Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Untermain
Icon Pfeil nach unten

Aschaffenburg: Ärzte und Pflegekräfte planen Klinikalltag in  Aschaffenburg völlig neu: "Wir arbeiten auf Augenhöhe"

Aschaffenburg

Ärzte und Pflegekräfte planen Klinikalltag in  Aschaffenburg völlig neu: "Wir arbeiten auf Augenhöhe"

    • |
    • |
    Auf der selbstorganisierten Station im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau sollen Ärzte und Pflegekräfte nach völlig neuen Konzepten zusammenarbeiten. Bundesweit ist das ein einmaliges Modellprojekt.
    Auf der selbstorganisierten Station im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau sollen Ärzte und Pflegekräfte nach völlig neuen Konzepten zusammenarbeiten. Bundesweit ist das ein einmaliges Modellprojekt. Foto: Arian Ayazpoor

    Das Gesundheitswesen krankt. Personal fehlt, Geld auch – und vor allem Ideen, wie sich das ändern lässt. Im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau startet derzeit ein bundesweit einmaliges Modellprojekt: eine Station, auf der Ärzte und Pflegekräfte selbstorganisiert und damit nach völlig neuen Konzepten arbeiten. "Man schaut, was braucht der Patient, was braucht der Mitarbeiter – und organisiert dann bedürfnisorientiert die Station", sagt Professor Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Chirurgischen Klinik I und Initiator des Projekts. Ziel sei es, dass diejenigen, die pflegen und behandeln, ihre Zusammenarbeit selbst entwickeln. Nur: Was ändert sich dadurch konkret für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen? Und wie funktioniert das innerhalb eines großen Klinikums?

    Der Grundgedanke: Auf der Modellstation ersetzen Rollenkonzepte traditionelle Hierarchien. All diese Rollen würden dann nach fachlicher Kompetenz im Team vergeben, sagt Schmitz-Winnenthal. Zudem sollen alle Aufgaben im Klinikalltag und die damit verknüpften Anforderungen klar definiert sein. So wisse jeder genau, was er in einer bestimmten Rolle zu erledigen habe und was nicht, das Gefühl der Überforderung bleibe aus.

    Im Zentrum der neu organisierten Station stehen klar definierte Rollen

    Beispielsweise würden neue Patienten schon vor der Aufnahme besprochen und das Team entscheide, wer welche Aufgabe am besten übernehmen könne. Wer klärt auf, wer weist ein, wer betreut vor dem Eingriff und wer übernimmt nach der OP? Auch Dienstpläne sollen gemeinsam erstellt und nicht mehr "von oben" vorgegeben werden. Das bedeute aber nicht, "dass jeder macht, was er will", so Schmitz-Winnenthal. In Notfällen werde nach wie vor schnell gehandelt und keinesfalls alles ausdiskutiert. Auf der Station gebe es weiterhin Hierarchien, nur basierten diese nicht zwangsläufig auf der Berufsbezeichnung, sondern eben auf der Rolle, die der Einzelne gerade einnehme. Und: Am Ende bleibe er selbst als Chefarzt verantwortlich für die medizinische Versorgung.

    Ärzte und Pflegende sind damit auf der neuen Station nicht gleichgestellt – aber es kann sein, dass plötzlich eine Pflegekraft in einer bestimmten Rolle vom Oberarzt etwas einfordert und er das erfüllen muss. Daran müsse man sich natürlich gewöhnen, sagt Schmitz-Winnenthal.

    Im Klinikum war das Echo nach der Ankündigung geteilt

    Die Ankündigung dieses Modellprojekts im Sommer 2022 sorgte für Schlagzeilen, positive und negative. Und auch im Klinikum war das Echo geteilt. "Es gibt Leute, die Angst haben, die sich nicht wertgeschätzt fühlen", gibt Schmitz-Winnenthal zu. "Jetzt kommen die und wollen alles besser machen", den Spruch habe er immer wieder gehört. Darum gehe es aber nicht.

