Wer außerhalb der Sprechzeiten abends oder am Wochenende einen Arzt braucht, ohne gleich ein Notfall zu sein, hat derzeit im Landkreis Main-Spessart Pech. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) hat kürzlich mitgeteilt, dass bereits ab Freitag vergangene Woche die Bereitschaftspraxis für den Main-Spessart-Kreis am Standort des Klinikums in Lohr geschlossen hat. Ursache ist die Uneinigkeit zwischen der KVB als Mieterin und dem Klinikum Main-Spessart als Vermieter über den Zustand der Behandlungsräume. Das bestätigen Martin Eulitz, Pressesprecher der KVB, und Landrätin Sabine Sitter auf Anfrage der Redaktion.
Leidtragende sind Menschen, deren Beschwerden nicht lebensbedrohlich sind, aber doch so stark, dass sie abends oder am Wochenende nicht bis zur nächsten Sprechstunde eines niedergelassenen Arztes warten wollen oder können. Sie müssen nun nach Auskunft der KVB in die Bereitschaftspraxen in die umliegenden Landkreise. Über die kostenlose Rufnummer 116117 können sich hilfesuchende Patienten Rat holen, sich die nächstgelegene geöffnete Bereitschaftspraxis vermittelt lassen oder bei medizinischer Notwendigkeit einen Hausbesuch eines diensthabenden Arztes vereinbaren, teilt die KVB mit. Die nächstgelegenen Bereitschaftspraxen befinden sich zum Beispiel am Klinikum Aschaffenburg, in Wertheim, Würzburg, Bad Kissingen, Erlenbach (Kreis Miltenberg), Schlüchtern und Gelnhausen.
Ausweichende Antworten
Auf Nachfrage der Redaktion bei KVB, Klinikum und Landratsamt hatte es zunächst nur allgemeine bis ausweichende Antworten gegeben. Die KVB schrieb, die Praxis müsse kurzfristig aus strukturellen Gründen geschlossen werden, da durch den Vermieter dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind.
Im Ausschuss für Gesundheit des Kreistags sagte Landrätin Sabine Sitter am Montag, sie sei von der Schließung der Praxis überrascht gewesen. Das Landratsamt habe den Schriftverkehr zwar gekannt, ihn aber nicht als so relevant bewertet. Über das Wochenende habe man versucht, eine Notversorgung zu organisieren. In einer Hochphase der Pandemie die ambulante Versorgung zu schließen, sei "sehr bedenklich".
Die Bereitschaftspraxis befand sich seit Monaten nicht mehr im Klinikgebäude, sondern in Containern auf dessen Rückseite. Grund für die Verlagerung ist und war die Corona-Pandemie. Das Klinikum will und wollte so verhindern, dass über Patientinnen und Patienten der Bereitschaftspraxis das Coronavirus eingeschleppt wird. Die Container sind nun der Streitpunkt, wie weitere Nachfragen ergeben haben.

Martin Eulitz, der Pressesprecher der KVB, schreibt zur Schließung: "Bei den Gründen handelt es sich um bauliche Mängel bei den Containern, deren Folgen – auch nach Einschätzung der Aufsichtsbehörden – eine Gesundheitsgefährdung darstellen können. Der Vermieter war trotz mehrmaliger Aufforderung nicht bereit, die Mängel abzustellen oder eine Rückkehr in die bisherigen Räume der Bereitschaftspraxis zu ermöglichen. Daher waren wir nun zum Schutz unserer Mitglieder und Mitarbeiter und auch der Patienten schon aus Fürsorgegründen kurzfristig zu diesem Schritt gezwungen."
Sitter lehnt Umzug in Klinikum weiter ab
Könnte die KVB wieder in die Räume innerhalb des Klinikums umziehen, würde sie die Bereitschaftspraxis sofort wieder eröffnen, heißt es weiter. Dies lehnt Landrätin Sitter angesichts der Corona-Pandemie jedoch weiterhin ab. Sie bestätigte am Freitag, dass es Differenzen mit der KVB über den Zustand der Container gebe, spricht aber von einer deutlich geringeren Tragweite als die KVB. Die Situation sei "suboptimal", die Corona-Pandemie aber auch eine Sondersituation. Am Dienstag sei eine Begehung des Gesundheitsamts geplant, bei der der Zustand der Räume kontrolliert werden solle. Dann werde sich weisen, wie das Amt die Situation interpretiert. Die kurzfristig verkündete Schließung trifft bei ihr auf Unverständnis.
"Unvorbereitet in einer Hochphase der Pandemie eine Bereitschaftspraxis zuzumachen, halte ich für sehr irritierend", so die Landrätin. Sie selbst habe genau wie das Klinikum erst am Donnerstagabend von der Schließung erfahren. Das Klinikum habe nun Plakate an den Containern der Bereitschaftspraxis aufgehängt, um die Patienten, die in den kommenden Tagen möglicherweise kommen, zu informieren. In der Notaufnahme des Klinikums werde man Patienten, die sich dorthin wenden, weiterhelfen und bei Bedarf untersuchen. Das bedeute allerdings wiederum ein höheres Risiko, dass das Coronavirus ins Haus kommt, so Sabine Sitter hörbar frustriert am Telefon. Sie bittet darum, die Notaufnahme nur bei echten Notfällen aufzusuchen und sich sonst telefonisch an den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu wenden.
Persönlicher Eindruck von der BereitschaftspraxisEinen Eindruck zum ärztlichen Bereitschaftsdienst in den Containern am Kreiskrankenhaus Lohr schildert ein der Redaktion bekannter Beobachter: "Ich war im Spätsommer abends mit meiner Frau dort, weil es ihr plötzlich nicht gut ging. Wir waren etwas überrascht wegen der Räumlichkeiten, nämlich die schmucklosen Container vor der Notaufnahme des Klinikums. Spartanisch eingerichtet, wirkte absolut wie ein Provisorium, was es ja wohl auch ist. Nicht ganz barrierefrei am Eingang für jemanden mit Rollator, aber die Stufe war überwindbar. Die Station erinnerte uns an Bilder von medizinischer Versorgung in Krisengebieten, aber das soll nichts heißen bezüglich der Versorgungsqualität. Computer und Lesegerät für die Gesundheitskarte waren vorhanden und funktionstüchtig.Aufgrund der räumlichen Situation nur ein ganz kleiner Wartebereich, aber wir waren ohnehin gerade die einzigen Kunden. Offenbar war in dem Zeitraum überhaupt wenig los in der Praxis, wie sich aus Äußerungen des Personals schließen ließ: eine Arzthelferin und ein Arzt, beide freundlich und hilfsbereit. Alles in allem: In Bezug auf die Räumlichkeiten ein krasser Gegensatz im Vergleich zu mancher Facharztpraxis mit weitläufigen Empfangsbereichen und Wartezimmern mit moderner Kunst an den Wänden. Aber wir fühlten uns gut versorgt."(mbü)