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Burgsinn: 300-jähriger Waldprozess in Burgsinn: Ein Stück Justizgeschichte

Burgsinn

300-jähriger Waldprozess in Burgsinn: Ein Stück Justizgeschichte

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    Burgsinn ist umgeben von Gemeindewald. 
    Burgsinn ist umgeben von Gemeindewald.  Foto: Adolf Spreng
    Rechtsanwalt Adolf Bayer.
    Rechtsanwalt Adolf Bayer. Foto: Repro Bruno Schneider

    Die Gemeinde Burgsinn gehört heute mit einer Waldfläche von 3200 Hektar zu den waldreichsten Gemeinden Bayerns. Zu verdanken hat sie dies Rechtsanwalt Adolf Bayer von Anspach, der 1899 die sich über 300 Jahre erstreckenden Waldprozesse gegen die Freiherren von Thüngen erfolgreich für die Gemeinde zu Ende führte. Vor dem Obersten Landesgericht München erklärte er: „Es ist meine Lebensaufgabe, der Gemeinde Burgsinn zum Sieg zu verhelfen.“ Sein Sohn gleichen Namens meinte rückblickend, er habe mit heiligem Schauer die Menge der vom Gemeinderat überbrachten Akten betrachtet. Sie füllten eine ganze Kammer der Kanzlei. Die lange Dauer und die Einmaligkeit dieses Zivilprozesses lohnen ein Blick in seine Geschichte.

    Im 16. Jahrhundert waren die Freiherren von Thüngen die Besitzer des Ritterguts Burgsinn. Eberhard von Thüngen und seine Vettern Bernhard und Melchior erließen eine Holz- und Dorfordnung, die die Rechte der Bauern vor allem im Wald einschränkte. Die Fron wurde erhöht. Außerdem nahmen sie den von Kaiser Ludwig erteilten Marktbrief weg. Dies alles steigerte die Unzufriedenheit der Bauern und Unruhen waren die Folge.

    Die Gemeinde erinnert an ihre Vorkämpfer im Waldprozess mit Straßennamen.
    Die Gemeinde erinnert an ihre Vorkämpfer im Waldprozess mit Straßennamen. Foto: Bruno Schneider

    Die Bauern Max Muthig und Heinrich Loew konnten mit alten Kaufbriefen nachweisen, dass ihre Güter freies Eigentum waren und nie zum Rittergut gehörten. Als sie ihr Recht zum Bezug von Brenn- und Bauholz wahrnahmen, warfen sie die von Thüngen ins Gefängnis und klagten sie vor dem Centgericht in Mittelsinn „peinlich“ an. Als sie aber das Centgericht aufforderten, Max Muthig wegen Aufruhrs zum Tode mit dem Schwert zu verurteilen, verweigerte es sich. Die beiden blieben weiterhin im Gefängnis, bis sie unter Folter 1567 auf ihre Rechte verzichteten.

    Loew und Muthig begannen nun ihren Zivilprozeß vor dem Reichskammergericht in Speyer. Eine Vorladung des Gerichts am 9. Januar 1568 ignorierten die Freiherrn Bernhard und Eberhard von Thüngen. Zudem vertrieben sie die beiden Kläger von Haus und Hof. Das Gericht befahl ihnen deshalb, während des Rechtstreites sich jeder Gewalttat zu enthalten.

    Burgsinner kämpften um ihren Wald

    Die Erhebung der Rittersteuern und die harte Bestrafung der Bauern, die die vermehrten Fronden verweigerten, steigerte die Unzufriedenheit der Burgsinner. Sie wandten sich an den Markgrafen und legten ihm ihre Beschwerden vor. 1594 kam ein notdürftiger Vergleich zustande, der die von Thüngen in ihrem Besitz schützte und den Burgsinnern die Möglichkeit einräumte, ihre behaupteten Rechte und Freiheiten zu beweisen.

    Die Beschwerde führenden Bauern konstituierten sich nun als selbstständige Gemeinde und klagten vor dem Reichskammergericht. Dieses erließ 1595 ein Mandat, die gefangenen Bauern freizulassen und die Gemeinde in ihren behaupteten Rechten zu belassen.

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    Doch die Juncker kümmerten sich weder um diese noch um die folgenden Weisungen. Erst unter Androhung der Reichsacht waren sie 1624 zu einem Vergleich bereit. Die Gemeinde ließ ihre Rechte vor Zeugen und einem Notar beurkunden. Die Freiherren versprachen 1000 Gulden und ein Fuder Wein zur Befriedung der Ortseinwohner. Dem kamen sie nicht nach und wurden wegen neuerlicher Gewaltakte an 1624 in die Reichsacht gelegt. Der beauftragte kurfürstliche mainzische Amtmann vollzog in Begleitung von 300 Soldaten 1630 die Acht und wies die Gemeinde in die ihr zugesprochenen Wälder ein.

    Nach dem Sterben der Geächteten dachte die Familie von Thüngen wieder an die Wiedergewinnungen ihrer Besitzungen. Der in kaiserlichen Diensten stehende General-Feldzeugmeister Johann Karl von Thüngen erwirkte beim Reichskammergericht in Wetzlar 1692 ein Mandat gegen die Gemeinde mit der Begründung, sie hätte gegen den Vergleich von 1594 verstoßen. Das Gericht konnte nicht über die Vorakten aus Speyer verfügen, denn sie befanden sich in französischen Besitz. 1697 nahmen deshalb die Freiherrn den Ort Burgsinn wieder in Besitz.

    Da das Reichkammergericht zu Speyer durch den Einfall der Franzosen für kurze Zeit ausgeschaltet war, konnte die Gemeinde erst 1716 ein Gesuch auf Wiedereinsetzung in ihre früheren Rechte einreichen. Nach vier Jahrzehnten erging 1755 das Urteil. Der Gemeinde wurden wieder die Waldungen mit dem Recht auf Holz, Mast, Weide und Jagd zugesprochen, weil das Urteil von 1697 gegen die rechtskräftigen Urteile des Reichkammergerichtes zu Speyer verstoßen hatte.

    Den Freiherrn von Thüngen blieb es vorbehalten, den Nachweis des erkauften Eigentums und der Lehenseigenschaft nachzuweisen. Der Gemeinde wurden deswegen Beschränkungen für die Nutzung auferlegt. Die Verhandlungen für Thüngensche Wiedereinsetzungsgesuche zogen sich bis 1791 hin, ohne dass es vor Auflösung des Reichkammergerichtes mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches zu einer Entscheidung gekommen wäre.

    Wegen der aufgelegten Beschränkungen drängte die Gemeinde auf eine Entscheidung. Das jetzt zuständige Bayerische Kreisgericht Würzburg wies jedoch 1841 die Restitution [Wiederherstellung alter Verhältnisse] gegen das Wetzlarer Urteil von 1755 zurück. Es blieb beim Vorbehalt für die von Thüngen, ihr Eigentum am Wald und dessen Zugehörung zum Lehen besser nachzuweisen. Die Freiherren erhofften sich eine bessere Anerkennung ihrer Beweise beim Landgericht Würzburg. Dort beantragten sie deshalb 1888, dass die Gemeinde ihr Eigentum am Wald anerkenne und ihn an die von Thüngen herausgebe. Außerdem sollte die Gemeinde die bisher bezogenen Nutzungen ersetzen.

    Adolf Bayer suchte anderen Weg

    Adolf Bayer, der Anwalt der Gemeinde Burgsinn, befürchtete jedoch, dass auch dieser Prozess keine Änderung bringen würde und suchte einen anderen Weg. Er konnte nachweisen, dass der Wald in den vergangenen Jahrhunderten im Eigentum der Gemeinde Burgsinn gewesen ist. Das Landgericht bestätigte die ordentliche Ersitzung von 1848 – 1888, die außerordentliche von 1627 – 1699 und das Oberlandesgericht die ordentliche Ersitzung von 1653 – 1667. Das Oberlandesgericht ließ schließlich die Ersitzung von 1630 – 1693 gelten. 

    Eine Ersitzung bedeutet die gesetzliche Erwerbung des Eigentums. Man unterscheidet die ordentliche Ersitzung, bei der es einen Titel wie Kauf, Schenkung, Erbschaft gibt, und die außerordentliche Ersitzung, bei welcher der Besitzbeginn unaufgeklärt bleibt, so dass der Ersitzende einen Titel nicht anzugeben braucht. Damit hatte Rechtsanwalt Bayer den Prozess erfolgreich zu Ende geführt. Nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel endete 1899 der 300-jährige Waldprozess zu Gunsten der Gemeinde.

    Die Burgsinner Bürger feierten ihren Sieg. Die Gemeinde verlieh Adolf Bayer das Ehrenbürgerrecht, erhöhte großzügig sein Honorar und räumte ihm ein Holzrecht auf Lebenszeit ein. Zu Erinnerung an diesen Festtag erhielten die Schulkinder Wurst und Weck, die jüdischen Kinder auf Anordnung des Bürgermeisters eine besondere „koschere“ Wurst. Die Gemeinde konnte es sich nun leisten, allen Burgsinner Kindern für die Zukunft die Schulmaterialien kostenlos zu stellen. Außerdem baute sie ein Rathaus und ein neues Schulgebäude.

    Der Wald spült Geld in die Gemeindekasse. Unser Bild zeigt die Eichensubmission von März 2021.
    Der Wald spült Geld in die Gemeindekasse. Unser Bild zeigt die Eichensubmission von März 2021. Foto: Jürgen Gabel

    Noch heute profitiert die Gemeinde als Besitzerin des Waldes. „Rekordjahr für die Burgsinner Gemeinde“, hieß es in einem Bericht der Main-Post über die Eichensubmission im Burgsinner Gemeindewald. Sie ist das Ergebnis einer herausragenden forstlichen Arbeit der Revierförster, aber auch, weil es durch den Streit der Gemeinde mit den Freiherren von Thüngen zu langen Nutzungseinschränkungen gekommen war.

    Zum Autor: Bruno Schneider ist seit 1996 Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Gemünden und seit 2018 Kreisarchivpfleger. Im Historischen Verein Gemünden und Umgebung e. V. engagiert er sich als Beirat und verwaltet das Archiv.

    Literatur: Bayer, Adolf: Der 300jährige Waldprozeß, Lohr 1961 und Dr. H. Lammer: Das Lehen Burgsinn, München 1886

    Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

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