    Professor Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Chirurgischen Klinik I, hat das Modellprojekt am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau initiiert.
    Professor Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Chirurgischen Klinik I, hat das Modellprojekt am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau initiiert. Foto: Archivbild: Main-Echo/Stefan Gregor

    Mitte Januar haben er und sein Team die Modellstation übernommen, in "zwei, drei Monaten" soll der Regelbetrieb laufen. Insgesamt werden auf der Station 16 Ärzte und 28 Pflegekräfte arbeiten.

    Eine von ihnen ist Johanna Stecher. Die 32-Jährige hat nach ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zweieinhalb Jahre in der Pflege gearbeitet, teils als "Leasing-Krankenschwester", aber oft nicht so, "dass ich es mit meinem Gewissen vereinbaren konnte". Deshalb studierte sie Betriebswirtschaftslehre und wollte so "einen Weg finden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern". Funktioniert habe das nicht, zu starr seien die Strukturen.

    "Wir können alle im Krankenhaus landen und wir alle leiden darunter, dass die Qualität in den Krankenhäusern stetig abnimmt."

    Johanna Stecher, Pflegefachkraft im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau

    Das Projekt in Aschaffenburg sieht sie als "eine Option, von der Basis heraus etwas zu verbessern". Deshalb kehrt sie dort zurück in die Pflege. Denn der Beruf, sagt sie, sei absolut sinnstiftend. "Das ist etwas, was oft vergessen wird: Wir können alle im Krankenhaus landen und wir alle leiden darunter, dass die Qualität in den Krankenhäusern stetig abnimmt."

    Die Modellstation könne den Pflegeberuf aufwerten, glaubt Stecher. "Die Verantwortung dafür, wie wir arbeiten, in welchen Strukturen, die liegt bei uns." Und: "Wir arbeiten auf Augenhöhe".

    Bisher wurde die neue Station vor allem theoretisch auf die Beine gestellt. In mehreren Workshops haben Coaches und Organisationsentwickler wie Nadja Nardini die Mitarbeiter geschult und sie auf das selbstorganisierte Arbeiten vorbereitet. Dafür wurden beispielsweise Klinikabläufe reflektiert, neue Meetingstrukturen etabliert, Stärken und Schwächen analysiert, "geschaut, wer eignet sich für welche Rolle". Und geübt. Denn die Zusammenarbeit in Rollen statt in klassischen Klinikhierarchien gelingt nicht von heute auf morgen.

    Solche sogenannten New-Work-Ansätze gebe es auch in anderen Branchen, sagt Nardini. Im Klinikkontext sei es aber "ein Pilotprojekt", ein fertiges Konzept dafür in der Schublade habe niemand. Hinzu kommt: Der Rest des Klinikums arbeitet in den klassischen Strukturen weiter. Sicher sei das eine Herausforderung, sagt Nardini.

    Am Tarifgehalt wird nicht gerüttelt, aber es gibt Zulagen

    Beim Gehalt beispielsweise stießen die Möglichkeiten zur Veränderung auch in Aschaffenburg an Grenzen. Bei der Betriebsvereinbarung für das Projekt sei das ein "großes Thema" gewesen, gibt Chefarzt Schmitz-Winnenthal zu. Ergebnis: Am Tarifgerüst werde nicht gerüttelt, die Projektmitarbeiter bekommen aber eine Zulage.

    Wie gut lässt sich die Modellstation also in das Klinikum integrieren? "Das kann ich noch nicht sagen", sagt Schmitz-Winnenthal. Das Projekt hat keine Erfolgsgarantie, aber es ist ein Versuch – und der ist für den Chefarzt alternativlos.

    Heute werde in Kliniken "eine absolute Mangelverwaltung" gelebt, sagt Schmitz-Winnenthal. Oft hieße es, die Politik müsse daran etwas ändern. Veränderung muss aber aus seiner Sicht von innen kommen, von den Stationen. Denn kranken Menschen helfen zu können, das sei ein hoher Wert. "Dass das nicht so wahrgenommen wird, das ist ein großes Problem – und das wird uns auf die Füße fallen."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden