitdem haben wir tausende Vereine, vor allem in einem Umkreis von über 100 Kilometern, eingekleidet.
Ruth Benkert: Als mein Mann das Unternehmen 1973 übernommen hat, war es noch auf klassische Schneiderarbeiten ausgerichtet. Der Schneidermeister ist zu Privatkunden gefahren und hat etwa ein Kostüm maßangefertigt. Das wurde dann in Raten bezahlt, man musste dem Geld quasi hinterherrennen. Die erste Vereinsanfrage und der spätere Umzug haben vieles verändert. Darin lag die Zukunft des Geschäfts.

Wie konnte sich Horst Benkert gegen die damals noch große Konkurrenz im Textilgewerbe durchsetzen?
Horst Benkert: Die Produktion durfte nicht zu teuer sein, denn die Konkurrenz war damals groß. Rund um Aschaffenburg gab es rund 300 Kleiderfabriken. Und obwohl bei uns schon früh rationell, also in effektiven Arbeitsschritten, gearbeitet wurde, sind unsere Produkte bis heute Maßanfertigungen – das ist unsere Stärke. Das macht eine Fabrik nicht.

1992 sind Sie vom ursprünglichen Sitz des Unternehmens in die Gutenbergstraße gezogen. Was hat sich damit verändert?
Horst Benkert: Die Vereine wurden mit Strümpfen, Lederhosen und Hemden ausstaffiert, wir hatten aber keinen Platz für noch mehr Zubehör. Früher haben wir nur ein bisschen Blusen und Röcke für Frauen verkauft, die Kunden wollten aber mehr Auswahl. Und so hat sich das Geschäft auch am neuen Standort immer mehr gefüllt. Für die Bestückung mussten wir nochmal viel Geld investieren. In dieser kräftezehrenden Zeit haben meine Frau Ruth und ich sicher 70 Stunden in der Woche gearbeitet. Ohne meine tüchtige Frau hätte das alles nicht funktioniert.

Auch am neuen Standort hatten Sie Ihre Wohnung direkt am Verkaufsraum. Was hat das mit Ihnen als Familie gemacht? Wie war das für Ihre beiden Söhne?
Ruth Benkert: Der Vorteil war: Wir waren immer daheim und haben uns die Kinderbetreuung eben aufgeteilt. Und: Die Küche war gleich die Treppe hoch (lacht).
Horst Benkert: Vereine wollten damals nicht mit 30 oder 40 Personen ins Geschäft kommen, also sind wir hingefahren. Am Wochenende waren wir vor dem Fall der Mauer oft an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze – da haben wir ganz viele Vereine ausgestattet, weil es hohe Zuschüsse gab – und unsere Söhne haben wir einfach mitgenommen. Wir haben zwei Stunden ausgemessen, die Kinder haben währenddessen Lego gespielt oder durften bei Musikkapellen mal am Schlagzeug sitzen. Und danach ging's dann in den Wildpark.
"Ich wollte eigentlich alles stornieren und aufgeben. Aber von vielen Seiten wurde uns gut zugeredet – und dann haben wir halt weitergemacht."
Ruth Benkert über die Zeit nach dem Tod von Sohn Jochen
An welche besonderen Projekte denken Sie gerne zurück?
Horst Benkert: Wir haben 2008 für den damaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein eine fränkische Tracht gefertigt. Und weil er wohl keine Kniebundhose getragen hätte, haben wir ihm Weste, Jacke, Hemd, Schleife und Dreispitz gemacht. Und für den Lindenstraßen-Schauspieler Ludwig Haas haben wir in den 1980ern eine Hitler-Uniform für die Ruhrfestspiele genäht. Unseren bisher größten Auftrag hat uns 1974 die KaKaGe in Karlstadt beschert: 70 Leute bekamen eine historische Uniform mit Leinenhemden, Stulpen und 2500 überzogenen Knöpfen. Die haben wir alle per Hand gemacht, da hat jeder in der Familie mitgeholfen.

2009 hat Ihr Sohn Jochen die Geschäftsführung übernommen, brachte neue Ideen ein – bis er 2012 plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Was hat das mit Ihnen als Eltern, aber auch als Unternehmer gemacht?
Horst Benkert: Wir haben weitergearbeitet, und das war gut. Die Mitarbeiterinnen wurden weiterbeschäftigt und die bestehenden Aufträge erledigt. So waren wir für einige Zeit von unserer Trauer abgelenkt.
Ruth Benkert: Ich wollte eigentlich alles stornieren und aufgeben. Aber von vielen Seiten wurde uns gut zugeredet – und dann haben wir halt weitergemacht. Auch wenn das Organisatorische schwierig war und schnell geregelt werden musste.

2014 haben Sie, Herr Johannes, gemeinsam mit Ihrer Frau Ute das Geschäft übernommen. Wie kam es dazu?
Norbert Johannes: Mein Vater wurde in Thüngen zum Schneider ausgebildet, allerdings nicht bei Benkert. 1998 wurde ich Inhaber der familieneigenen Schneiderei in Obereuerheim bei Schweinfurt. Wir hatten damals noch 30 Mitarbeiter, stellten vor allem für deutsche Unternehmen her. Mit der zunehmenden Produktion im Ausland wurden die Aufträge aber immer weniger. Dann hat Herr Benkert den Kontakt zu mir aufgenommen und nach einer Probephase haben wir uns voll darauf konzentriert.
Ute Johannes: Durch meine langjährige Erfahrung als Fachverkäuferin habe ich mich mit meinem Mann dazu entschlossen, das Geschäft zu übernehmen. Wir arbeiten gut zusammen – ich im Verkauf und er in der Werkstatt.

Mit welchen Herausforderungen haben sie aktuell zu kämpfen?
Norbert Johannes: Die Inflation spüren wir total. Vor Corona konnten wir die Preise für Vereine teilweise ein Jahr lang halten, zur Zeit geht das nur für vier Wochen. Denn nach dieser Zeit können sich die Einkaufspreise schon wieder geändert haben. Auch kurzfristige Bestellungen bei Lieferanten gehen nicht mehr, das macht die Planung schwer. Ich muss für jeden Auftrag sehen, dass ich Knöpfe, Stoffe und sonstiges Zubehör möglichst schnell da habe. Und auch die gestiegenen Energiepreise spüren wir natürlich. Die Branche ist aber besonders nach Corona zuversichtlich.
125 Jahre Trachten Benkert in Thüngen1898: Josef Benkert gründet das Unternehmen. Er beschäftigt zwei Lehrlinge.1904: Das Haus in der Mittelgasse 11 in Thüngen wird erworben und als Wohnhaus und Werkstatt genutzt. Während des Ersten Weltkriegs musste Benkert Uniformen für die Reichswehr nähen.1943: Adolf Benkert übernimmt den väterlichen Betrieb. Er ist das neunte von zehn Kindern.1973: Horst Benkert übernimmt das Unternehmen mit 25 Jahren und wird 1974 Obermeister der Würzburger Herrenschneider und jüngstes Mitglied im Landesinnungsverband Bayern.1992: Neue Werkstatt und Verkaufsräume werden in der Gutenbergstraße gebaut und die Auswahl erweitert.2006: Horst Benkerts Sohn Jochen kehrt nach Stationen in anderen Unternehmen nach Thüngen zurück. Er führt Stickereien und ein Baukastensystem für Maßanzüge ein. 2009 übernimmt er die Leitung des Unternehmens.2012 stirbt Jochen Benkert unverschuldet bei einem Verkehrsunfall. Horst Benkert übernimmt wieder die Geschäftsführung und langjährige Mitarbeiter.2014: Norbert und Ute Johannes übernehmen die Geschäftsleitung.Das Unternehmen hat bislang acht erste Bundessieger im Schneiderhandwerk (darunter auch Jochen Benkert) hervorgebracht und 35 Lehrlinge ausgebildet. Quelle: Benkert